Cian Hartung

Mehrere Schüler und Pendler warten ungeduldig auf den Ausstieg. Langsam manövriert der Kapitän die Backbord-Seite der „Seegold„ an den Überlinger Landungssteg. Es ist halb acht Uhr morgens, in wenigen Minuten beginnt der Unterricht an den Überlinger Schulen. Schließlich öffnet ein Fährenmitarbeiter das Absperrband und macht den Passagieren den Weg über die Sicherheitsbrücke auf den Steg frei.

Transportiert im Sommer vorwiegend Touristen, im Winter hauptsächlich Pendler: das Schiff „Seegold“
Transportiert im Sommer vorwiegend Touristen, im Winter hauptsächlich Pendler: das Schiff „Seegold“ | Bild: Cian Hartung

In Winterjacke eingepackt, verlässt auch die Lehrerin Nicole Radzuweit mit ihrem E-Bike das Schiff. Um 7.50 Uhr beginnt der Unterricht, erzählt sie. Dank der „Seegold„ und ihres E-Bikes ist sie jeden Morgen rechtzeitig im Klassenraum. Das mögliche Aus des Winterdienstes bereitet ihr große Sorgen, sagt sie: „Mein ganzer Alltag ist auf diese Fährverbindung ausgelegt.“

Ist als Lehrerin an einem Überlinger Gymnasium beruflich auf die Fährverbindung angewiesen: Pendlerin Nicole Radzuweit.
Ist als Lehrerin an einem Überlinger Gymnasium beruflich auf die Fährverbindung angewiesen: Pendlerin Nicole Radzuweit. | Bild: Cian Hartung

Die „Seegold„-Pendler haben sich mittlerweile zu einer Gruppe formiert, berichtet Radzuweit. Neben einer Unterschriftenliste mit mehr als 300 Teilnehmern, die die Pendler an die Oberbürgermeister von Konstanz und Überlingen übergeben haben, überlegen sie, eine Auto-Fahrgemeinschaft zu gründen. Noch sei die Idee nur ein Spaß. Doch je näher das Jahresende komme, desto ernster werde es mit dem Plan. „Nun muss ich aber los“, entschuldigt sie sich und steigt auf ihr Fahrrad.

„Dann müssten wir unsere Mitarbeiter zum Arbeitsamt schicken“

Seit 1949 besteht die Linie zwischen Konstanz-Wallhausen und Überlingen, erzählt der langjährige Schiffsführer Ewald Giess bei der folgenden Überfahrt nach Wallhausen. Anfangs wurde sie von Giess‘ Vater Viktor mit einem Fischerboot für Touristen betrieben, später änderte sich nicht nur der Untersatz, sondern auch die Kundschaft. 1967 übernahm Giess den Familienbetrieb. Auch sein Sohn Michael und sein Enkel Dennis arbeiten auf der Linie.

Im Sommer nutzen viele Touristen die Verbindung, im Winter sitzen vor allem Schüler, Pendler und Anwohner an Bord. Seit 1996 wird die Betreiberfirma von den Städten Konstanz und Überlingen finanziell unterstützt. Doch der Vertrag läuft zum Ende dieses Jahres aus, die Verhandlungen über eine Verlängerung stocken.

Einst kostete eine Fahrt 40 Pfennig, heute sind es 3,40 Euro: Ein alter Fahrplan der Fährverbindung hinter der Kaffeebar der ...
Einst kostete eine Fahrt 40 Pfennig, heute sind es 3,40 Euro: Ein alter Fahrplan der Fährverbindung hinter der Kaffeebar der „Seegold“. | Bild: Cian Hartung

Bislang teilten sich die Städte Konstanz und Überlingen den monatlichen Zuschuss von 4000 Euro. Für die neue Finanzspritze bittet die Firma aber um einen erhöhten Zuschuss, nämlich 10 000 Euro. Dahinter stünden steigende Betriebskosten, die Corona-Krise und der Einbau eines 25 000 Euro teuren Rußpartikelfilters, erklärt Ewald Giess. „Damit sind wir das einzige Privatschiff auf dem See, die so modern sind“, stellt er klar. „Aber selbst mit dieser Erhöhung verdienen wir kein Geld.“

Wie ein Winter ohne Fährdienst für Ewald Giess und den Betrieb wäre? Darauf will der 76-Jährige nicht im Detail eingehen. Er sagt dazu nur: „Dann müssten wir unsere drei Mitarbeiter zum Arbeitsamt schicken. Dabei wollten wir im kommenden Frühjahr noch einen Lehrling einstellen.“

„Ich müsste für das nächste Jahr umziehen“

In Wallhausen steigt die Dettingerin Olivia Schnepf hinzu. Sie hält Fahrgemeinschaften um den Überlinger See für keine sinnvolle Idee. In einer Runde von Pendlern sitzt sie neben Ewald Giess am Fenster und sagt: „Das bedeutet nur einen Mehraufwand und mehr Fahrzeit für alle hier.“ Die anderen nicken. Als Kulturreferentin in einer Überlinger Seniorenresidenz sei auch sie auf die tägliche Fährverbindung angewiesen.

