So voll sind die Zuschauerbänke bei Gemeinderatsdebatten selten. Über 50 Eltern, Lehrerinnen und Lehrer mit weißen T-Shirts zeigten durch ihre bloße Präsenz, dass ihnen der Erhalt der Realschule in seiner bisherigen Größe wichtig ist. Die Stadt hatte eine Debatte angestoßen, an deren Ende der Ausschluss auswärtiger Schüler stehen könnte.

Entscheidung auf Oktober vertagt

Sagen durften die Besucher in der Sitzung nichts. Auch die Gemeinderäte waren zum Zuhören verpflichtet. Fürs Erste nannte die Stadtverwaltung ihre Gründe, die für eine Verkleinerung der Realschule sprechen könnten. Es ist von einer Option die Rede, über die erst in einer nächsten Sitzung beraten werden soll – zunächst im Gemeinderatsausschuss, bevor schlussendlich der Gemeinderat eine Entscheidung trifft.

Wann das der Fall ist? Zunächst sollte das Thema im Juli durchgezogen werden. Doch haben mittlerweile alle Beteiligten erkannt, dass das Thema nicht nur leidenschaftlich diskutiert wird, sondern auch so komplex ist, dass eine Entscheidung nicht übers Knie gebrochen werden kann. Oberbürgermeister Jan Zeitler schlug deshalb vor, erst im Oktober die Debatte im Ausschuss und im Gesamtgemeinderat zu führen, beziehungsweise erst im Oktober eine Entscheidung zu treffen.

Voll besetzte Zuschauerreihen während der Gemeinderatssitzung im Pfarrzentrum.
Voll besetzte Zuschauerreihen während der Gemeinderatssitzung im Pfarrzentrum. | Bild: Hilser, Stefan

Allerdings, das wurde den Räten nahe gelegt, wäre eine weitere Verzögerung ungünstig. Die Gretchenfrage der Realschulgröße löse nämlich „eine ganze Kettenreaktion“ an fälligen Entscheidungen aus, wie Anja Reinermann-Matatko im Gemeinderat vortrug. Sie ist Expertin für Schulentwicklungsplanungen. Ihr Bonner Büro wurde von der Stadt mit der Erstellung eines Schulentwicklungsplans beauftragt. Was ist Inhalt dieses Plans? Er betrachtet die Bevölkerungsentwicklung und leitete daraus Handlungsoptionen für alle städtische Schulen ab. Betrachtungszeitraum: bis 2035.

Recht auf Ganztagsbetreuung verschärft die Lage

Reinermann-Matatko betonte, dass alleine durch eine erwartete Zunahme an schulpflichtigen Kindern in den nächsten fünf bis 15 Jahren an fast allen Schulen ein zusätzlicher Raumbedarf entstehe. Erheblich verschärft werde die Situation durch das ab 2026 geltende Recht auf eine Ganztagsbetreuung an den Grundschulen, was einen zusätzlichen Flächenbedarf nötig mache.

„Es mache deshalb keinen Sinn, die Ganztagsbetreuung der Grundschulkinder im Hort vorzusehen.“Oberbürgermeister Jan Zeitler ...
„Es mache deshalb keinen Sinn, die Ganztagsbetreuung der Grundschulkinder im Hort vorzusehen.“Oberbürgermeister Jan Zeitler vor dem neuen Sportzentrum auf dem Schulcampus der Stadt | Bild: Hilser, Stefan

Wie desolat die Lage für Überlingen ist, machte OB Jan Zeitler dadurch deutlich, dass er auf einen „Projektstau“ im Schulbaubereich hinwies, der seit 2013 herrsche. Beispiel Wiestorschule. Ganz abgesehen von den millionenschweren Neubauplänen des Gymnasiums, fehle es auch bei der Kinderbetreuung an Kapazitäten. Es mache deshalb keinen Sinn, so Zeitler, die Ganztagsbetreuung der Grundschulkinder im Hort vorzusehen.

Größere Grundschule an der Wiestorschule?

Als eine mögliche Option stellt die Stadtverwaltung deshalb die Verkleinerung der Realschule zur Diskussion. Sie solle statt vier bis fünf auf drei Züge reduziert werden. Das schaffe Platz für die Gemeinschaftsschule, die bisher in der Wiestorschule unterrichtet – wodurch in der Wiestorschule wiederum Platz für eine größere Grundschule entstehe.

