Im Eingangsbereich liegt die Narrenkappe auf einer Kommode: „Die hab‘ ich da nach dem Laternenumzug abgelegt“, sagt OB Jan Zeitler und bittet den Besuch herein. Der Weg führt in die Küche. Hier ist Annette Stoll-Zeitler im Begriff, Punsch in drei Tassen zu gießen. Auf jeder prangt ein Buchstabe. „Mit diesen Tassen hat es eine besondere Bewandtnis“, sagt Zeitler und seine Gattin ergänzt: „Als wir uns verlobt haben, haben wir eine Feier mit unseren Familien gemacht – und jeder bekam eine Tasse mit seinem Buchstaben.“
Die Tassen zogen in den ersten gemeinsamen Haushalt in Horb ein und, als Zeitler 2017 sein OB-Amt in Überlingen antrat und das Ehepaar sein neues Zuhause auf dem Stein bezog, reisten sie mit an den See. Und eben jenes Zuhause, das haben die Zeitlers gemeinsam eingerichtet.

Ein Händchen für Pflanzen
„Wir haben einen ähnlichen Geschmack“, sagt der OB. Im Hause Zeitler dominieren helle Farben, dazwischen geerbte Möbel: Korbstühle, die Annette Stoll-Zeitler noch von ihren Großeltern hat, die alte Kommode im Flur. Und natürlich gibt es, wie kann es bei einer Landschaftsarchitektin anders sein, viele Blumen. Und Pflanzen. Der Zimmerlinde wirft Zeitler einen kritischen Blick zu. „Mit der bin ich ein bisschen auf Kriegsfuß“, gesteht er. „Sie glauben ja nicht, wie groß eine Zimmerlinde werden kann, wenn man die nach dem Sommer reinholt.“
Mag der OB keine großen Pflanzen? „Daran liegt es nicht“, versichert seine Gattin und deutet auf einen ausladenden Ficus Benjamini. „Das ist seiner.“ Zeitler sagt: „Den hab‘ ich seit Mitte der 1990er-Jahre. Meine Mutter meinte damals: Einen Benjamini muss man haben.“ Und seine Frau, die Landschaftsgärtnerin, konstatiert: „Der sieht echt gut aus. Das hat er richtig prima gemacht, für‘n Kerl.“ Warum dann der Kriegsfuß mit der Zimmerlinde? Ganz einfach: Zeitler ist es, der die Pflanze im Winter nach drin schleppen muss.

Ein OB verbringt wenig Zeit zu Hause
Von seinem schönen Zuhause sieht er allerdings wenig: Eine 70- bis 80-Stunden-Woche ist die Regel. Immer in Aktion, immer unterwegs, wie funktioniert das? Was ist die Antriebsfeder, wo sind die Kraftquellen? Eigentlich, sagt Jan Zeitler, sei es das Amt selbst: „Dieser Wunsch und dieser Wille, es richtigzumachen, der treibt mich an.“
Und gibt es gar keine Auszeiten? „Kleine“, sagt Zeitler. Die Familie spiele eine große Rolle: „Meine Eltern besuchen uns oft“, erklärt Stoll-Zeitler. Dann sitzen Schwiegersohn und Schwiegervater gerne beim Schach. Ja, Schach ist eines seiner großen Hobbys und seine Frau vergleicht es mit seinem Amt. „Dinge durchzudenken und abzuspeichern und sehr präzise zu sein: Da wird für mich ein Schuh draus, wie er die Stadt lenkt.“
Autos gehören zu den Hobbys
Sonstige Hobbys? „Er schaut gern Autosendungen“, verrät Stoll-Zeitler. „Er ist ein Autochecker.“ Und tatsächlich: Als Zeitler von seinem „Youngtimer“ – einer alten Mercedes-C-Klasse seines Vaters – spricht, leuchten die Augen wie bei den Themen Schach, Familie und Überlingen. Apropos Familie: Zeitlers Schwiegermutter gestaltet für das Paar alljährlich einen Adventskalender. Der wird an einer Schnur in der Küche aufgehängt. Die Schnur bleibt auch außerhalb des Advents hängen, dann finden Karten und Fotos daran Platz, zum Beispiel eines von Zeitlers Schwiegervater und seinen Eltern. Als Zeitlers Mutter 2014 starb, hatte sie seine Frau und deren Eltern vier Jahre gekannt. „Sie haben sich gut verstanden“, sagt Annette Stoll-Zeitler.
