Auf dem Kirchplatz in Grießen hat sich eine kleine Menschenmenge angesammelt, der Platz leuchtet in der Abendsonne. Ein Saxophonspieler stimmt „We Are the Champions“ an und irgendwo fliegt ein Sektkorken in die Luft. „Auf das schönste Dorf! Grießen hat Zukunft“, jubelt jemand. „Jawoll“, schallt es aus der Menge zurück. Seit Wochen bekommen die Grießener das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Das ganze Dorf ist mächtig stolz: Sie feiern ihren Sieg bei dem Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“.

Noch ein paar Wochen zuvor war die Anspannung groß. Eine Bewertungskommission reiste an, nahm in Grießen jedes Detail unter die Lupe. Ganze vier Wochen spannten sie die Dorfgemeinschaft auf die Folter. Am 26. Juni dann endlich die Entscheidung: Der Klettgauer Ortsteil gehört zu den vier zukunftsstärksten Dörfern in Baden-Württemberg. Und nicht nur das – von den vier Siegerdörfern ist Grießen das einzige, das sich für den Bundesentscheid im nächsten Jahr qualifiziert.

Ein Schlafdorf wacht auf

Für Kathrin Kern, eine der Organisatorinnen, steht fest, dass für den Sieg kein Projekt allein ausschlaggebend war. „Das war die schiere Summe der Dinge“, sagt sie und lacht. „Seit dem Bezirksentscheid haben wir uns nochmal um 50 Prozent gesteigert. Einfach noch eine Schippe draufgelegt.“

Tatsächlich hat sich im Klettgauer Ortsteil in kurzer Zeit viel getan. Vor drei Jahren noch drohte das gemeinschaftliche Leben in Grießen zum Stillstand zu kommen. Die Bäckerei schloss, auch die Apotheke, die Postfiliale und der Arzt zogen sich aus dem Dorf zurück. Wer frische Brötchen oder Hustensaft kaufen wollte, musste außerhalb auf die Suche gehen. Im Ort selbst wurde nur noch die Nacht verbracht. Die Diagnose lautete „Schlafdorf“.

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Doch die Grießener wollten ihre Ortschaft nicht aufgeben. Sie gründeten eine Interessengemeinschaft, um gegenzusteuern und stießen dabei auf den Wettbewerb “Unser Dorf hat Zukunft“. Weil daran nur Dörfer mit bis zu 3000 Einwohnern teilnehmen dürfen, schied eine Teilnahme der ganzen Gemeinde mit seinen rund 7700 Einwohnern aus und Grießen trat als Ortsteil an. „Das war genau das, was wir brauchten“, erklärt Kathrin Kern. „Eine Möglichkeit, die Projekte, die im Ort schon aktiv waren, teilweise schon seit Jahren, ins Rampenlicht zu rücken“, sagt das Gründungsmitglied der Interessengemeinschaft.

Kathrin Kern ist Gründungsmitglied der Interessengemeinschaft und engagiert sich als Vorstandsmitglied bei der KlettGeno.
Kathrin Kern ist Gründungsmitglied der Interessengemeinschaft und engagiert sich als Vorstandsmitglied bei der KlettGeno. | Bild: Norea Rüegg

Von den Grundschülern bis zu den Senioren trägt jeder zum Erfolg bei

Zu den Projekten gehört die KlettGeno, die den Umbau und die Belebung des Gasthofs Linde vorantreibt: Ob Sunntigskaffe, Konzerte oder Pub Quiz – hier ist immer etwas los.

Die KlettGeno hat den Gasthof Linde gekauft und baut ihn schrittweise zum sozio-kulturellen Treffpunkt um.
Die KlettGeno hat den Gasthof Linde gekauft und baut ihn schrittweise zum sozio-kulturellen Treffpunkt um. | Bild: Talenta, Nico

Beim Förderverein IDee greifen sich die Dorfbewohner mit einer gut ausgebauten Nachbarschaftshilfe gegenseitig unter die Arme, helfen mit Betreuung, Fahrdiensten und Babysitting-Kursen: In Vorbereitung auf ihren ersten Job lernen hier die Jüngeren, wie man richtig Windeln wechselt und die gemeinsame Zeit spielerisch gestalten kann.

