Erst wurden Stimmen im Konstanzer Gemeinderat laut, die meinten, eine Bodensee Philharmonie wäre zu teuer und womöglich gar verzichtbar. Dann wurde der Vertrag von Chefdirigent Gabriel Venzago doch noch um drei Jahre verlängert und der des Interims-Intendanten Hans-Georg Hofmann in einen fixen Vertrag umgewandelt – ebenfalls auf drei Jahre. Normalerweise werden solche Verträge auf fünf Jahre geschlossen. Insofern ist das Signal klar: Die Debatte ist noch nicht vorüber.
Doch während Politik und Orchesterführung um diesen Kompromiss rangen, blieben die Musiker und Musikerinnen des Orchesters in der Öffentlichkeit weitgehend ungehört. Dabei sind sie diejenigen, die von der Spardebatte zuerst betroffen sind. Wie also geht es ihnen in diesem Wechselbad von Infragestellung und Akzeptanz?
Verständnis für die Gemeinderäte
„Die Antwort ist ja klar“, gibt Karoline Renner zurück, seit 30 Jahren Flötistin der Philharmonie. „Fragen Sie jemanden auf der Straße, wie er sich fühlt, wenn ihm gesagt wird, er ist nichts wert.“ Zugleich habe sie großes Verständnis für die Gemeinderäte: „Die stehen unter enormem Druck. Das ist ja keine leichte Aufgabe, die Politiker heute generell zu stemmen haben. Es gibt weniger Geld, man muss sparen. Und wenn‘s der eine nicht kriegt, kriegt‘s der andere.“
Dennoch mahnt sie: „Ist eine solche Institution erst mal aufgelöst, ist sie nie wieder herzustellen. Man muss sich auch klarmachen, worüber man da überhaupt spricht. Hier wird etwas in Frage gestellt, für das Deutschland weltweit berühmt ist, nämlich seine einmalige Kultur-, Kunst- und vor allem Orchesterlandschaft.“
Ruf deutscher Orchester brachte ihn nach Deutschland
Tatsächlich wurde die Deutsche Theater- und Orchesterlandschaft 2014 in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Der exzellente Ruf deutscher Orchester war auch für den Posaunisten Gergely Lazok ein Grund, seine siebenbürgische Heimat hinter sich zu lassen, nach Deutschland zu kommen und sich bei der Philharmonie zu bewerben.
16 Jahre ist er jetzt Mitglied des Orchesters, um dann „in einem Zeitungsartikel zu lesen, in der postmigrantischen Zeit gebe es kein Einvernehmen mehr darüber, was förderungswürdige Kultur sei.“ Gerade als Einwanderer irritiert ihn, dass im Land von Kunst und Kultur der Glaube an die eigene Identität offenbar verloren geht.
Dabei fühlt sich Lazok im Orchester wohler denn je: „Konstanz würde heute ohne ein Orchester viel mehr verlieren als noch vor 15 Jahren. Damals waren wir wirklich das reine, elitäre Hochkulturorchester, wo jeder weiß, dass er 100.000 Stunden am Instrument investiert hat, bis er schließlich im zehnten Probespiel aus etlichen Mitbewerbern als Einziger ausgewählt wird. Dann ist man Teil einer Spitzenmannschaft, kommt im Hemd zum Dienst und spielt klassische Musik für Abonnenten.“
Breit aufgestellt in einer kleinen Stadt
Heute hingegen, so Lazok, „gibt man ein Konzert in der Tonhalle Zürich und steht am nächsten Tag im hüfthohen Wasser der Bodensee-Therme und spielt Posaune.“ Lazok spielt damit auf die so genannten „Exzellenzwochen“ in dem vom Bund geförderten Programm „Zukunftsmusik“ an.
