Fünf Tage vor Heiligabend wurden ihre Babys geboren. Es sind Zwillinge. Eman Alsalem Alhummada brachte die beiden Mädchen am 19. Dezember im Krankenhaus in Friedrichshafen zur Welt. Sie ist jetzt Mutter von insgesamt fünf Mädchen. Ihr Mann lebt offiziell in Nordrhein-Westfalen. Doch sie wünscht sich, dass sie als Familie zusammen leben können. Wo das sein wird? Die 36-jährige Mutter weiß es nicht. Momentan lebt sie in einer Notunterkunft in Überlingen, aus ihrer Sicht ist das ein unerträglicher Zustand.
Abdullmunem Alsaloum heißt der Vater. Er wurde vor 42 Jahren in Aleppo geboren. In Syrien arbeitete er auf dem Bau. Wie er berichtete, machten ihnen das Assad-Regime und der IS das Leben zur Hölle. Vor vier Jahren sei er deshalb nach Deutschland geflohen. Zu Fuß über die Türkei und Griechenland in Richtung Deutschland. Seiner Frau und seinen damals drei Töchtern mutete er den Landweg nicht zu. Es dauerte aber drei Jahre, bis sie nachkommen konnten. Erst im Herbst 2021 reisten sie per Flugzeug nach Deutschland. Eine Familienzusammenführung fand aber offiziell bis jetzt nicht statt.
500 Kilometer Distanz in Deutschland
Die Mutter mit ihren Töchtern war von Beginn an als Asylbewerberin im Bodenseekreis gemeldet. Er aber lebte bis jetzt im Landkreis Olpe, Nordrhein-Westfalen. 500 Kilometer liegen zwischen ihnen. Warum? Das erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Der Bodenseekreis kennt die Hintergründe nicht. Ihm wurde die Frau mit den drei Kindern zugewiesen. Von einem Mann war nicht die Rede.
Die drei älteren Mädchen sind acht, siebe und fünf Jahre alt. Eine Schule oder einen Kindergarten kennen sie nicht. Deshalb weint ihre Mutter. Eman Alsalem Alhummada bringt zum Ausdruck, dass ihre Kinder dringend Kontakt zu anderen Kindern bräuchten, damit sie Deutsch lernen können.

Eigenverantwortung der Eltern
Von der Kreisverwaltung heißt es: „Geflüchtete werden durch die Flüchtlingssozialarbeit begleitet, beraten und unterstützt. Am Ende müssen aber die Eltern dafür sorgen, dass die Kinder entsprechend angemeldet werden und zur Schule gehen können.“ Natürlich hätten auch die kommunalen Behörden ein Auge darauf, „aber gerade in der aktuellen Ausnahmesituation und der großen Anzahl geflüchteter Menschen, die in den Bodenseekreis kommen, kann es hier zu Verzögerungen kommen“.
Unerträgliches im „Traumland“ Deutschland
Wir treffen die Familie in einer Notunterkunft in Überlingen, die der Landkreis im Herbst eröffnete. Sie besteht aus Wohnboxen, die in einer alten Turnhalle aufgestellt wurden. Zuschließen können die Bewohner ihre jeweilige Wohnbox nicht, an der Türe hängt nur ein Vorhang. Abdullmunem Alsaloum sagt, dass Deutschland „ein Traumland“ sei, das Leben in der Turnhalle sei für sie aber unerträglich. Nachts herrsche Lärm, seine Mädchen könnten nicht schlafen. Erst drehten sie auf dem Absatz um, kamen aber zurück in die Notunterkunft, weil sie sonst auf der Straße hätten schlafen müssen.
Aus Fürsorge in die Notunterkunft?
Bisher lebten sie in einer Unterkunft des Kreises in Owingen-Billafingen. Das Landratsamt Bodenseekreis teilte mit, dass die Familie eine Verlegung beantragte. Die Notunterkunft sei nur eine Zwischenlösung, die sogar Vorteile biete. Wie ein Behördensprecher betonte, sind in der Notunterkunft, im Gegensatz zu den Gemeinschaftsunterkünften des Kreises, rund um die Uhr Securitykräfte anwesend, die schnell für einen Transport in den Kreißsaal sorgen könnten, wenn die Wehen einsetzen.
Für die Zeit nach der Geburt sei der Landkreis auf der Suche nach einer geeigneteren Unterkunft. Behördensprecher Lars Gäbler spricht dem SÜDKURIER gegenüber von „händeringend“ und „möglichst zeitnah“. Zwei Vokabeln, die bei der Familie bislang ganz offensichtlich nicht richtig angekommen sind. Ihr fehlt das Vertrauen in die Behörde. Der Schock, der für sie mit Ankunft in der Turnhalle verbunden war, sitzt tief.
