Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen. So urteilte Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Ist das so? Hätte es keine Visionäre gegeben, gäbe es keine Flugzeuge. Nicht einmal eine Eisenbahn. Für diese bauten unsere Vorväter vor rund 120 Jahren die Tunnel durch Überlingen. Welch‘ ein Segen, sonst würde diese heute auch noch durch unsere verkehrsgequälte Stadt rattern. Viele Städte beneiden uns heute um den Mut der damals Verantwortlichen.
Nun träumt wieder einer, Stadtrat Walter Sorms möchte einen Tunnel unter der Münsterstraße haben, für Autos, fahrende und parkende, wie seine Vision lautet. Sollte er besser zum Arzt gehen? Der Überlinger Bauingenieur Hardy Krämer träumt den gleichen Traum seit 40 Jahren, findet keine Alternative zum Tunnel und konstatiert, das fachliche sei in dieser Debatte bisher nur zweitrangig betrachtet worden. Spinnerei oder geniale Idee? Ich weiß es nicht. Aber ich bin vehement für Visionen – und sollte das endlich die Verkehrslösung für unsere Verkehrsprobleme sein, bin ich auch für einen Tunnel. Ich bin auch dafür, dass Stadträte Visionen haben, und diese mutig in die Debatten werfen. Es wird nicht immer etwas raus kommen dabei, aber mit Walter Sorms Worten: So what? (Stef Manzini)
Die Gegenmeinung
Ja, Walter Sorms wird für seinen freien Geist und seine Kreativität geschätzt. Der Öko-Landwirt dreht gerne noch eine gedankliche Ehrenrunde im Überlinger Gemeinderat, wenn sich Beschlüsse längst abzeichnen oder andere ein Thema aufgegeben haben. Mit seinen Überlegungen zu einem Pflanzenhaus, das erheblich günstiger gewesen wäre als die später verworfene Version in der berühmt berüchtigten Stäbchenoptik, bewies er sogar visionären Weitblick. Doch wenn er jetzt in der seit Jahrzehnten dauernden Verkehrsdebatte wieder mit einer Tunnellösung um die Ecke biegt, ist das nicht weitsichtig. Sondern rückschrittlich. Der Traum vom Bau eines Tunnels zur Lösung aller Überlinger Verkehrsprobleme wurde schon 2007 in aller Form begraben. Schlicht, weil er unfinanzierbar ist. Warum es rückschrittlich sein soll, trotzdem davon zu träumen? Weil es den Blick ablenkt von machbaren Lösungen. Diese wären schmerzhaft für einen Teil der Stadtgesellschaft, und deshalb packt sie seit Jahrzehnten niemand an, sondern man versteigt sich in Scheindebatten. Die letzte große Scheindebatte wurde um die Grabentrasse geführt. Man möge uns von einer Neuauflage verschonen und sich um Machbares kümmern. (Stefan Hilser)