Hierfür haben die Musiker und Musikerinnen der Philharmonie etliche Formate entwickelt, mit denen sie außerhalb des angestammten Konzertsaals in Kontakt mit der Gesellschaft treten. „Die Exzellenzwochen sind das Schönste, was ich hier je erlebt habe“, schwärmt er. „So breit gefächert in so einer kleinen Stadt aufzutreten, das hat schon was.“
Sich selbst erfüllende Vorhersage
Wie breit das Orchester bereits aufgestellt ist, das betont auch Katharina Vogt, seit 11 Jahren Geigerin der Philharmonie. „Und wenn man dann hört, wir sollten mehr Education machen, mehr in die Bevölkerung gehen, mehr Sponsoring an Land ziehen, dann lässt es mich ein wenig ratlos, welche Möglichkeiten uns überhaupt noch bleiben, das zu vermitteln.“ Schließlich passiere all das ja schon – man muss es nur sehen wollen.
Vor allem aber beschäftigt sie die Frage, ob diese „ständige Infragestellerei“ am Ende nicht wie eine Art self fulfilling prophecy (sich selbst erfüllende Vorhersage) wirkt: „So kann man ein Orchester auch prima herunterwirtschaften, weil sich niemand mehr bewirbt, da er denken muss, das Orchester steht auf der Kippe.“
Sogar ihre Vermieterin habe sie schon auf die Situation im Orchester angesprochen und sich erkundigt, ob sie wohl ihren Job behalte. „Da stellt sich für mich die Frage, ob die schlechte Stimmung gegenüber dem Orchester nicht auch durch die Art der Darstellung beeinflusst wird.“
Über Interesse und Rückhalt durch das Publikum können sie sich nämlich nicht beklagen. „Wir sind wirklich so nah wie noch nie in Kontakt mit allen Menschen, die das wollen“, sagt Karoline Renner. Sie erinnert auch an die Zusammenarbeit der Philharmonie mit den Chören der Stadt, an das durch Venzago gegründete Jugendorchester oder die Side-by-Side-Konzerte, bei denen Laienmusiker zusammen mit den Profis musiziert haben. „Und nebenbei haben wir noch unsere Abokonzerte“.
„Nur“ für alte Menschen?
Aufgestoßen sei ihr der Vorwurf, das Orchester spiele ja „nur für alte Menschen“. „Ich finde allein diese Feststellung diskriminierend. Selbst wenn wir es nur täten – Entschuldigung, aber alte Menschen sind auch ein Teil unserer Gesellschaft.“
Einig sind sich alle darin, dass die Vertragsverlängerung von Gabriel Venzago und Hans-Georg Hofmann ein positives Signal ist. „Das gibt uns die Hoffnung, dass uns der Gemeinderat noch immer als Teil der Konstanzer Kulturlandschaft sieht“, formuliert es Katharina Vogt. Eine Alternative haben sie aufgrund ihrer hohen Spezialisierung auch kaum. „Als Geigerin im Orchester kommt man nicht einfach woanders unter. Da muss man ehrlich sein“, sagt Vogt. „Ich habe keinen Plan B“, sagt auch Lazok. „Ich weiß, dass ich irgendwie durchkomme, aber ein Mal Posaunist, immer Posaunist“.
Positives Signal
„Es ist den Gemeinderäten ja klar, dass wir turbulente Zeiten hinter uns haben“, gibt Renner zu bedenken. „Gerade nach der Corona-Zeit, die ja insbesondere die Kulturbetriebe gebeutelt hat, hatten wir keine Intendanz. Ein Interims-Gremium musste das Schiff stabilisieren. Und gerade in der Kulturbranche müssen wir ja immer ein, zwei Saisonen im Voraus planen. Wenn dann noch wichtige Abteilungen wie die Marketing-Stelle gar nicht besetzt sind, ist man quasi ohne Kapitän und Steuermann unterwegs.“ Insofern sei es schon ein Statement, dass Hofmann nun fixer Intendant sei. Auch Marketing-Abteilung und Pressestelle sind wieder besetzt. Nun denn, Leinen los.