„Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt“, schrieb William Shakespeare vor über 400 Jahren zum Thema Macht. Was sagen Sie dazu? Wie üben Sie Ihre Macht aus, als Stimmenkönig im Überlinger Gemeinderat?

Also den Begriff König lassen wir jetzt bitte mal weg (lacht). Ich habe mich ja nicht selbst dazu gemacht, sondern mit 8739 Stimmen sprachen mir die Überlinger ihr Zutrauen aus, in der Annahme, dass ich hilfreich sein kann. Das ist mir große Freude, Ansporn und Verantwortung – aber ich verrate Ihnen, mein Nachtschlaf ist ausgezeichnet. Wenn überhaupt, dann bin ich nur gerne ein König unter Königen, und damit meine ich uns alle. Das Gegenteil davon wäre ja ein Führungsanspruch – und der funktioniert nur mit Untertanen und Gewalt, das lehne ich zutiefst ab. Für mich ist jede Führung nur Hilfe zur Selbstführung, also kein Selbstzweck. Kein Mensch ist eine Insel.

Walter Sorms im Kreise seiner Gemeinderats-Kollegen. Vordere Reihe, von links: Walter Sorms, Sonja Straub, Andrej Michalsen, Marga ...
Walter Sorms im Kreise seiner Gemeinderats-Kollegen. Vordere Reihe, von links: Walter Sorms, Sonja Straub, Andrej Michalsen, Marga Lenski, Bettina Dreiseitl-Wanschura, Kristin Müller-Hausser, Bernadette Siemensmeyer, Roland Biniossek. Mitte, von links: Alexander Bruns, Günter Hornstein, Ulrich Krezdorn, Udo Pursche, Herbert Dreiseitl, Benedikt Kitt, Oberbürgermeister Jan Zeitler. Hinten, von links: Lothar Thum, Hubert Büchele, Robert Dreher, Peter Vögele, Ingo Wörner, Ralf Mittelmeier, Raimund Wilhelmi, Ulf Janicke, Dirk Diestel, Jörg Bohm, Manuel Wilkendorf, Michael Wilkendorf. | Bild: Hilser, Stefan

Der Grund dafür, sich zusammenzutun, ist doch, etwas nicht alleine lösen zu können. Ich sage dazu, dass es für jeden von uns legitim ist, unsere ganz persönliche individuelle Sichtweise einzubringen. Das heißt aber eben nicht, dass beispielsweise meine Sichtweise für uns alle hier zur richtigen Entscheidung führt. Der Gemeinderat bildet die Überlinger Bevölkerung ab und ist also keine homogene Gruppe. Wenn wir einmal unsere Stadt wie ein Unternehmen betrachten würden, ohne dass wir Lebensmittel oder Autos und so weiter produzieren, was wäre dann das Unternehmensziel unserer Kommune? Ich denke, unser Ziel für unsere Stadtgemeinschaft ist eine lebenswerte Stadt für alle. Wir sollten die Bedingungen schaffen, unter denen möglichst viele Bürger sich gerne, selbstbestimmt, eigenverantwortlich und würdig einbringen wollen, so verstehe ich meine Stimme im Rat, und dafür bin ich gewählt und dafür setze ich mich auch ein.

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Zur Person

Walter Sorms wurde vor zehn Jahren, genau an seinem 50. Geburtstag in den Überlinger Gemeinderat gewählt und geht in diesem Jahr in seine dritte Legislaturperiode. Seit 2009 ist er Mitglied bei LBU/Die Grünen. Der Landwirtschaftsmeister leitete 33 Jahre das Hofgut Rengoldshausen, einer der ältesten Demeter-Betriebe Deutschlands, und ist heute im Stiftungsrat tätig. Der vierfache Vater und sechsfache Großvater liebt Turmaline, die er selber schleift, klettert gerne und bezeichnet sich selbst als sehr begeisterungsfähig. Zudem sagt Sorms über sich selbst: „Ich liebe Menschen.“ (sma)

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Die Stadtgemeinschaft, wie Sie es nennen, hat aber oft das Gefühl, dass sich Verwaltung und Gemeinderat gegenseitig blockieren und dabei nichts herauskommt. Ist dieser Eindruck völlig falsch, Stichwort Verkehr und Dauerkonflikt Handel trotz Stadtberuhigung?

