Als plötzlich auf dem Bildschirm des Tauchroboters eine Leiche auftaucht, hält Silvan Paganini den Atem an. „Das war einfach surreal“, erinnert er sich. „Im ersten Moment dachte ich: Das kann ja gar nicht sein.“

Doch es ist tatsächlich so: Bei der Untersuchung des Swissair-Wracks am Bodensee-Grund stößt Paganinis Team auf menschliche Überreste – vermutlich ein seit 1957 vermisster Passagier. Die Arbeiten werden sofort gestoppt, die Fundstelle gesichert und die Behörden informiert.

„Ich dachte nur: Hä? Als ob da in den letzten 40 Jahren keiner mal vorbeigeschaut hat“, wundert sich Paganini. Denn der Fundort war eigentlich bekannt. Doch offenbar hatte sich seit Jahrzehnten niemand wirklich dafür interessiert. Und dass gerade Silvan Paganini derjenige war, der sich doch darum kümmerte, ist kein Zufall. Kaum einer beschäftigt sich so intensiv mit dem, was sich am Grund des Bodensees befindet.

Silvan Paganini wollte mit seinem Schiffbergeverein das Flugzeugwrack der Swissair-Maschine des Typs DC-3 aus dem Bodensee holen. 1957 ...
Silvan Paganini wollte mit seinem Schiffbergeverein das Flugzeugwrack der Swissair-Maschine des Typs DC-3 aus dem Bodensee holen. 1957 ist der Flieger zwischen Arbon und Romanshorn mit neun Passagieren abgestürzt. | Bild: Raphael Rohner/ETH-Bibliothek Zürich

Seit 2023 ist er Präsident des Schiffsbergevereins in Romanshorn. Mit seinem Team versucht er, alte Wracks wie die „Säntis“ oder die abgestürzte Swissair-DC-3 aus dem Bodensee zu bergen. Noch ist keines der Projekte vollständig gelungen, aber Paganini bleibt optimistisch: „Wenn man ein großes Ziel hat, muss man das Ziel in kleine Zwischenschritte planen“, so Paganini „zwei Schritte vor, einen zurück.“

Als der Leichenfund des Swissair-Wracks öffentlich wurde, meldeten sich auch die Angehörigen bei Paganini – und bedankten sich. Die Leiche selbst durfte Paganini jedoch nicht bergen: Wegen möglicher radioaktiver Strahlung blieb sie auf dem Grund des Sees.

Stattdessen wollte er eine Zeremonie für den Verstorbenen organisieren. Eine vier mal vier Meter große Schweizer Flagge, beschwert mit Bleigewichten, sollte würdevoll über dem Fundort versenkt werden. Doch auch das wurde ihm untersagt: In den See darf nichts eingeführt werden, was nicht auch wieder herausgeholt wird.

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Vom Gärtner zum Kapitän

Bevor er sich der See verschrieb, probierte Paganini vieles aus. Er machte eine vierjährige Ausbildung zum Landschaftsgärtner, diente danach bei der Schweizer Garde und arbeitete nebenbei ein Jahr als Lastwagenfahrer. Anschließend wechselte er zur Militärpolizei und war im Bereich der Kampfmittelräumung tätig: „Da hat man einen Blindgänger vor sich und denkt sich: Oh, hoffentlich mache ich kein Blödsinn“, scherzt Paganini.

Er habe immer das gemacht, worauf er Lust hatte. Hat ihm etwas nicht mehr gefallen, hat er einen Schnitt gemacht und neu angefangen, erzählt er. Über ein Praktikum auf dem Segelschiff „Salomon“ entfachte seine Leidenschaft für die Seefahrt.

In Cuxhaven erwarb er sein Kapitänspatent für Schiffe aller Größen, parallel dazu studierte er Wirtschaftsingenieurwesen in Bremen. Zwölf Jahre lang war er auf Offshore-Spezialschiffen unterwegs – unter anderem in der Nord- und Ostsee, im Golf von Mexiko, in Brasilien, Australien, Indien, Korea und der Karibik. Als Hobby unterstützte er zeitweise eine deutsche Hilfsorganisation bei der Seenotrettung im Mittelmeer.

