Grauer Klotz statt Großstadt-Szenerie. Das erwartete Besucher beim diesjährigen Openair Frauenfeld, das sich viele Jahre als Europas größtes Festival für urbane Musik bezeichnete. Doch die liebevoll gestaltete und seit 2015 gewohnte Doppelbühne ist weg, ein neues Konzept mit neuer Hauptbühne ist da – und die Selbstbeschreibung wird nicht mehr ständig angesagt. Besucher quittieren den Imagewandel mit Skepsis: Die Nachfrage war mit 102.000 Tickets deutlich geringer, 2024 wurden noch 160.000 Tickets verkauft. Da half auch das Line-up nicht.
Dass früher alles besser war, ist ein oft geglaubter, verklärender Trugschluss. Auch Fans des Openair Frauenfeld sagen das immer wieder – in diesem Fall aber könnten sie Recht haben. Denn früher, und das ist erst wenige Jahre her, brachte das Festival alle Größen der Szene in den beschaulichen Thurgau, etwa Eminem oder Kendrick Lamar. Die Namen bekannter Künstler drängten sich auf den Plakaten und oft fiel beim Blick auf den Zeitplan die Entscheidung schwer, ob man lieber Sido auf der South Stage oder Rin auf der North Stage sehen möchte. Diese Entscheidung wurde 2025 abgenommen.
Das hat offenbar auch praktische Gründe: „Das neue Bühnen-Set-up erlaubt uns, das Line-up dramaturgisch noch besser zu inszenieren, ohne quantitativ zurückzufahren“, erklärte eine Pressesprecherin dem SÜDKURIER.
Mehr Mainstream sorgte für Kritik
Das Openair wollte sich neu erfinden: Justin Timberlake statt Nicki Minaj, Casino und Coca-Cola-Turm statt zweiter Hauptbühne. Außerdem weniger Hip-Hop, mehr Mainstream und Musik von Party-Playlists. Der Veranstalter sagte im März nach Bekanntgabe des Line-ups, man habe sich bewusst für eine breitere musikalische Ausrichtung entschieden, die verschiedene Zielgruppen ansprechen soll.

Das sorgte im Vorfeld für harte Kritik, Fans kommentierten online etwa „Das muss ich unbedingt verpassen“ oder „schlimmstes Line-up jemals“. Justin Timberlake kam dann zwar doch nicht und wurde mit ASAP Rocky ersetzt. Doch das neue Erlebniskonzept rund um das Versprechen „Extrem-Spaß“ scheint für die Besucher nicht so richtig aufgegangen zu sein.

50 Cent liefert den versprochenen „Extrem-Spaß“
Das liegt weniger an den Künstlern, die tatsächlich auftreten, denn die liefern eine gute Show – und 50 Cent will damit gar nicht aufhören. Der 50-Jährige kennt das Openair Frauenfeld und die Besucher kennen ihn, schließlich war er schon 2003, 2012 und 2016 dort. Doch sie kennen ihn nicht nur, sie lieben ihn und seine Songs, die viele Jugendjahre geprägt haben.
Seitdem hat sich wenig verändert: Die Titel klingen live mindestens genauso gut wie von der alten, verkratzten CD, und der Star des Abends strahlt von der riesigen Bühne und all den Leinwänden drumherum. Und für das Alt-Rapper-Klischee dürfen acht Tänzerinnen nicht fehlen, die während einem der vier Outfitwechsel mit sexy Bewegungen unterhalten. So veraltet, so stilecht.

Mit dem Song „Ayo Technology“ bringt 50 Cent dann doch Justin Timberlake auf die Bühne, zumindest vom Band. Denn so sehr einige Fans das im Vorfeld kritisiert haben: Poppiger Mainstream hat schon länger einen Platz auf den Bühnen des Festivals. Zu glauben, man müsste eine harte Trennlinie zwischen den Genres ziehen, wäre tatsächlich ein Trugschluss.
Doch lange Pausen machen es zäh
Der fehlende Extrem-Spaß liegt eher an fehlenden Höhepunkten im Programm und an langen Pausen. Denn wer am Samstag zum Abschluss 50 Cent sehen möchte, muss von 22.05 bis 23 Uhr warten, während auf den Nebenbühnen Party-Musik läuft. Genug Zeit, dass die Feier-Stimmung wieder nachlässt. Dabei ist Raf Camora davor schon länger geblieben und 50 Cent früher gestartet.

Doch auch wenn dieser Eindruck entstehen kann, erklären die Macher des Festivals auf Anfrage, dass nicht weniger Künstler auftreten: „Das Booking bewegt sich seit vielen Jahren relativ konstant im Bereich von 65 bis 75 Acts.“ Dabei würden Verfügbarkeiten und internationale Tourzyklen auch eine Rolle spielen.
Einige Fans äußern sich am Sonntag nach dem dreitägigen Openair Frauenfeld enttäuscht. „Irgendwie war es ziemlich lieblos“, schreibt eine Nutzerin bei Instagram und ergänzt: „Schade, es hat echt seinen Glanz verloren.“ Die Veranstalter hingegen ziehen eine positive Bilanz, wie sie in einer Medienmitteilung erklären. „Das OAF hielt sein Versprechen, die Besucher:innen für drei Tage in eine spektakuläre Welt voller Überraschungen und Unterhaltung zu entführen“, heißt es darin. Und aus „Europas größten Festival für urbane Musik“ wurde ein neuer Titel: Es sei das wichtigste Hip-Hop-Festival in Europa.
Diesem Anspruch muss es 2026 gerecht werden, für die ersten Tickets für 9. bis 11. Juli kann man sich bereits anmelden.