Ja und Nein. Der Eindruck grundsätzlich ist schon falsch, denn es bewegt sich sehr viel, aber beim Thema Verkehr gebe ich Ihnen natürlich recht. Als grüner Politiker stehe ich ohne Wenn und Aber dazu, dass der Durchgangsverkehr aus der Innenstadt raus muss. Das gilt selbstverständlich nicht für Anwohner, Lieferanten, Pflegekräfte und so weiter. Wir wollen aber für Überlingen das Gegenteil der sprichwörtlichen „Meersburger Verhältnisse“, also eine lebendige Stadt – und ich betone vor allem auch außerhalb der Saison. Warum aber die Optionen dazu nicht einmal komplett neu denken, selbst wenn es alte und bekannte Ideen sind, die wir neu variieren? Haben wir wirklich alles bedacht? Wie wäre es denn mit einer Tunnellösung und Parkplätzen unter der Münsterstraße, die unseren Verhältnissen einer kleinen Stadt mit großem Umland entspricht? Das können wir neu durchdenken, einmal losgelöst vom sofortigen Wissen um die Machbarkeit, und falls es nicht geht auch wieder verwerfen. Befinde ich mich nun im alten Denken oder auf der Spur zu einer genialen Lösung – das kann ich ja noch gar nicht wissen. So what? Wir brauchen hier offene Debatten.

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Dennoch muss ich nachhaken, denn gerade bei grünen Themen wie zum Beispiel Fahrradwegenetz bewegt sich Überlingen doch in der Geschwindigkeit eines Gletschers. LBU/Grüne sind seit der Wahl in diesem Jahr die stärkste Fraktion im Gemeinderat. Wo sehe ich das im Stadtbild?

Die Antwort dazu lautet: die Autos draußen zu lassen. Gehwege und Fahrbahnen gäbe es dann nicht mehr. Fußgänger, Radler und die Autos der Anlieger in Schrittgeschwindigkeit teilen sich den Raum, das nennt man „shared space“ (geteilter öffentlicher Raum). Dann brauchen wir auch keine roten Radwege mehr, denn der Verkehr beruht damit auf gegenseitiger Rücksichtnahme. Wenn die Autos unter der Erde wären, in meiner Vision eines Tunnels, ich nenne ihn mal „Schleichwegtunnel“ mit Parken neben der Fahrbahn, könnten ihre Besitzer fußnah die Geschäfte erreichen. Ich will und werde hier aktiv mitgestalten und wenn ich jetzt ehrlich bin, ist das im Stadtrat auch gar nicht so schwer. Schwer ist es für uns, etwas entscheiden zu müssen, an dessen Entstehung wir gar nicht beteiligt waren. Alles, das die Allgemeinheit betrifft, sollten wir konsequent von Anfang an mitgestalten. Das wäre effektiv und würde massiv die Kräfte unserer fleißigen Verwaltung sparen.

Walter Sorms in seinem Element: auf dem Hofgut Rengoldshausen.
Walter Sorms in seinem Element: auf dem Hofgut Rengoldshausen. | Bild: Stefan Hilser

Wie gerade beim Thema Volksbank nicht geschehen? Ich frage nach dem geplanten Neubau am Stadteingang Lippertsreuter Straße?