Bis Februar war Paganini Betriebsleiter für Nautik, Werft und Bootshafen bei der schweizerischen Bodenseeschifffahrt. Dann trat erst der Geschäftsführer zurücktrat, blieb dem Unternehmen jedoch als Verwaltungsratspräsident erhalten.

Kurz darauf wurden der Leiter Marketing und Verkauf sowie der Leiter Gastronomie vom Verwaltungsrat entlassen. Paganini war das letzte verbleibende Mitglied der Geschäftsleitung. Nach reiflicher Überlegung entschloss auch er sich, das Unternehmen zu verlassen, sagt er.

Heute bezeichnet er sich als Freelancer. Sein Geld verdient er mit dem Schreiben von Studien, als Untersuchungsbeauftragter der Schweizer Sicherheitsuntersuchungsstelle und als Richter am Militärgericht. Dort entscheidet er über Disziplinarverstöße und Straftaten von Armeeangehörigen.

Heimathafen Bodensee

Die See hat ihn schon immer fasziniert, erzählt Paganini und blickt zurück auf seine Kindheit. „Wir waren jeden Sonntag in der Kirche und danach sind wir immer in die Bibliothek gegangen.“ Dort habe sein Vater ihm ein Buch aus dem Regal geholt und gesagt: „Das ist eine super spannende Geschichte, die will ich dir erzählen“. Die Geschichte über „das Schiff, welches am Absaufen war“, wie es Paganini sagt, faszinierte ihn sofort. Und so wurde die Geschichte der Titanic die Grundlage für Paganinis Leidenschaft für die See.

Silvan Paganini vor dem Bildschirm seines Tauchroboters.
Silvan Paganini vor dem Bildschirm seines Tauchroboters. | Bild: Silvan Paganini, Schiffsbergeverein

Während Paganini am Romanshorner Hafen seine Geschichte erzählt, wird er immer wieder von Passanten gegrüßt. „Man kennt sich“, sagt er und zuckt mit den Schultern.

Die Arbeit des Schiffsbergvereins macht Paganini ehrenamtlich. Wenn er etwas findet in den Tiefen des Sees, ist es für ihn ein richtiger ‚Wow-Effekt‘. „Solche Wow-Effekte gibt es extrem viele im Bodensee, man muss sie nur finden“, sagt er mit Begeisterung. Dabei geht er mit seinem Tauchroboter auf circa 210 Meter Tiefe. „Dort war noch keiner“, erklärt er.

„Irgendetwas muss man immer machen“

Seine Leidenschaft fordert ihren Tribut. „Meine Frau ist wahrscheinlich die schlimmste Kritikerin und die größte Befürworterin“, sagt Paganini. „Ich glaube, sie war die Einzige, die nicht zufrieden war, als das Crowdfunding für das Bergungsprojekt der Säntis erfolgreich war, weil sie wusste, jetzt werde ich viel Zeit dort rein investieren.“ Trotz der Belastung gelingt ihm die Balance zwischen Beruf, Projektarbeit und Familie.

Weniger zu machen kommt für ihn nicht infrage: „Wenn es einem gut geht, muss man der Gesellschaft auch etwas zurückgeben“, erklärt Paganini. „Irgendetwas Soziales muss man immer machen, entweder ist man reich und man kann es bezahlen und es wird gemacht oder nicht, so wie ich, dann muss man halt arbeiten“.

„Es gibt noch viel zu tun“, sagt Paganini. „Wer viele Interessen hat, kann auch viel erreichen. Ich möchte später nicht auf dem Sterbebett sagen: Ach hätte ich noch das gemacht“.

Aktuell räumt er mit seinem Tauchroboter rund um die Säntis auf. Doch was die Zukunft noch alles bringen wird, weiß er selbst nicht. Seine Spielwiese Bodensee birgt noch viele Geheimnisse. Und er wird versuchen, sie zu finden.