Vorwurf an die Stadt Drolshagen
Der 42-jährige Adullmunem Alsaloum sagt, dass er zuletzt in Mönchengladbach bei Amazon arbeitete. Zwölf Euro pro Stunde habe er erhalten. Er darf eigenes Geld verdienen, er hat eine Aufenthaltserlaubnis. Auf seinem Ersatzausweis steht: „Erwerbstätigkeit erlaubt“. Doch wie Alsaloum sagt, habe er seine Arbeitsstelle aufgegeben und sei zu seiner Familie nach Überlingen gezogen. An dieser Stelle macht er der Stadt Drolshagen Vorwürfe. Sie habe ihm keine Wohnung zur Verfügung gestellt, in der seine ganze Familie Platz gefunden hätte. Er spricht von „Diskriminierung“ und von „Rassismus“.
Drolshagener Bürgermeister widerspricht
Ulrich Berghof ist Bürgermeister von Drolshagen. Wie er berichtet, war die Familie nie in Drolshagen gemeldet. Nach seinem Wissen seien Mutter und Töchter im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland eingereist, hätten aber in Süddeutschland Asyl beantragt. Nur der Familienvater habe in Drolshagen gelebt. Er habe die Ankunft seiner Familie angekündigt, woraufhin sie sich im Rathaus von Drolshagen Gedanken machten, wo sie die damals fünfköpfige Familie unterbringen könnten. „Das müssen wir, schon um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Wir verfügen nicht über eigenen Wohnraum, nur über Übergangswohnheime.“ Das habe man ihm mitgeteilt, dann aber nie mehr etwas gehört. Offensichtlich kam diese Information bei der Familie nicht richtig an.
Immer noch keine Familienzusammenführung
Wie die 36-jährige Eman Alsalem Alhummada sagt, sei sie in den Bodenseekreis gezogen, weil hier ihr Bruder lebte. Damit die Familie offiziell zusammenziehen kann, hätten entweder er im Landkreis Olpe oder sie im Bodenseekreis einen sogenannten „Umverteilungsantrag“ stellen müssen. Das haben sie bislang nicht getan. Es ist auch nicht klar, ob sie wissen, um was für einen Antrag es sich hier handelt. Hier kommt der Google-Übersetzer an seine Grenzen.
Weil aber der 42-Jährige sich im Bodenseekreis noch gar nicht angemeldet hat, dürfte ihn der Landkreis streng genommen in der Notunterkunft gar nicht schlafen lassen. Die Sicherheitskräfte an der Türe zur Notunterkunft wissen das. Alle Beteiligten drücken ein Auge zu, denn natürlich ist allen bewusst: Er ist der Vater. Die Kinder benötigen eine Betreuung. Vor allem in den Tagen, in denen die Mutter zur Entbindung ins Krankenhaus muss, und natürlich auch dann, wenn sie mit den Babys zurück in die Notunterkunft kommt.
Familie hofft auf eine Wohnung im Kreis Siegen
Jetzt, wenige Tage vor Weihnachten, schöpft die Familie neue Hoffnung, ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu können. Vier Jahre nach ihrer Trennung in Syrien. Adullmunem Alsaloum ist es gelungen, in der Stadt Netphen ein Wohnungsangebot zu ergattern. Das liegt 40 Kilometer von Drolshagen entfernt, im Landkreis Siegen.
Fünf Zimmer, 130 Quadratmeter. Die Kaltmiete läge bei 945 Euro. Alsaloum zeigt eine entsprechende Mietbescheinigung. Die Vermieterin macht jetzt Druck. Sie will eine Entscheidung. Er fuhr nun eigens nach Netphen, um die Vermieterin persönlich zu treffen. Das war zu dem Zeitpunkt, als seine Frau in Friedrichshafen die Zwillinge bekam.
Behördenkarussell kommt jetzt richtig in Fahrt
Er bräuchte jetzt möglichst rasch eine Bescheinigung des Jobcenters, wonach die Behörde im Landkreis Siegen die Miete übernimmt. Sonst würde der Mietvertrag platzen. Nur: Alsaloum und sein Dolmetscherfreund erreichten dort bislang niemanden. Abgesehen davon müsste Eman Alsalem Alhummada vor einem Umzug an den besagten Umverteilungsantrag denken und die Aufhebung ihrer an den Bodenseekreis gebundenen Wohnsitzauflage beantragen.
Eine Genehmigung hängt sehr davon ab, ob die Familie selbst ihren Lebensunterhalt sichern kann. Insofern wäre es für Adullmunem Alsaloum geschickt gewesen, er hätte seinen Job bei Amazon nicht aufgegeben, denn dann hätte er einen entsprechenden Nachweis.