Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wollen ihre Strecke in Lottstetten für 180 Millionen Schweizer Franken doppelspurig ausbauen. Der Startschuss für die Arbeiten soll bereits Anfang 2027 fallen. Ziel des Vorhabens: mehr Kapazitäten schaffen. Die Realisierung dieses Ausbaus soll nicht etwa auf den Grünflächen rund um die idyllische Hochrheingemeinde und der angrenzenden Schweiz erfolgen. Vielmehr geht es mitten durch das Siedlungsgebiet. Nicht nur aus Sicht der betroffenen Anwohner ein Problem.
SBB: Doppelspurausbau zwingend notwendig
Carmen Hefti, SBB-Mediensprecherin, erklärt: „Die Pläne der SBB für den Doppelspurausbau zwischen Lottstetten und Jestetten basieren auf dem strategischen Ausbauschritt 2035 (AS35) des Bundesamts für Verkehr (BAV).“ Ziel sei es, neben dem Fernverkehr auch im regionalen S-Bahn-Verkehr den ganztägigen Halbstundentakt zwischen Zürich und Schaffhausen zu ermöglichen.
Gegen dieses Vorhaben an sich spricht nach Angaben der Mitglieder der Bürgerinitiative „Wir Hier“ zunächst einmal nichts. Sie fragen sich aber: Warum plant die SBB das Vorhaben mitten durch das Lottstetter Siedlungsgebiet? Immerhin gebe es im Rafzer Feld, nur wenige hundert Meter weiter, genügend unbebaute Flächen.
Alternativen erfüllen die Ziele nicht
Die Verlagerung der Doppelspurausbaupläne in die Umgebung von Rafz sei nach Angaben der Schweizerischen Bundesbahnen bereits untersucht worden. Carmen Hefti: „Die Ergebnisse zeigten, dass dies die Angebotsziele des AS35 nicht erfüllen würde.“ Weiter argumentiert die Mediensprecherin: „Würden die Kreuzungen im Bereich Rafz-Lottstetten stattfinden, wären zusätzliche Infrastrukturausbauten an anderen Punkten erforderlich und es würde zur Beeinträchtigung der Transportketten und koordinierten Fahrpläne in der Schweiz und Deutschland führen.“
Lottstettens Bürgermeister Andreas Morasch ist hingegen sicher: „Fahrpläne kann man verbiegen.“ Er will per Gutachten beweisen, dass die Kreuzungspunkte auch außerhalb seiner Gemeinde möglich und sinnvoll sind. Seine Verwaltung habe bereits angekündigt, eine alternative Variante in das laufende Planfeststellungsverfahren einbringen zu wollen. Damit wäre die SBB als Trägerin des Vorhabens verpflichtet, sich mit der Alternative auseinanderzusetzen.
Wird die derzeitige Planung der SBB genehmigt, würde das erhebliche Beeinträchtigungen für die Gemeinde Lottstetten und ihre Bürger mit sich bringen. Da sind sich die Anwohner sicher. Das gehe mit voraussichtlich vier Jahren nächtlichem Baulärm los. So mancher Gleis-Anwohner solle für den Zeitraum der Arbeiten sogar „zwangsumgesiedelt“ werden, so erzählt man sich in Lottstetten.
Das befürchten die Bürger
Heike Spannagel, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums (RP) Freiburg, erklärt die Erzählung genauer: „Mögliche Räumungen sind von Lärmschutzmaßnahmen zu unterscheiden. Die Planunterlagen der SBB erfordern im zentralen Siedlungsgebiet von Lottstetten zum Teil Baumaßnahmen, die zu einer erheblichen Lärm- und Staubbelastung führen werden. Die gesetzlichen Bestimmungen verlangen, dass die SBB als Vorhabenträgerin alle Maßnahmen ergreift, die dazu dienen, die Belastungen abzumindern.“
Tatsächlich: Ein Mittel, die Belastung zu mindern, könne darin liegen, ersatzweise und zeitlich begrenzt alternativen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. „Damit könnten die Betroffenen während sehr lärmintensiver Zeiten in dem Ersatzwohnraum leben und schlafen, sodass sie der Lärmbelastung nicht ausgesetzt sind.“
Gärten sollen einer Bautrasse weichen
Fest steht jedenfalls: Für viele vor Ort wäre ein Leben an der Bahnlinie so wie bisher nicht mehr möglich. Die Schallschutzmauer beispielsweise soll nach Aussage von Anwohner Michael Weebers direkt an seine Hauswand anschließen. „Auf manchen Plänen der SBB geht sie sogar durch das Gebäude hindurch“, bemängelt er die Planung der SBB.
