Da ist dieser Moment, sagt die junge Frau, wenn sie diesen besonderen Umschlag zum ersten Mal in der Hand hat, ihn öffnet und sieht, was sie fotografiert hat: die Tasche aus dem Labor mit den Negativen und den Abzügen darin. Wenn sie die aufmacht und vergangene Momente voller Überraschungen unvermittelt zurückkommen.
Das ist der Grund, warum sie immer wieder mal einen Film kauft – für nicht wenig Geld –, ihn in ihre etwa 30 Jahre alte Fuji-Kleinbildkamera einlegt und ihn dann – ebenfalls für nicht ganz wenig Geld – entwickeln lässt. Statt einfach ihr Handy zu zücken und damit Bilder zu machen, die praktischerweise sogar sofort zur Verfügung stehen und in Echtzeit mit der ganzen Welt geteilt werden können.
Ihre kleine Kamera hat diese Freundin der analogen Fotografie zum Campus-Festival in Konstanz mitgenommen. In der einen Hand den Fotoapparat, in der anderen einen Kunststoffbecher mit Festival-Getränk – so lässt es sich, wie man in der Altersgruppe sagt, feiern.

Andere Mittzwanziger haben eine Canon-Spiegelreflex aus den 70ern oder 80ern umhängen oder eine Olympus-Taschenkamera aus der Zeit lange vor der digitalen Revolution in der Fotografie. Es sind auch Lifestyle-Accessoires. Aber viele der alten Kameras werden wieder rege benutzt. Warum eigentlich, wo das Fotografieren mit dem Handy doch so praktisch, so schnell und so billig ist?
Die Renaissance der analogen Fotografie ist zumindest in Teilen auch eine Gegenbewegung zur Digitalisierung, die längst selbst die privatesten Lebensbereiche prägt. Das sagt einer, der täglich damit zu tun hat. Markus Wintersig ist mit seinem Geschäft Lichtblick einer der größten Fotohändler in Süddeutschland.
In zahllosen Vitrinen bietet er auch gebrauchte analoge Kameras an. Und vermeintliche Ladenhüter, bei denen Wintersig es vor wenigen Jahren einfach nicht übers Herz brachte, sie wegzuwerfen, erleben wieder eine erstaunliche Nachfrage. „Die Nikon FM oder die Canon AE-1 haben inzwischen Kultstatus“, sagt er, und fügt an: „Und wir merken auch, dass diese Kameras tatsächlich benutzt werden.“
Filme sind heiß begehrt – und teuer geworden
Tatsächlich ist die Nachfrage nach fotografischem Filmmaterial in den vergangenen Jahren stark angestiegen – und mit ihr das Preisniveau. Vorbei sind die Zeiten, in denen man aus einer unauffälligen Ecke im Drogeriemarkt den Dreierpack Kodak-Gold-Farbfilme für wenig Geld vor der Überlagerung retten konnte.
15 Euro kann ein Film mit 36 Aufnahmen heute locker kosten, dazu die Kosten für die Entwicklung – da kann ein Mal Klick machen mit einem Euro zu Buche schlagen. Doch die Menschen tun es trotzdem. In den verbliebenen Fotolaboren nimmt die Arbeit kräftig zu.
Der Schick-Faktor ist dabei das eine. Markus Wintersig betont, dass gerade die analogen Kameras gute Lehrmeisterinnen sind, um die Grundprinzipien des Fotografierens zu lernen oder zu verinnerlichen: Belichtungszeit, Blendenöffnung, Brennweite, Scharfstellung, oft müssen Analog-Fotografen das alles von Hand und mit Kompetenz einstellen. Das zwingt fast schon dazu, ein Bild bewusst zu gestalten und sich dann aktiv für eine Aufnahme zu entscheiden.
Hinzu kommt der Wunsch nach einem Unikat, das eben nicht sofort tausendfach in der Welt kursiert. Ganz abgesehen davon: Viele alte Kameras können in einem nachhaltigen zweiten Leben Bilder von erstaunlicher Qualität machen, etliche Modelle und Objektive sind noch günstig zu haben.
Von einem anhaltenden Trend spricht auch Franziska Reichel aus Konstanz. Sie ist Berufsfotografin, gibt aber auch Kurse für Amateure und berät bisweilen in Sachen Analog-Fotografie. Für viele Projekte ist auch bei ihr die Digitalkamera das Mittel der Wahl. Aber wenn es etwas Besonderes sein soll, sagt sie, greift sie gern zur guten alten Film-Kamera.
Gerne auch zu solchen mit großen Negativformaten, die dann nochmals eine höhere Auflösung und eine einmalige Detailwiedergabe ermöglichen. Während ihr es um die Ästhetik geht, steht nach ihrer Beobachtung für Hobby-Anwender etwas anderes im Vordergrund: „Der Wunsch ist groß, das Fotografieren in all seinen Dimensionen richtig zu erlernen“, sagt sie.