Nun, genau hier hat für mich die Reihenfolge nicht gestimmt. Das Interesse der Allgemeinheit, das wir im Gemeinderat vertreten, ist nicht etwa die innere Gestaltung der Volksbank oder ihr benötigtes Bauvolumen. Wohl aber die Frage der Gestaltung des Gebäudes. Wie fügt sich das äußere Erscheinungsbild harmonisch in unser Stadtbild? Hier mitzureden ist sehr wohl die Aufgabe des Gemeinderats. Das äußere Bild der neuen Volksbank wurde wohl von Herrn Oberbürgermeister Zeitler vorgegeben und unser Gremium bei den ersten Überlegungen nicht miteinbezogen.

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Das Thema landet daher folgerichtig wieder auf dem Ratstisch, denn hier mangelte es an etwas ganz Grundsätzlichem und Unverzichtbarem: der Transparenz. Die Neuauflage im Gemeinderat sieht dann nach außen hin wieder nach ihrer Beschreibung mit der Geschwindigkeit des Gletschers aus, ist aber bei so einer großen und relevanten Sache notwendig, und hätte durch eben jene Transparenz vermieden werden können.

Zu den dringendsten Aufgaben der Stadt gehört neben der Verkehrslösung auch die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Wie wollen Sie hier Ihre gerade angesprochene Vision einer lebenswerten Stadt für alle, also auch für finanziell nicht so potente Bürger, umsetzen?

Die Menschen, die hier arbeiten, sollen auch hier wohnen, das muss abgesichert sein – vom Arzt bis zur Verkäuferin. Das Kapital darf die Menschen, die hier leben und für uns arbeiten, nicht aus der Stadt verdrängen. Hier muss komplett umgesteuert werden, dies sollte zwingend wieder eine kommunale Aufgabe und Verantwortung werden, Stichwort Wohnraum ist auch Daseinsvorsorge. Die kann nicht nur auf rein private Gewinnmaximierung ausgelegt sein – wie sich ja mittlerweile ganz deutlich zeigt.

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Wo sehen sie Überlingen in 20 bis 30 Jahren? Wie wird sich das Stadtbild verändert haben?

Also ich wünsche mir ein Ensemble aus alter Kapuzinerkirche und modernem Stadtgemeinschaftshaus für uns alle. Die Fläche inklusive Felderhausparkplatz entspricht etwa 0,5 Hektar. Ein toller Ort für kulturelle Veranstaltungen und Begegnungen, da ließe sich doch was draus machen – und zwar ohne einen Baum zu fällen. Auf meiner letzten Urlaubsreise nach Hamburg inspirierte mich sehr der Park „Planten un Blomen“. Hier spielt sich Fantastisches ab. Jung und Alt aller Schichten und Religionen können sein, ganz ohne Zwang und Konsum. Wasserspiele, grillen, musizieren, schauspielern, oder eben einfach nur sein oder sich unterhalten. Ein starkes Konzept gegen Einsamkeit in den eigenen vier Wänden.

Der der Park Planten un Blomen im Hamburger Stadtteil Rotherbaum (Mitte) ist umgeben von Fernsehturm, Messehallen, Messegelände im ...
Der der Park Planten un Blomen im Hamburger Stadtteil Rotherbaum (Mitte) ist umgeben von Fernsehturm, Messehallen, Messegelände im Stadtteil Sankt Pauli, dem Univiertel (links) und oben links der Außenlaster. | Bild: Daniel Bockwoldt/dpa

Das könnten wir für unsere Verhältnisse kopieren, ob der Uferpark oder das Kramergelände... Ich wünsche mir einen solchen Park. Ich glaube, dass Einsamkeit ein großes Zukunftsthema wird und möchte darauf reagieren und Räume für Begegnung schaffen, und das möglichst bald – nicht erst im Jahr 2050. Ich wünsche mir für die Zukunft vor allem, dass wir uns kooperativ unter uns Menschen und regenerativ gegenüber unserer Erde verhalten, denn dann haben wir etwas gelernt. Ich bin optimistisch und ganz zuversichtlich, dass wir so etwas hinkriegen, und freue mich, dabei mitreden und mitgestalten zu dürfen.

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