Eigentlich ist Ralf Mittelmeyer von Beruf Lehrer, im März dieses Jahres bewies er aber, dass er auch als Wahrsager sein Geld verdienen könnte. Als der Verkehrsausschuss am 12. März mit knapper Mehrheit dafür stimmte, einen Motorradparkplatz in der Seestraße beim Mantelhafen zu errichten, sagte der Stadtrat der Freien Wähler voraus: "Es ist hundertprozentig vorprogrammiert, dass es Probleme mit den Anwohnern geben wird."
Tatsächlich ist ein Großteil der Anwohner alles andere als glücklich bei der Aussicht auf ständigen Motorradlärm direkt vor der Haustüre. Eine Interessensgemeinschaft aus Seestraße/Poststraße/Mühlenstraße, vertreten durch fünf Familien, reichte daher im April eine Petition beim Petitionsausschuss des Landtags ein – mit Erfolg: Gestern reisten Vertreter des Ausschusses sowie mehrere Ministeriumsarbeiter aus Stuttgart an den Bodensee, um Stadtverwaltung und Anwohner anzuhören und sich ein Bild von den Begebenheiten vor Ort zu machen.

"Wir bitten den Petitionsausschuss, uns Anwohner vor dem Motorradlärm zu schützen", sagte Reinhard Meyer, Anwohner in der Seestraße und einer der Sprecher der Petenten, gleich zu Beginn der Sitzung im Rathaussaal. "Wir sind der Meinung, dass ein neues Konzept her muss." Am Liebsten sollten die Motorradfahrer ihre Maschinen auf der Zimmerwiese abstellen.

So einfach sei das aber nicht, entgegnete Oberbürgermeister Jan Zeitler: "Wir sind verkehrsrechtlich angehalten, Motorradparkplätze im Stadtgebiet anzubieten." Gebe es keine Parkplätze in Innenstadtnähe, bekomme man ein großes Problem mit Wildparkern. Das bekomme man auch mit einem Motorradparkplatz, sind die Anwohner sicher. 15 Stellplätze reichten bei Weitem nicht aus und der Parksuchverkehr knattere dann an ihren Häusern vorbei – ganz zu schweigen von den unrechtmäßig abgestellten Motorrädern. Die Anwohner befürchten ähnliche Zustände wie auf dem Münsterplatz, wo häufig mehr Zweiräder abgestellt sind, als es offizielle Plätze gibt. 35 Haushalte in direkter Nachbarschaft und weitere 75 Haushalte in der näheren Umgebung seien dann von den Störungen betroffen, zählte Nikola Patzel, Sprecher der Petenten, auf: "Das verletzt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit." Doch nicht nur die Anwohner bekämen Probleme, sondern auch Spaziergänger, Fahrradfahrer, Taucher, Kinder und Jugendliche auf Sportplatz und Spielplatz und viele mehr. "Wir vertreten also auch die Interessen von hunderttausenden Nutzern", sagte Nikola Patzel.
Ein möglicher anderer Standort wäre auf dem Chantillyplatz auf der Rückseite der jetzigen Kurzzeitparkplätze. Hierfür müssten allerdings rund 200 Quadratmeter Wiese eingeebnet und gepflastert werden, weshalb der Verkehrsausschuss diese Variante im März abgelehnt hatte. Bei einer Ortsbegehung wurden nochmals die Vor- und Nachteile der beiden Standorte diskutiert. Mit dabei war auch Gerhard Scholl vom Verkehrsministerium. Er zeigte Möglichkeiten einer Beschilderung auf, die ein Verkehrschaos und Lärmbelästigung in der Seestraße gering halten könnte. Diese will die Stadt nun prüfen.

Erst einmal heißt es nun aber warten: In den kommenden drei Wochen haben beide Seiten noch die Möglichkeit, weitere Argumente an den Petitionsausschuss zu liefern. Vermutlich gegen Ende des Jahres werden dessen Mitglieder zum Überlinger Fall tagen, anschließend fällt im Landtag eine Entscheidung. Diese ist für die Stadt jedoch nicht bindend, sondern hat lediglich die Funktion einer Empfehlung. "Aber wir versuchen, Einfluss zu nehmen, um eine sinnvolle Lösung für beide Seiten zu erreichen", sagte Jürgen Keck, FDP-Landtagsabgeordneter aus Radolfzell und Berichterstatter des Petitionsausschusses. Die Stadtverwaltung bis zur Empfehlung des Landtags nicht weiter planen. Zeitler: "Wenn wir dieses Verfahren schon durchlaufen, halte ich es für angemessen, dass wir die Entscheidung des Landtags auch in unser weiteres Vorgehen einbeziehen."
Zumindest einen kleinen Erfolg erkannte Petent Nikola Patzel bereits nach der gemeinsamen Sitzung: "Der Petitionsausschuss hat das partizipierende Element in die Angelegenheit eingebracht – nämlich, dass wir Anwohner angehört werden."
Lange Parkplatzsuche
- November 2016: Im Zuge des Verkehrskonzept beschließt der Gemeinderat, alle öffentlichen Parkplätze in der Innenstadt zu sperren. Zugleich wird ein neuer Motorradparkplatz in der Seestraße beschlossen, der den bisherigen Zweiradparkplatz an den Seeschulen ersetzen soll.
- März 2017: Durch einen Antrag der FDP wird die Sperrung der Parkplätze aufgehoben, bis ein Parkleitsystem eingerichtet ist. Dadurch verliert auch der Beschluss zu den Motorradparkplätzen seine Wirksamkeit.
- März 2018: Der Verkehrsauschuss beschließt mit knapper Mehrheit die Einrichtung von 15 Zweiradstellplätzen in der Seestraße – gegen den Vorschlag der Verwaltung für einen Motorradparkplatz auf dem Chantillyplatz.
- Oktober 2018: Der Petitionsauschuss begutachtet die Lage und gibt seine Erkenntnisse nun an den Landtag weiter, der eine Empfehlung an die Stadtverwaltung ausspricht. (mde)