Die Zeit der literarischen Ehrungen naht. Zu verleihen sind: Deutscher Buchpreis, Literaturnobelpreis, Georg-Büchner-Preis. Da lohnt sich ein Blick zurück ins vergangene Jahr, als sich der Schriftsteller Clemens Meyer mit einem bühnenreifen Auftritt zwar schlechte Presse einhandelte, aber eben auch Aufmerksamkeit. Vielleicht sogar mehr, als ihm der Gewinn des Deutschen Buchpreises eingebracht hätte.

Dass der nämlich an die Kollegin Martina Hefter statt ihn selbst gegangen war, wollte er nicht einfach so hinnehmen. „Eine Schande für die Literatur“ sei die Entscheidung gegen seinen Roman, rief er unmittelbar nach der Bekanntgabe. „Nie wieder“ werde er sich für diesen Preis bewerben. Macht man so was?

Einfach mal locker machen?

Die Kunst braucht Preisjurys, weil sie im Unterschied zum Sport weder Bälle noch Torlinien kennt und auch sonst nichts, das es erlauben würde, Qualität per Videobeweis eindeutig zu definieren. Ihre Angreifbarkeit ist dieser Art von subjektiver Siegerermittlung schon von Anfang an eingeschrieben. Ein Winston Churchill etwa hat einst den Literaturnobelpreis erhalten, nicht aber ein Kafka, ein Beckett oder Joyce. Die Beispiele für solch fragwürdige Juryentscheidungen sind Legion.

Man könnte das als Petitesse abtun: der Preisvergabezirkus als harmloses Spiel mit manchmal lustigen Ergebnissen. Ist doch schön, dass man Künstler zu würdigen versucht, und noch schöner, wenn dieser Versuch im Rückblick halt mal kurios erscheint! Kann sich da ein Verlierer nicht einfach ein bisschen locker machen?

Clemens Meyer sorgte im vergangenen Herbst für einen Eklat.
Clemens Meyer sorgte im vergangenen Herbst für einen Eklat. | Bild: Andreas Arnold

Die Dotierung des Deutschen Buchpreises liegt bei 25.000 Euro. Doch das Wichtigste kommt erst nach Überreichung der Urkunde, nämlich eine Vermarktungsoffensive, die ihresgleichen sucht.

Wer den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, darf damit rechnen, dass sämtliche großen Buchhandelsfilialen sein Werk stapelweise im Eingangsbereich präsentieren. Es gibt Lesereisen, Medienauftritte, Sonderpublikationen. Am Ende sind 100.000 verkaufte Exemplare das Minimum, angeblich wurde schon mal die Millionenmarke geknackt. Zehn Prozent vom Netto-Verkaufspreis geht üblicherweise an den Autor. Ja, man bekommt eine Idee davon, warum Herr Meyer schlechte Laune hatte.

Zehn Jahre gegen ein Jahr

Immerhin stecken in seinem Tausend-Seiten-Wälzer „Die Projektoren“ zehn Jahre Arbeit: Recherchereisen, entgangene Aufträge, wie man hört auch eine zerbrochene Ehe. Gewonnen hat stattdessen ein Roman, der fast vollständig auf eigenem Erleben beruht. Zeitaufwand: etwas mehr als ein Jahr.

So ein Literaturpreis ist kein Fleißkärtchen, und Goethe hat „Die Leiden des jungen Werthers“ sogar in nur vier Wochen heruntergeschrieben. Genie schlägt auch die härteste Arbeit. Aber war es wirklich Genie, das sich in Martina Hefters gefälligem, aber keineswegs epochalem Siegertitel „Hey, guten Morgen, wie geht es dir?“ offenbarte? Oder wirkten womöglich „außerliterarische Mechanismen“, wie der Schriftsteller Daniel Kehlmann einst monierte?

Je länger man über den Fall nachdenkt, desto unbehaglicher wird einem zumute. Nein, so eine Preisvergabe ist mehr als nur Spielerei. Es hängt ein millionenschweres Geschäft daran. Und wer als übergangener Autor kritische Fragen stellt, ist nicht etwa ein schlechter Verlierer – sondern kann rechnen.