Seinen Vater, der im Pflegeheim St. Ulrich lebt, besucht der OB zwei bis drei Mal die Woche. „Aber er kommt jetzt zu kurz“, sagt Jan Zeitler. Sein Vater, der unter Demenz leidet, wisse nicht, dass er zur Zeit im Wahlkampf sei. „Aber er würde es genau so wollen“, wirft Annette Stoll-Zeitler ein. Und dass ihr Mann nicht nur OB, sondern auch Bürger dieser Stadt sei.
„An meinem Vater erlebe ich am eigenen Leib, wie wichtig es ist, gute Pflegeeinrichtungen zu haben“, bestätigt Zeitler. Am eigenen Leib spüren die Zeitlers auch die Verkehrssituation. An ihrem Mietshaus auf dem Stein fahren wegen der Verkehrsberuhigung der Kessenring-Straße mehr Autos vorbei als zuvor. „Das merkt man schon“, sagt Annette Stoll-Zeitler. „Aber ich finde es richtig, dass der Verkehr sich auf mehrere Schultern verteilt.“ Und mit der Zeit werde sich die Belastung wieder verringern, ist Zeitler sicher und unterstreicht: „Wir hätten unser Prädikat als Kneippheilbad verloren, weil zu viele Autos durch die Innenstadt wollen. Es dauert, bis sich neue Verkehrswege eingeprägt haben“, sagt er und deutet nach draußen.
Dort fährt in diesem Moment allerdings kein Auto vorbei, sondern der Blick fällt auf einen Nudeltopf. Der steht da zum Auskühlen. Annette Stoll-Zeitler hat vorgekocht, weil sie am Abend wieder in den Schwarzwald fahren muss, wo sie derzeit eine Landesgartenschau leitet. Dann ist ihr Mann die ganze Woche allein. „Er hat schon sein Programm, um zu überleben“, erklärt sie augenzwinkernd. „Ich koche oft vor, eine Suppe zum Beispiel, die dann zwei, drei Tage reicht.“
Putengeschnetzeltes Süßsauer mit Reis
Und stellt sich der OB auch selbst an den Herd? Zeitler lächelt: „Putengeschnetzeltes Süßsauer mit Reis, das kann ich ganz hervorragend.“ Allzu häufig kommt er aber nicht zum Kochen, wenn der Suppen- oder Nudeltopf vom Wochenende alle ist, isst er eher unterwegs. „Oft gibt‘s ein Brötchen auf die Hand.“
„Die Ernährungslage eines OB ist richtig übel“, bemerkt Annette Stoll-Zeitler. Sie weiß darüber hinaus: „Mein Mann ist übellaunig, wenn er Hunger hat.“ Vor allem, wenn Druck hinzukommt. Für jeden das richtige Wort zu haben, falle da manchmal schwer. Unter Druck unfreundlich zu seinen Mitarbeitern zu sein, versuche er jedoch zu vermeiden, sagt Zeitler, gesteht aber: „Ich bin manchmal ungeduldig, wenn ich dringend zum nächsten Termin muss.“
Im Nachhinein tue ihm eine ungeduldige Reaktion dann leid: „Man weiß ja, der Mitarbeiter bemüht sich und kann nichts dafür, dass ich pünktlich kommen muss. Aber am Ende des Tages bist du Mensch.“ Und der Mensch, der entschuldige sich am nächsten Tag, wenn er ins Rathaus komme. Seine Wirkungsstätte, die fast täglich aufzusuchen er auch in den nächsten acht Jahren anstrebt.
Keine OB-Kandidatur in anderen Städten
Zeitler sagt: „Ich bin da, wo ich sein will.“ Gelegentlich wurde ihm in den vergangenen Jahren eine OB-Kandidatur in größeren Städten angetragen. Er hat immer abgelehnt. „Überlingen ist mir so ans Herz gewachsen, dass ich die Stadt nicht verlassen wollte. Die Bürgerschaft, die Kollegen, Freunde, die Stadt als solche. Wenn man in einer Abendstunde durch Überlingen läuft, wird man von der Schönheit der Stadt so ein bisschen erschlagen“, sinniert Zeitler.
„Seine Verbundenheit zeigt sich in einem tiefen Gefühl der Verpflichtung der Stadt gegenüber“, ergänzt Stoll-Zeitler. „Das hat zur Folge, dass ich ihn an Silvester nie wegkriegen würde. Er hat zu große Angst, dass etwas passiert und er nicht da ist.“ Und Zeitler sagt: „Du hast die Stadt verinnerlicht. Du kannst sie nicht zur Seite schieben. Und du willst es auch nicht. Du bist verantwortlich. Du denkst halt Tag und Nacht an diese Stadt.“
Und wie wohnt Zeitlers Herausforderer Martin Hahn? Das erfahren Sie in diesem Artikel.