Vincent Keymer und Vladimir Fedoseev zählen zu den besten Schachspielern der Welt. Wenn sie die Spielfiguren übers Feld ziehen, geht das für Laien oft so schnell, dass man dem Spiel kaum folgen kann – und schon gar nicht der Strategie, die die Spieler verfolgen. Dagegen besitzt der Überlinger Conrad Schormann die Fähigkeit dazu, Schachspiele zu analysieren und sie einem großen Publikum zu erklären. So wie er dies bei einer Partie zwischen den beiden oben erwähnten Großmeistern machte.
Nutzer aus Indien, USA oder Osteuropa
Abrufbar ist das Spiel zwischen Fedoseev und Keymer auf Schormanns Internetseite mit dem eigentümlich klingenden Namen „Perlen vom Bodensee“. Sie zählt nach seinen Angaben im Durchschnitt pro Monat rund 100.000 Zugriffe und werde vor allem im deutschsprachigen Raum angeklickt, aber auch in den USA, in Osteuropa, sowie in Indien, einer laut Schormann aufstrebenden Schach-Nation.
Schormann gilt in der Szene als gut vernetzt und bestens informiert. Wenn es im Schach-Weltverband zu Skandalen und Aufregern wie dem „Jeans-Gate“ um Großmeister Magnus Carlsen kommt, der sich kürzlich dem Dresscode verweigerte, weiß Schormann über Hintergründe zu berichten. Auch sein Insiderwissen über Krach und Pannen im Deutschen Schachbund bescherte ihm viel Publikum. So ist seine Seite mittlerweile viel mehr als eine Plattform, auf der Schachpartien nachgespielt werden, sondern ein Internet-Blog mit Porträts über schillernde Charaktere einer Sportart, die nach wie vor russisch dominiert wird. Man könnte es auch so sagen: Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine werden auf dem Schachbrett, oder zumindest im Weltverband des Schachs, Stellvertreterkriege geführt. Aber wie sollte es auch anders sein angesichts eines Spiels, das auf Kriegsführung basiert.
Früher Zeitungsredakteur
Schormann ist Journalist und Inhaber eines Kommunikationsbüros in Überlingen. Er arbeitete früher als Zeitungsredakteur bei der Neue Westfälischen, er war Polizeireporter in Bielefeld. Der Liebe wegen zog er in den Süden der Republik, zuerst nach Karlsruhe und im Jahr 2017 nach Überlingen. Als Schachspieler dockte er beim Schachclub in Überlingen an und hatte eigentlich nur das Ansinnen, seinen Vereinskameraden etwas von seinem Wissen weiterzugeben.

Sein eigenes Können stellt er unter den Scheffel, wenn er sagt: „Je besser man im Schach wird, umso besser versteht man, wie schlecht man ist. Ich bin jetzt auf einem Level, dass ich eine Ahnung davon habe, wie schlecht ich bin.“ Für die dritte oder vierte Liga reiche es. Und wer nachbohrt, hört von ihm: „Ein Großmeister müsste gegen mich ein bisschen arbeiten und würde mich nicht sofort von der Platte fegen.“
Im Oktober 2017 ging Schormann mit den „Perlen vom Bodensee“ online. Hätte er vorgehabt, eine bundesweit beachtete Schach-Seite zu gründen, so der Kommunikationsprofi, dann hätte er ihr einen anderen Namen gegeben. Die Seite war zunächst aber lediglich für vereinsinterne Zwecke konzipiert. Und mit den „Perlen“ seien besondere Spiele seiner Vereinskameraden gemeint gewesen, die er analysierte und Lehrsätze daraus ableitete. „Man hätte auch ein Lehrbuch daraus machen können.“
Perlen im Schach-Boom
Heute versteht er die „Perlen vom Bodensee“ als eine Art Magazin, mehr noch als Internet-Blog, auf dem er seine eigene Meinung, Freude und Leid über Schachpartien zum Ausdruck bringt. Das findet eine wachsende Fangemeinde. Schormann nennt drei Gründe für den Boom. Erstens sei fast zeitgleich mit Beginn seiner Internetseiten der Deutsche Vincent Keymer aus den Startlöchern gekommen und das Interesse an Schach habe damit zugenommen. Zweitens schlitterte der Deutsche Schachbund damals in eine Krise und Schormann beleuchtete die Hintergründe. Drittens erfuhr Schach in der Corona-Pandemie generell einen Boom. Eine Netflixserie über eine Schachspielerin habe ihr Übriges zum wachsenden Interesse an Schach – und an seiner Seite – beigetragen.
Auch der Schachclub Überlingen wächst, wie Schormann weiß. Wer Interesse daran hat, ihm und anderen beim Spielen zuzuschauen, oder selbst ans Brett sitzen möchte, erfährt Ort und Zeitpunkt über die Internetseite des Vereins.