Auch Gelände in Privatbesitz möchte die SBB laut Mitgliedern der Bürgerinitiative vorübergehend in Anspruch nehmen, um Zugänge für schwere Fahrzeuge auf die Bautrasse zu ermöglichen. In Uwe Buchters Garten sollen seinen Schilderungen zufolge unter anderem Jahrzehnte alte Bäume und eine eigens errichtete Kapelle den Bauvorhaben der Schweizerischen Bundesbahnen weichen. „Dabei leben hier alle möglichen Tiere.“
Die Lottstetter in unmittelbarer Nähe zum Gleis fühlen sich hintergangen. „Unsere Geduld mit der SBB reißt so langsam. Seit Jahren wird nichts oder nur schlecht kommuniziert, immer wieder werden falsche Angaben gemacht“, lautet der Tenor.
Nach Angaben der SBB hingegen sei der Schutz der Bevölkerung vor dem Bahnlärm „ein zentraler Punkt im Projekt.“ Sie SBB wolle verschiedene Maßnahmen einsetzen, um Anwohner während Bauarbeiten vor Lärm zu schützen. Dazu gehöre, dass lärmintensive Arbeiten und Nachtarbeiten auf ein Minimum reduziert würden. Außerdem sollten Anwohner regelmäßig über die anstehenden Arbeiten informiert werden, um sich auf mögliche Lärmbelästigungen vorbereiten zu können.
Zweifel an Notwendigkeit der Maßnahme
Ob die Maßnahme wirklich so dringend erforderlich ist, bezweifeln viele Lottstetter. Daniela Kühn stellte zum Beispiel jüngst verwundert fest, dass die SBB schon heute bei Bedarf die Frequenz des Zugverkehrs auf der Strecke erhöhen kann. Wegen Bauarbeiten auf der von der Deutschen Bahn betriebenen Rheintalbahn zwischen Basel und Mannheim wurde die Route via Lottstetten als Umfahrung genutzt.
Die Folge: Deutlich mehr Güterzüge sind durch Lottstetten gerauscht als sonst üblich. Nach Angaben eines Pressesprechers waren es zwischen dem 9. und dem 14. Juni 155 Güterzüge, 85 davon nachts zwischen 20 und 6 Uhr. Eine Woche später waren es wieder 100 Güterzüge weniger.
Anliegen sollen berücksichtigt werden
Doch noch ist es nicht so weit. Bis die Bagger rollen, dürfte noch einiges an Zeit verstreichen. Jüngst gab es für direkt Betroffene die Möglichkeit, sich während dem aktuell laufenden Planfeststellungsverfahren zum Projekt zu äußern. „Die Anliegen von Gemeinden und Eigentümern werden im weiteren Planungsprozess berücksichtigt, soweit dies mit den Projektschritten vereinbar ist“, lautet das Versprechen des Regierungspräsidiums Freiburg.

Heike Spannagel: „Die Schweizerischen Bundesbahnen haben Ende Mai beim Regierungspräsidium Freiburg den Antrag auf Feststellung der Pläne zum Doppelspurausbau Lottstetten-Jestetten gestellt.“ Da das Planfeststellungsverfahren erst begonnen habe und noch nicht abgeschlossen sei, habe das RP bisher noch keine Genehmigung erteilt. „Vielmehr führt das RP derzeit das vorgeschriebene Anhörungsverfahren durch.“ Alle Träger öffentlicher Belange und alle betroffenen Privatpersonen können sich so an dem Genehmigungsverfahren beteiligen.
So geht es jetzt weiter
Jegliche Stellungnahmen und Einwendungen würden vom RP erfasst, gesammelt und der SBB nach Ablauf der Frist übersandt. Die Schweizerischen Bundesbahnen müssen diese anschließend prüfen und sich dazu äußern. „Alle Stellungnahmen und Einwendungen, sowie die Erwiderungen der SBB werden danach durch das RP geprüft“, so Spannagel.
An einem Erörterungstermin könnten dann zusätzlich alle Einwender und Träger öffentlicher Belange mit der SBB offene Fragen besprechen. „Nur, wenn die Planungen entscheidungsreif sind, wird eine Genehmigung erteilt“, so die Pressesprecherin des Regierungspräsidiums Freiburg.