Während junge, kleine Firmen den neuen, auch von Internet-Influencern befeuerten Trend schnell aufgenommen haben, kommt die Industrie, oder das, was von ihr übrigblieb, nur langsam hinterher. In Stuttgart schreibt das Start-Up Silbersalz eine erstaunliche Erfolgsgeschichte – es kauft den bis heute für Filmproduktionen benutzten Kodak-Kinofilm, konfektioniert ihn in die bekannten Patronen für die Kleinbildkamera und entwickelt ihn in einem besonderen Prozess, Scan zum Herunterladen natürlich inklusive.
Jörg Bergs aus Hürtgenwald am Rande der Eifel hat seine Firma Meinfilmlab stetig zu einem führenden Anbieter für die Entwicklung und Digitalisierung von fotografischen Filmen ausgebaut und in Menschen wie Maschinen investiert. Doch die großen Filmhersteller schaffen es kaum, die Nachfrage zu bedienen. Kodak hat angekündigt, 500 Mitarbeiter fürs Analog-Geschäft einstellen zu wollen. Dennoch bekommen Händler oft nur einen Bruchteil der Ware, die sie bestellt haben.
Für Jörg Bergs ist die Tatsache, dass viele große Film-Hersteller vom Markt verschwunden sind, ein Grund dafür, warum es manchmal schwierig ist, Material zu bekommen. Er selbst hat sich 2014, zwei Jahre nach der Pleite des einstigen Branchenriesen Kodak, mit Meinfilmlab selbstständig gemacht, damals eine fast verrückte Idee.
Heute ist klar, dass die Digitaltechnik eben nicht alles hinweggefegt hat. Ein gut belichteter Film, ein sorgfältig gemachter Abzug, sichtbares Filmkorn statt digitaler Glattzeichnung – da gerät Bergs ins Schwärmen. Und es habe ja schon auch seinen Grund, warum sogar aktuelle Kino-Blockbuster wie „Oppenheimer“ auf analogem Film gedreht werden.
Der Experte ergänzt: „Museal und für Archivzwecke ist der Schwarzweißfilm ein Kulturgut. Ein Abzug auf richtigem Silbergelatinepapier ist nach wie vor haptisch besser als ein Druck auf edlem Tintenstrahldruckerpapier und erzielt in Galerien nach wie vor höhere Verkaufspreise.“
Es ist im Wortsinn eine Liebhaberei
Viel Geld ist rund um die analoge Renaissance auf dem Fotomarkt inzwischen im Spiel, und nicht wenige fragen sich, ob das so weitergeht. Trägt die viel beschworene besondere Anmutung von analogen Bildern wirklich, oder lässt sich die nicht billiger mit einem Algorithmus erzeugen? Ist es für die Generation 20 bis 30 irgendwann nicht mehr cool, eine Kamera wie früher über der Schulter zu tragen? Lohnt es sich, in Technik, Lieferketten und Verbrauchsmaterial zu investieren?
Markus Wintersig und Jörg Bergs glauben fest daran. Mit Blick auf Hersteller und Kunden meint Bergs: „Solange dort wie bei uns Menschen mit Herzblut hinter der analogen Fotografie stehen, gehe ich recht entspannt von einer positiven Entwicklung aus.“
Auch Kamera-Hersteller sind aufmerksam geworden. Längst ist es mehr als Gemunkel auf Gerüchte-Seiten im Internet, dass 20 Jahre nach der letzten großen Neuentwicklung eine ganz neue, analoge Kleinbildkamera kommen soll. Hersteller Pentax hat dafür sogar ehemalige Mitarbeiter wieder an Bord geholt, die die anspruchsvolle Mechanik noch beherrschen.
Die deutsche Traditionsmarke Leica hat einst die ersten Kameras für 35-Millimeter-Film hergestellt, nie damit aufgehört und ist heute auch der letzte nennenswerte Hersteller von Analogkameras. Wer eine will, muss sich bisweilen auf eine Warteliste setzen lassen. 2023 hat Leica eine Neuauflage des Klassikers M6 gestartet, im Detail verbessert, aber im Kern exakt die gleiche, weitgehend von Hand gefertigte Kamera wie bei Markteinführung 1984.
Zum Mitnehmen aufs Festival ist die Neuauflage der analogen Leica vielleicht nicht die beste Wahl bei einem Preis von rund 5400 Euro ohne Objektiv. Aber die neuen Film-Leicas, die er anbietet, wandern wie all die anderen Fotoapparate und Optiken aus seinem Gebraucht-Sortiment meist nicht in die Vitrinen von Sammlern, sagt Markus Wintersig, der auch den Konstanzer Leica Store betreibt: „Ob neu oder gebraucht, ob sehr günstig oder sehr teuer – die analogen Kameras, die ich verkaufe, werden in aller Regel auch benutzt.“