Überlingen, eine Insel der Glückseligen. Das ist nicht nur Wunschgedanke, sondern Realität. Die objektive Sicherheitslage, mit neutralen statistischen Zahlen belegt, zeichnet laut Polizei ein erfreuliches Bild. Dennoch verspüren immer mehr Menschen Unruhe, wie die Psychologische Psychotherapeutin Mirijam Geiger-Riess beobachtet. Zunehmend artikulierten ihre Patientinnen und Patienten Angst und Sorge. Und zunehmend nimmt sie diese Thematik auch ganz allgemein wahr. Es sind Ängste, dass sich auch in Überlingen ein Terroranschlag ereignen könnte. Ängste davor, wohin sich die Welt entwickeln und welchen Einfluss das auf unser Leben hier haben wird.

Mensch hat ein starkes Sicherheitsbedürfnis

Das sind keine für Überlingen spezifischen Themen also, sondern nationale, nein, internationale Sorgen, die bis in unsere Stadt reichen. Wie aber damit umgehen? „Es ist wichtig, darüber zu sprechen, die Angst benennen zu dürfen, ohne dabei Panik zu schüren“, sagt Mirijam Geiger-Riess. Und man müsse sich dieser Ängste auch nicht schämen. „Es ist vollkommen normal, dass nach Ereignissen wie dem Terrorangriff in Aschaffenburg auf eine Kitagruppe, bei dem ein kleiner Junge und ein Mann erstochen wurden, Angst entsteht – und das nicht nur bei Eltern von kleinen Kindern.“ Der Mensch habe von Natur aus ein starkes Sicherheitsbedürfnis. Das Bewusstsein, dass man niemals ganz sicher ist, komme in Momenten wie diesen durch und treffe hart. „Wenn man Angst hat, entstehen ein Tunnelblick und totale Enge, was auch zu einer Isolation führen kann, in der die Angst noch größer wird.“

Adrenalin und Cortisol müssen abgebaut werden

Um diesem Kreislauf zu entkommen, sei es gut und wichtig, diese Angst zu benennen, sich für einen Moment aktiv mit ihr zu beschäftigen und ihr dann ganz bewusst etwas entgegenzusetzen. „Wenn man Angst hat, das ist ein uralter Mechanismus, wird der Sympathikus aktiviert. Er sorgt dafür, dass wir genügend Energie haben, uns aus dieser Gefahrensituation zu befreien“, erklärt die Psychotherapeutin. „Der Puls geht hoch, das Herz schlägt schneller, man ist wachsam und angespannt. Wenn wir Stress haben, werden Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Das muss abgebaut werden und das gelingt durch Bewegung“, sagt Mirijam Geiger-Riess. Ein flotter Spaziergang am See. Yoga. Bewusst atmen. „Atmen ist unsere tiefste Verbindung zum Parasympathikus.“ Also zu dem Teil des Nervensystems, der für Ruhe und Entspannung sorgt.

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Den Blick auf die guten Dinge lenken

Wichtig sei in solchen Momenten, nicht an den Nachrichten zu kleben und eine schreckliche Meldung nach der anderen zu konsumieren. „Das, was wir denken, setzt sich fest und je öfter wir es denken, desto mehr verankert es sich in uns.“ Viele Medien setzen daher auch vermehrt auf konstruktiven Journalismus, berichten also lösungsorientiert.

Verändere man den Fokus und lenke den Blick auf die guten Dinge, sehe man diese auch viel mehr, sagt Geiger-Riess. Das nennt man auch retikuläres Aktivierungssystem: Frauen mit Kinderwunsch sehen auf einmal lauter Schwangere. Hat man ein bestimmtes Wort zum ersten Mal gehört, begegnet es einem plötzlich überall. Das Gehirn filtert für uns die Informationen danach, worauf wir unseren Fokus richten. „Wir haben also die Möglichkeit, mitzuentscheiden, wie wir die Welt sehen wollen“, sagt Geiger-Riess.

Und es gehe auch darum, sich die Frage zu stellen: Wie möchte ich, dass meine Kinder groß werden? „Denn diesen Stress“, sagt die Psychologin, „übertragen wir sofort auf unsere Kinder. Die spüren das, auch, wenn wir versuchen, es uns nicht anmerken zu lassen. Das ist evolutionsbiologisch begründet, denn das Kleinkind war immer schon abhängig von den Menschen, die es umgeben. Die Kinder sind darauf ausgerichtet, wahrzunehmen, wie es ihrem Umfeld geht und wie sicher sie sind, ob das Umfeld in der Lage ist, ihnen Schutz zu bieten.“

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Diese Rolle spielt das subjektive Sicherheitsempfinden

Wenn also die Bilder und die Sorgen einen überfordern, könne es helfen zu sagen: Stopp. Wir sind hier. In Überlingen. Und hier ist es relativ sicher. Das bekräftigt auch Oliver Weißflog, Leiter der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit, Polizeipräsidium Ravensburg. Er sagt: „Gerade in Bezug auf die persönliche Angst zeigt sich ein Dilemma: Auf der einen Seite steht das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung, das sehr stark von persönlichen Eindrücken und mitunter auch eigenen Erfahrungen, allen voran aber durch die mediale Berichterstattung geprägt ist.“ Verstörende und schockierende Taten, bei denen es sich oft um singulär zu betrachtende Ereignisse handle, nähmen einen Großteil der Berichterstattung – und somit auch der persönlichen Wahrnehmung – ein. „Es werden Parallelen zum eigenen Lebensumfeld gezogen und dadurch ein gewisses Angstgefühl verstärkt.“

Polizei: Es gibt am Bodensee kein objektives Risiko

Die große Herausforderung bestehe nun darin, ohne eine Bagatellisierung der schwersten und beunruhigenden Delikte diese richtig einzuordnen. Weißflog: „Zur Wahrheit gehört, dass wir im Leben niemals vor allen Risiken geschützt sein können, und seien die Anstrengungen noch so groß. Auch nicht vor der Möglichkeit, Opfer einer Straftat zu werden. Tatsächlich und objektiv ist aber die Gefahr, selbst Opfer eines solchen Delikts zu werden, äußerst unwahrscheinlich, sodass die subjektive Angst hier das objektive Risiko bei weitem überwiegt“, sagt Weißflog und betont: „dass wir nach wie vor in einer der sichersten Regionen in ganz Deutschland leben, in der die Wahrscheinlichkeit, ein zufälliges Opfer einer Straftat zu werden, äußerst gering ist.“