In Singen steht das Fotostudio Wöhrstein vor dem Aus. Ein Insolvenzantrag ist gestellt, der Betrieb ist nur bis Ende Oktober gesichert. Geschäftsführer Reiner Wöhrstein sagt, die Fotobranche unterliege einem Strukturwandel. Unter anderem habe der Siegeszug des Smartphones den herkömmlichen Kameras den Garaus gemacht. Markus Wintersieg, Inhaber des Konstanzer Fotofachgeschäfts Lichtblick mit zwölf Mitarbeitern, sieht das allerdings ganz anders. Der 60-Jährige sagt: Das Handy verführe dazu, wieder zur Kamera zu greifen.

Wintersig stellt fest: Nur das Geschäft mit den Passbildern stehe vor dramatischen Einbrüchen. „Wer davon abhängig ist, geht kaputt.“ Viele Städte und Gemeinden, auch Konstanz, haben eigene Foto-Terminals für die digitalen, biometrischen Bilder. Nur diese sind künftig zulässig. Das Geschäft mit hochwertigen Kameras aber blühe. Markus Wintersig ist sich sicher. Der Fotofachhandel habe Zukunft, auch wenn nur noch wenige Geschäfte übrig geblieben seien: „Wir sind keine Konkurrenten mehr. Wir sind Kumpels.“

Der 60-Jährige widerspricht der Annahme, das Fotografieren mit der Kamera sei kein Massengeschäft mehr. In der Zeit vor dem Digitalen habe eine Privatperson entweder wenig fotografiert oder gar nicht. Dies habe sich erst in den 2000er-Jahren mit dem Aufkommen der Kompaktkameras geändert. Inzwischen sei diese Welle wieder zurückgegangen.

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Das Handy als Einstieg zum Fotografieren

Die meisten, die früher zur Kompaktkamera griffen, benutzen nun ihr Handy zum Fotografieren. Unter dem Strich gebe es aber heute mehr Fotografen als in der analogen Zeit. Viele von denen, die mit dem Handy Bilder machten, verspürten irgendwann den Wunsch, fotografisch stärker kreativ zu werden. Sie wollen dafür eine Kamera nutzen. So gesehen bereite das Handy den Einstieg zum Fotografieren mit einer Kamera vor.

Wintersig sagt, er habe viele Kunden, die wieder „richtig fotografieren“ wollten, etwa, wenn sie in Rente sind. Eine Spiegelreflexkamera bietet zum Beispiel breite Möglichkeiten, ein Motiv nah heranzuholen und den Hintergrund verschwimmen zu lassen.

Dann komme noch etwas anderes hinzu. Wintersig nennt es das „Fahrgefühl“. Auf die fragenden Blicke stellt er fest, man könne entweder in einem Kleinwagen fahren oder in einer Limousine oder einem Sportwagen. Unter Fotografen seien das die sehr hochwertigen Kameras. Es mache Freude, sie zu bedienen.

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Spezialisten sind gefragt

Im Einzelhandel ist der Beratungsklau gefürchtet, also Menschen, die sich im lokalen Fachhandel beraten lassen und dann billig im Internet die Ware kaufen. Wintersig sagt, nach seiner Erfahrung passiere dies nicht, wenn man faire Preise aufrufe. Freilich habe das Internet den Markt verändert: „In der Preisklasse bis 1500 Euro ist das Internet stark.“

Aber es gebe auch Sperren: „Die Industrie unterstützt den Fachhandel.“ Manche Kameras könnten gar nicht beim Online-Versandhändler Amazon gekauft werden. Er ist überzeugt: Das Geschäft mit hochwertigen Kameras habe Bestand. Bei ihm mache dies etwa 80 bis 90 Prozent des Umsatzes aus.

Weil es so wenige Geschäfte gebe, die sich darauf spezialisiert haben, reiche sein Einzugsbereich bis Freiburg, Stuttgart und München. Diese Städte hätten freilich auch Fotofachgeschäfte, aber viele Kunden kämen dennoch aus diesen Regionen. Seien sie im Urlaub in Konstanz, nutzten sie die Zeit und kämen dann bei ihm vorbei.

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Alle sind „Fotofreaks“

Markus Wintersig hat Mitarbeiter, die wie er verliebt sind in Kameras und ihre Begeisterung vermitteln können. „Bei uns im Laden sind alle Fotofreaks. Sonst gäbe es uns nicht.“ Und weiter: „Man muss begeistert sein, sonst überzeugt man keinen.“ Es sei wichtig, dass Kunden die Kamera ausprobieren und in die Hand nehmen können. „Man muss die Ware da haben.“

Das bedeute für ihn, er müsse hunderte Kameras im Lager vorhalten. „Das ist ein Risiko.“ Er geht es ein. Das war auch der Fall, als er im Jahr 2019, kurz vor der Corona-Pandemie, sein Café, Ausstellungsraum und Kameraladen Leica-Galerie eröffnete. Die Einrichtungen gibt es noch immer. Die Galerie wolle zeigen, wie künstlerisch, überraschend und aufregend Fotos sein können. Er will mit dieser Galerie ein Gegengewicht schaffen zur Flut der Bilder auf den Handys.

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Wenn das Hobby zum Beruf wird

Nun verkauft das Fotogeschäft Lichtblick ja auch gebrauchte, analoge Kameras, also solche, die noch einen Film und keinen Chip haben. Hand aufs Herz: Ist das eine persönliche Leidenschaft von Markus Wintersig? Er widerspricht auch da: „Die werden verkauft. Manche fotografieren gern analog.“

Der 60-Jährige räumt aber ein, dass auch er eine Kamera aus den 70er-Jahren pflege. Für spezielle Zwecke, wie etwa Sportfotografie, leihe er sich aber Geräte aus seinem Geschäft. Das heißt also, der Mann, der jeden Tag mit Kameras arbeitet, besitzt bis auf ein Oldiemodell selbst keine. Wintersig lacht. Er habe doch Zugriff auf alle Modelle. Das Hobby des 60-Jährigen ist Fotografieren.

Der gelernte Elektroingenieur hatte sein Fotogeschäft als Einmann-Betrieb im Jahr 2000 eröffnet. „Ich bin da ziemlich blauäugig rangegangen“, erinnert er sich. Er habe aber nie daran gezweifelt, dass er damit bestehen wird. Unter dem Strich sei er immer zufrieden gewesen: „Ich kann davon leben, und es macht Spaß.“