Vor 50 Jahren, ganz genau zum 1. April 1972, wurde die zuvor selbstständige Gemeinde Lippertsreute nach Überlingen eingemeindet. Für den heutigen Teilort der Stadt ein Anlass, dieses Ereignis im Rahmen des gut besuchten Dorffestes zu feiern. Dass vor über 50 Jahren die Bürger aber gar nicht unbedingt für eine Eingemeindung nach Überlingen waren, teilte Ortsvorsteher Siegfried Hanßler in seinem Grußwort mit.

Großer Protest in den 1960er Jahren

Erst nach „langen und zähen“ Verhandlungen mit der Stadt Überlingen unter Leitung von Alt-OB Reinhard Ebersbach habe der Gemeinderat dem Vertragsentwurf über die Eingemeindung im März 1972 zugestimmt. „Bereits in den 1960er Jahren gab es unter Bürgermeister Robert Ruther Pläne, Lippertsreute nach Überlingen einzugemeinden“, sagte Hanßler. Nach heftigen Debatten in einer Gemeinderatssitzung im September 1968 sei Lippertsreute bereit gewesen, für seine Unabhängigkeit zu kämpfen. In einem Protestbrief an das damalige Landratsamt Überlingen habe der Bürgermeister mitgeteilt, Lippertsreute werde „unter keinen Umständen seine Selbstverwaltung aufgeben“.

Fassanstich beim Dorffest in Lippertsreute anlässlich 50 Jahre Eingemeindung der einst selbstständigen Gemeinde nach Überlingen (von ...
Fassanstich beim Dorffest in Lippertsreute anlässlich 50 Jahre Eingemeindung der einst selbstständigen Gemeinde nach Überlingen (von links): Ortsvorsteher Siegfried Hanßler, OB Jan Zeitler und Alt-OB Reinhard Ebersbach. | Bild: Kleinstück, Holger

Mehrzweckhalle als Hochzeitsgeschenk

1971 sei unter dem neuen Bürgermeister Ernst Vögele intensiv diskutiert worden, ob eine Eingemeindung nach Salem oder Frickingen nicht besser wäre. Hanßler: „In einer Bürgeranhörung im Dezember 71 sprachen sich die Bürger immer noch gegen eine Eingemeindung nach Überlingen aus, jedoch lag aus Überlingen ein Vertragsangebot vor, das die wesentlichen Interessen der Lippertsreuter in ausreichendem Maße beinhaltet hat.“ Am 22. März 72 hätten Ebersbach und Vögele den Vertrag unterzeichnet, mit einem 1970er Wein sei darauf angestoßen worden. Hanßler: „Somit war die Ehe geschlossen.“ Als Hochzeitsgeschenk habe Lippertsreute eine Mehrzweckhalle, die heutige Luibrechthalle, erhalten.

Nach 50 Jahren könne man feststellen, dass sich Lippertsreute zukunftsweisend orientiert und gut entwickelt habe, erläuterte der Ortsvorsteher. Die OBs der Stadt Überlingen hätten und haben immer ein offenes Ohr für die Belange Lippertsreutes. Rückblickend könne festgestellt werden, dass alle Entwicklungen im Dorf und in den Vereinen nur in guter Zusammenarbeit mit den jeweiligen Ortsvorstehern, Ortschaftsrat sowie einer bürgernahen städtischen Verwaltung angegangen und umgesetzt hatten werden können. Hanßler: “Wir haben eine sehr gute und bewährte Ehe geführt.“

In der Luibrechthalle ist hier eine Bilderausstellung zu 50 Jahre Überlingen-Lippertsreute zu sehen.
In der Luibrechthalle ist hier eine Bilderausstellung zu 50 Jahre Überlingen-Lippertsreute zu sehen. | Bild: Kleinstück, Holger

Als Wunsch für die Zukunft sprach sich Hanßler zum einen für einen Radweg über Wackenweiler nach Ernatsreute aus. „Das liegt uns sehr am Herzen. Denn wir haben jetzt eine Ganztagsschule.“ Zum anderen für einen neuen Feuerwehrbedarfsplan, „der uns vor große Aufgaben stellen wird“. Ein ganz wichtiges Anliegen sei auch die künftige Unterbringung des Musikvereins „Harmonie“.

Zuschüsse lassen Wünsche wahr werden

Alt-OB Einhard Ebersbach freute sich, dass die Ehe bislang eine gute Vergangenheit gehabt habe und hoffentlich noch eine gute Zukunft haben werde. Er machte darauf aufmerksam, dass die Luibrechthalle nicht von der Stadt Überlingen bezahlt worden sei, sondern vom Land Baden-Württemberg. „Es gab damals Zuschüsse für Eingemeindungen und da hat Lippertsreute gesagt, wir wollen eine Halle haben“, sagte Eberbach mit Hinweis darauf, dass Bambergen im gleichen Zug ein Hallenbad erhalten habe.

