Bei der Pressekonferenz soll Luigi Prezioso davon erzählt haben, dass er anfangs nervös war beim Gedanken, in die Fußstapfen von Didi Hallervorden zu treten. Der trug erheblich dazu bei, dass die Till Schweiger-Komödie „Honig im Kopf“ über einen an Alzheimer erkrankten Mann ein großer Kinoerfolg wurde. Luigi Prezioso kann in der diesjährigen Sommerproduktion des See-Burgtheaters Kreuzlingen mit seinem eigenen Amandus überzeugen. Die „Konkurrenz“ lauert tatsächlich im eigenen Ensemble. Es ist Tilda, die elfjährige Enkelin, die das Zeug hat, allen zusammen die Schau zu stehlen.
Überwältigende Darstellung
Tilda wird von einer Vollgliederpuppe dargestellt und das so überwältigend, dass neben ihr alle ein bisschen in den Hintergrund geraten. Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger stattet mit Unterstützung von Moira Albertalli diesen grandiosen Charakterkopf mit einer Präsenz aus, die man als gewöhnlicher Mensch schwerlich erreicht. Eine hinreißende Konstellation, diese etwas frühreife Elfjährige und der Opa.

Dieses Jahr wieder direkt am Seeufer hat das Bühnenbild von Damian Hitz einen plakativen Retro-Touch. Die „Honigband“, die mit ihrem Soundtrack viel zum tragikomischen Stimmungsmix der Inszenierung beiträgt, sitzt in einem begehbaren Kofferradio, in einem überdimensionierten Fernsehapparat laufen Videos und der Bühnenboden ist ein aufgeschlagenes Buch, auf dem Requisiten hin und her getragen werden. Das wirkt manchmal etwas hyperaktiv. Eva Maropoulos und Georg Melich zeigen als Eltern von Tilda nichtsdestotrotz differenzierte Charakterzüge eines Paars, das von Amandus‘ Demenz überfordert ist.
Beeindruckend ist, wie Regisseur Giuseppe Spina in der Bühnenfassung von Florian Battermann Rollen von mehreren Schauspielenden darstellen lässt, um Amandus‘ irritierte Wahrnehmung ins Bild zu setzen. Im Hotel in Venedig ist der Rezeptionist doppelköpfig. Tilda hat ihren Großvater dorthin entführt, weil er sich noch an die Liebesreise mit seiner mittlerweile verstorbenen Frau erinnern kann.
Singende Nonnen und eine Verfolgungsjagd
Nach der Pause ist dann richtig Sommertheater. Da gibt es blökende Schafe, singende Nonnen und eine Verfolgungsjagd mit der Polizei. Sabina Deutsch ist als Polizistin wie als Carabiniera ein großer Spaßfaktor. Desgleichen Simon Engeli, der eigentlich immer mitspielt, wahlweise als Pfarrer, Nonne oder Schaf, am lustigsten als Reinigungskraft Erdal. Zudem hilft er als Drummer in der „Honigband“ aus.
Wie Luigi Prezioso seinen Amandus austariert zwischen Lebenslust, Trauer und zunehmender Abwesenheit, das berührt. Und wie Tilda merkt, dass der Opa mehr und mehr ein anderer wird. Erstaunlich, wie herzzerreißend eine Puppe weinen kann. Das lässt die Stellen vergessen, die etwas lehrstundenmäßig daherkommen.
Am Ende der Premieren-Vorstellung gab es Standing Ovations. Zweifellos als Anerkennung für das Geleistete, sicherlich aber auch für den Mut, solch ein Thema als Sommertheater zu wagen.
Vorstellungen bis 5. August. Karten und Infos: www.see-burgtheater.ch