Dank der Naturschutzgruppe des Siedlervereins, die einen Sonderpreis erhielt, ist Grießen außerdem viel grüner geworden. Bei Baumschnittkursen und der Obstbaumbörse pflanzen und pflegen die Dorfbewohner gemeinsam Bäume und verbringen so auch mehr Zeit in der Natur.

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Dass Dorf und digital genauso gut zusammengehen wie Generation Z und Babyboomer, zeigt die Zukunftswerkstatt. Sie richtet mit dem „Schwarzbach Rock“ ein generationenübergreifendens Musikfest aus und betreibt einen lokalen Instagram-Kanal, der Schwarzes Brett und Dorftagebuch in einem ist. Hier erfährt man von kommenden Veranstaltungen und kann sich durch lustige Fotos der letzten Nacht wischen. Das neueste Projekt, der Podcast „Uf‘m Bänkle mit…“, holt die Stimmen von Dorfbewohner direkt aufs Handy – Dorfgeschichten für unterwegs sozusagen. „Zugezogenen kann man so zeigen, was hier alles los ist und wer wir sind“, sagt Kern.

Auch die Gemeinde hat Grießen, vor allem in puncto Infrastruktur, zum Sieg verholfen: Die Eröffnung des Medizinischen Versorgungszentrums füllte die Lücke in der ärztlichen Versorgung und der Glasfaserausbau modernisierte die Internetverbindung.

Das Medizinische Versorgungszentrum Klettgau im einstigen Rathaus in Grießen.
Das Medizinische Versorgungszentrum Klettgau im einstigen Rathaus in Grießen. | Bild: Nico Talenta

Frischer Zukunftsoptimismus weht durch Grießen

Die breite Vielfalt an Projekten bringt Grießen eine Goldmedaille ein. Vor allem aber zeigt sie: Grießen ist längst kein Schlafdorf mehr – ganz im Gegenteil: Es ist hellwach, und die Bewohner haben es durch Ehrenamt und bürgerliches Engagement wachgerüttelt. Dieser Erfolg spiegelt sich auch in der Stimmung im Dorf wider:

„An die Stelle, wo früher dieser Pessimismus war, dass alles nur noch viel schlimmer wird, ist jetzt eine Selbstwirksamkeit getreten, die sagt, wenn wir uns zusammentun, können wir viel verändern“, bemerkt Kathrin Kern. „Die Freude ist natürlich riesig. Mein neuer Lieblingssatz ist, ‚Grießen repräsentiert das Land Baden-Württemberg auf Bundesebene in Berlin‘“, sagt sie und lächelt.

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Auch Ozan Topcuogullari, Bürgermeister des Klettgau, sieht in dem Sieg eine große Wirkungskraft: „Der jetzige Erfolg ist beeindruckend und verleiht Grießen, der Gemeinde Klettgau sowie dem Landkreis Waldshut überregionale Bekanntheit.“ Doch abgesehen von dem Stolz auf das eigene Dorf, soll der Sieg auch ein Signal senden und anderen Dörfern Mut machen: „Jedes Dorf hat das Potenzial zu sagen: Auch wenn die Umstände vielleicht nicht ideal sind, wir wachsen über uns hinaus“, bekräftigt Kern.

Für das Finale wollen sie noch mehr aus Grießen rausholen

Nächstes Jahr geht es dann für Grießen zum Bundesentscheid nach Berlin. Bis dahin will das Dorf noch ein wenig auf Wolke sieben schweben und kurz durchatmen, bevor es in die Analyse geht. „Wir werden uns anschauen, was richtig gut gelaufen ist und wo man noch mehr rausholen könnte, indem man zum Beispiel weitere Vereine einbindet. Wir werden die Sache aber auch mit ganz viel Zuversicht und positiver Energie angehen“, erklärt Kern.

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Doch ob es in Berlin eine Medaille gibt oder nicht, ist eigentlich zweitrangig – was wirklich zählt, ist: „Bei dem Wettbewerb sind 933 Dörfer angetreten und wir in Grießen sind eines der 22 besten.“ Grießen hat Zukunft und das darf auch jetzt schon gefeiert werden.