„Längst überfällig und der Schulgemeinschaft lange zugesagt.“
Die Gemeinschaftsschule über ihre Sanierungspläne

Gegen diese Pläne richtet sich nicht nur Widerstand der Realschule. Auch die Wiestorschule lehnt einen Umzug in die Räume der Realschule kategorisch ab. Ihr pädagogisches Konzept könne am gegenwärtigen Standort umgesetzt werden, „sofern die baulichen Maßnahmen umgesetzt werden, die längst überfällig sind und der Schulgemeinschaft lange zugesagt wurden“. In einem Positionspapier an die Gemeinderatsfraktionen heißt es, dass sich die Überlegungen für einen Umzug „verbieten“ würden, es sei denn, man denke darüber nach, die Gemeinschaftsschule mittelfristig zu schließen.

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Einzugsgebiet der Realschule im westlichen Bodenseekreis

Eine Verkleinerung der Realschule hätte zur Folge, dass auswärtige Schüler abgewiesen werden müssten. Zeitler verwies darauf, dass das „Einzugsgebiet“ der Schule laut Schulgesetz auf den westlichen Bodenseekreis, die Stadt Markdorf sowie Oberteuringen und Hagnau beschränkt sei. Überlingen ist Mittelzentrum und hat deshalb Bedürfnisse der Umlandgemeinden zu erfüllen. Mit einer Auswärtigenquote von mindestens 30 Prozent sei dies erfüllt, findet Zeitler. Tatsächlich liege sie bei der Realschule aber „seit mehreren Jahren“ bei über 50 Prozent, was die Umlandgemeinden dazu verpflichte, sich an den Schulbaukosten zu beteiligen.

Langwierige juristische Prozesse mit Nachbargemeinden

Sofern der Gemeinderat sich dazu entscheidet, die Realschule nicht zu verkleinern, werde die Stadt einen vom Kultusministerium festgelegten Weg zur finanziellen Verpflichtung der Nachbargemeinden beschreiten. Allerdings, so die Warnung Zeitlers, könne eine juristische Auseinandersetzung viele Jahre in Anspruch nehmen – Geislingen an der Steige sei damit seit 2014 beschäftigt – während ad hoc entschieden werden müsse, wie der generell vorhandene Raumbedarf gedeckt wird.

„Manches, was überregional geregelt werden müsste, wird nicht geregelt.“
Jan Zeitler, Oberbürgermeister

Wie Zeitler sagte, habe er sich mit Regierungspräsident Klaus Tappeser, dem Chef der obersten Schulbehörde, darauf verständigt, dass eine Entscheidung bis Herbst vertagt werden könne. Er werde mit Tappeser ein Gespräch über die „übergeordnete Schulentwicklung“ führen. Schule müsse über die Stadtgrenzen hinaus gedacht werden. Es fehle jedoch an einer regionalen Draufsicht. „Wir sind vor Ort und nahe an den Menschen dran. Aber manches, was überregional geregelt werden müsste“, so seine Kritik, „wird nicht geregelt“.

Reinermann-Matatko, die Expertin für Schulentwicklungsplanung, pflichtete dem OB bei. „Eine regionale Betrachtung findet leider nicht statt. Man müsste drei oder vier Schulentwicklungspläne zusammenführen. Wenn man dann feststellt, dass es überall einen Überhang gibt, dann fehlt etwas im Gesamtsystem.“

Vor der Gemeinderatssitzung: Realschulrektorin Karin Broszat im Gespräch mit FDP-Gemeinderat Ingo Wörner, im Hintergrund der ...
Vor der Gemeinderatssitzung: Realschulrektorin Karin Broszat im Gespräch mit FDP-Gemeinderat Ingo Wörner, im Hintergrund der FDP-Ortsvorsitzende Gabriel Kiefer. | Bild: Hilser, Stefan

Realschulrektorin Karin Broszat sagte nach der Gemeinderatssitzung, dass sie froh um die starke Präsenz an Eltern und auch Schülern in der Sitzung gewesen sei. „Das zeigt das Interesse an dem Thema.“ Broszat gegenüber dem SÜDKURIER: „Eine dreizügige Realschule rüttelt an einem stabilen Schulsystem in Überlingen. Davor warnen alle Schulen.“ Auch die beruflichen Gymnasien seien darauf angewiesen, dass eine stabile Zahl an Realschulabgängern vorhanden ist.

Die vorgestellte demographische Entwicklung deutet sie komplett anders: Es zeige sich, dass in den nächsten zehn Jahren der Zuwachs an Überlinger Schülern so groß sei, dass sie für sich genommen die Schule in ihrer bisherigen Größe füllen. „Da wäre für mich dann der Zeitpunkt, ab dem wir vielleicht wirklich über die Auswärtigenquote nachdenken müssen. Doch jetzt aus einer starken Schule eine schwache Schule zu machen, Kindergarten und Grundschulen zu bauen und nicht daran zu denken, dass diese Kinder groß werden und auf eine weiterführende Schule kommen, ist für mich unverständlich.“