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„Ich bin wegen der Fähre nach Dettingen gezogen und habe gar keinen Führerschein“, sagt sie. „Ich müsste für das nächste Jahr umziehen.“ Klimafreundlich finde sie das Vorgehen nicht und schießt gegen die Stadt Konstanz: „Für die Touristen machen sie alles, für Anwohner aber nicht.“

Diese Pendler bangen um die Winterverbindung zwischen Wallhausen und Überlingen: Thomas Gütinger, Olivia Schnepf und Simon Maier (von ...
Diese Pendler bangen um die Winterverbindung zwischen Wallhausen und Überlingen: Thomas Gütinger, Olivia Schnepf und Simon Maier (von links). | Bild: Cian Hartung

Neben ihr in der Pendlerrunde sitzen Thomas Gütinger aus Wallhausen und Simon Maier aus Konstanz-Paradies. Beide halten die alternative Route nach Überlingen über die Fähre nach Meersburg für „problematisch“ – zu lange Fahrzeiten und zu hoher Aufwand.

Ein Blick über die Steuerbordseite der „Seegold“-Fähre.
Ein Blick über die Steuerbordseite der „Seegold“-Fähre. | Bild: Cian Hartung

Gütinger arbeitet in einer Segelschule in Überlingen und sagt: „Wenn die Verbindung für die Zeit eingestellt wird, dann werde ich dort nicht mehr arbeiten.“ Nicht, weil er den Job verlieren würde, sondern aus Unlust am täglichen Pendeln – das sei ihm die kostbare Lebenszeit nicht wert. „Die Seegold war preislich immer in Ordnung“, sagt Gütinger. „Und pünktlich!“, ruft Ewald Giess von der anderen Seite des Tischs herüber. Die Runde lacht.

Schiffsmeister glaubt an Einigung vor Jahresende

„In 26 Jahren hat es immer eine Einigung gegeben“, schiebt Ewald Giess hinterher. Er schaut aus dem Fenster und scheint optimistisch, dass sich aus diesem Grund auch dieses Mal die Parteien einigen können. Noch habe die Betreiberfamilie keine Antwort des Konstanzer Oberbürgermeisters Ulrich Burchardt erhalten. Giess hat dafür Verständnis. „Er war ja bis zuletzt im Wahlkampf. Da hat er vielleicht nicht so viel Zeit gehabt.“

Was sagen die Städte Überlingen und Konstanz?

Aus Sicht der Stadt Überlingen soll die Fährverbindung bestehen bleiben, schreibt sie auf SÜDKURIER-Anfrage. Wichtig seien für die Entscheidung die Fahrgast- und Klimabilanzen des Fährenbetriebs. Federführend sei bei der Angelegenheit allerdings die Stadt Konstanz, da der Betrieb in Konstanz ansässig ist, so Oberbürgermeister Jan Zeitler in der jüngsten Gemeinderatssitzung. Doch zur Forderung der Firma Giess merkt er auch an: „Auf Zuruf mehr als das doppelte zu verlangen, das ist für mich vermessen.“

Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler.
Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler. | Bild: Jäckle, Reiner

Auch die Stadt Konstanz signalisiert „großes Interesse“, den Beförderungsvertrag über das Jahresende hinweg zu verlängern, antwortet sie auf Anfrage. Um eine „nachhaltige Personenbeförderung“ sicherzustellen, hatte sie mit der Firma Giess vereinbart, eine Fahrgastbefragung durchzuführen.

Betreiberfirma gibt Passagierzahlen weiterhin nicht heraus

Diese hatte das Ziel, herauszufinden, wie die Wege der Pendler sind, damit die Stadt sowohl den Aufwand für die Pendler als auch die Auswirkungen auf das Klima beurteilen kann, so ein Sprecher der Stadt.

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Bereits Anfang Oktober stieß diese Maßnahme bei der Firma Giess auf Unmut. Mitinhaber Michael Giess sagte dem SÜDKURIER damals, dass die Passagierzahlen aus diesem Corona-Sommer nicht repräsentativ seien. „Die Stadt hat sämtliche Daten der Winterfahrten der vergangenen Jahre“, so Giess. „Die Sommerdaten geben wir nicht heraus, da müssen wir Geld verdienen, um den Winter zu überstehen.“

Wie geht es nun weiter?

Seit Mittwoch, 21. Oktober, liegt der Stadt ein Antwortschreiben der Firma Giess vor. „Diese Fahrgastbefragung ist von der Firma nur unvollständig durchgeführt worden“, bewertet das Konstanzer Rathaus die Ergebnisse. „Zusammen mit den bis heute nicht vorgelegten Bilanzen ist diese aber eine wichtige Voraussetzung, damit die Stadt für die Bewilligung des Zuschusses in die Gremien gehen kann.“

Über die Subventionierung soll laut der Stadt Konstanz voraussichtlich in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses diskutiert werden. Bis dahin müssen Pendler noch zittern und Notfallpläne bereit halten. Denn diese findet voraussichtlich erst am 3. Dezember statt.

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