Manfred Köhler (85): „Ich war dafür, dass wir seinerzeit zu Überlingen gekommen sind. Es ist viel, viel gemacht worden wie ...
Manfred Köhler (85): „Ich war dafür, dass wir seinerzeit zu Überlingen gekommen sind. Es ist viel, viel gemacht worden wie Kanalisation, Ortsdurchfahrt, Flurbereinigung, Umgehungsstraße. Besser ist es in derer Zeit gar nicht gegangen. Wir haben nichts zu bereuen, dass wir zu Überlingen gekommen sind.“ | Bild: Kleinstück, Holger

OB stellt Lösung für Musikverein in Aussicht

„Wunderbar, dass wir gemeinsam 50 Jahre unterwegs sind“, sagte OB Jan Zeitler und hob die gute Zusammenarbeit mit Ortverwaltung und -rat hervor. „Die Lippertsreuter können stolz auf das sein, was in den letzten 50 Jahren dank des großen bürgerschaftlichen Engagements passiert ist.“ Den Wunsch des Musikvereins ansprechend sagte der OB, in Kürze werde man einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten. „Hier werden wir eine Lösung finden“, versprach der OB mit Hinweis auf einen Anbau an die Luibrechthalle. „Noch etwas Geduld. Wir arbeiten am Thema. Wir lassen Sie nicht hängen, so wie Sie mich nicht hängen lassen“, sagte Zeitler. „Das ist der Punkt, wie wir ihn heute gemeinsam festhalten können.“

Helmut Wengle (82): „Von der Eingemeindung weiß man ja heute, dass sie gut war. Ich bin schon seit 1954 im Musikverein, es war ...
Helmut Wengle (82): „Von der Eingemeindung weiß man ja heute, dass sie gut war. Ich bin schon seit 1954 im Musikverein, es war aufgrund der Eingemeindung super, dass wir einen Proberaum erhalten haben. Praktisch bis heute. Deswegen waren wir jetzt sehr enttäuscht, dass die Kündigung gekommen ist.“ | Bild: Kleinstück, Holger
Die Musikkapelle Harmonie Lippertsreute unter dem Dirigat von Uwe Keller unterhält zum Frühschoppen.
Die Musikkapelle Harmonie Lippertsreute unter dem Dirigat von Uwe Keller unterhält zum Frühschoppen. | Bild: Kleinstück, Holger

Politik am Fenster und im Hof – als Ex-OB Ebersbach von draußen Beifall klatschte

Bei der entscheidenden Sitzung des Gemeinderates Lippertsreute in Bezug auf den Eingemeindungsvertrag im alten Rathaus durfte Überlingens Ex-OB Reinhard Ebersbach im März 1972 nicht dabei sein. Der damalige Bürgermeister Ernst Vögele habe ihn zwar eingeladen, aber auch zu verstehen gegeben, dass er in der Sitzung nicht erwünscht sei, so Ebersbach. „Sie müssen draußen warten“, habe Vögele zu ihm gesagt. Mit seinem Ratsschreiber und zwei Sekretärinnen sei er nach Lippertsreute gefahren und habe im Hof gewartet, verriet Ebersbach. Allerdings hätten die Fenster im Rathaus aufgrund des warmen Wetters offen gestanden. „Man hörte also, was da drinnen beraten wurde.“ So seien währenddessen bereits die Sitze für den Überlinger Stadtrat beschlossen worden. Er habe also mitbekommen, wer in den Gemeinderat, in den Touristik-, in Landwirtschafts- und Bauausschuss gewählt worden sei. Bei der entscheidenden Abstimmung über den Vertrag seien praktisch schon alle in die Positionen in der Stadt Überlingen gewählt worden. Weshalb Vögele nur noch feststellen habe können, dass der Vertrag einstimmig angenommen worden sei. „Wir standen draußen und haben Beifall geklatscht“, sagte Ebersbach augenzwinkernd. Ortsvorsteher Siegfried Hanßler freute sich, wisse man doch jetzt, wie Politik gemacht werde. „Nämlich am Fenster und im Hof.“ Dass der damalige Beschluss in dieser Art und Weise zustande gekommen sei, gefiel OB Jan Zeitler. Allerdings habe er von Fraktionssprecher Günter Hornstein gleich den Hinweis bekommen, dass man sich dies nicht zu Eigen machen sollte. „Ich nenne das mal die Lippertsreuter Lösung. Dann brauchen wir auch nicht mehr so lange zu diskutieren. Manchmal ist das vielleicht ganz gut, wenn man schnell vorwärtskommen möchte.“