Ein Stück so wienerisch süß wie Zuckerguss und Marillenknödel, ein akustisches Soufflé – so beschreibt Regisseurin Lydia Steier den „Rosenkavalier“. Und es stimmt ja auch. Diese Feier der Kulinarik, diese Opulenz, die Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal in ihrem Geniestreich über rund dreieinhalb Stunden (ohne Pausen!) ausbreiten, diese verwirrende Melange aus Walzerseligkeit, Erotik und Endzeitstimmung, sie besitzt einen betörenden Zauber. Ein perfektes Stück, um das Opernpublikum zu gewinnen, zumal in Zürich, wo der Hochglanz nach wie vor eine Heimat hat.

Ein Signal ans Zürcher Publikum

Matthias Schulz startet mit diesem Stück in seine Intendanz am Opernhaus. Man darf die Wahl als Signal sehen, vielleicht auch als Beruhigung eines Publikums, das dem Deutschen, der aus Berlin nach Zürich wechselt, eine gewisse Skepsis entgegenbringen könnte. Entsprechend wartet der Abend mit Starbesetzung auf: mit der gefragten Dirigentin Joana Mallwitz, die das Orchester der Oper Zürich mit feinem Gespür (auch für die schwierige Akustik des kleinen Hauses) durch den Abend leitet, mit der großen Diana Damrau als berührende Marschallin, mit Günther Groissböck als wunderbar polternder Baron Ochs und Angela Brower in der Hosenrolle des jungen Liebhabers Octavian (der sich dann im Stück, ein herrlicher Spaß, wiederum als Frau verkleiden muss). Hinzu kommt noch Emily Pogorelc als Sophie, die in dieser Inszenierung etwas görenhafter angelegt ist als sonst meist. Selbst Arte und SRF sind vor Ort und übertragen die Premiere etwas zeitversetzt live.

Gottfried Helnweins schräge Kostüme

Und dann sind da noch die Kostüme des Künstlers Gottfried Helnwein, genauer gesagt ist da seine „ästhetische Gesamtkonzeption“ mit Farbdramaturgie (erster Akt in Blau, zweiter Akt in Gelb-Orange, dritter Akt in Rot) und teils bizarren Gestalten, die schrägen Traumbildern des Rokoko entnommen zu sein scheinen. Er hatte sie für eine „Rosenkavalier“-Inszenierung vor 20 Jahren in Los Angeles entworfen. Regisseurin Lydia Steier hatte sich schon damals förmlich in sie verliebt. Nun endlich war die Gelegenheit gekommen, die Ausstattung zu reaktivieren und das Konzept neu zu beleben. Also wanderten die Kostüme von Los Angeles nach Zürich, wo sie aufwendig restauriert und angepasst wurden. Ergebnis ist ein üppiges Kostümfest, das die Kulinarik des Abends weiter unterstreicht.

Der Baron von Ochs (Günther Groissböck) badet nach einem Duell mit Octavian in Selbstmitleid. Ein komischer Vogel (Statist) kümmert sich ...
Der Baron von Ochs (Günther Groissböck) badet nach einem Duell mit Octavian in Selbstmitleid. Ein komischer Vogel (Statist) kümmert sich um ihn. | Bild: Matthias Baus

Lydia Steier war über den Coup des Transfers offenbar so glücklich, dass sie ihre Regie der Ausstattung Helnweins weitgehend untergeordnet hat. Das ist nun der Wermutstropfen dieses Abends. Denn Steier schöpft das Potenzial des schrägen Personals nicht aus. Die Figur mit Vogelschnabel und Zylinder, die sich als Arzt an dem eingebildet kranken Baron zu schaffen macht, ist da die Ausnahme von der Regel. Ansonsten wirbeln die Figuren mit ihren Halbmasken und seltsamen Kopfbedeckungen wie im Wimmelbild auf der Bühne umeinander. Die Reibung von Alice-im-Wunderland-artiger Fantasie und Gewalttätigkeit, die in den Figuren angelegt ist und die Steier ja auch fasziniert, überträgt sich nicht weiter auf die Stimmung der Inszenierung.

Mehr als ein fluffiges Soufflé

Dabei ist der „Rosenkavalier“ viel mehr als nur ein fluffiges Soufflé. Er besteht im Grunde aus zwei Handlungssträngen – dem der Liebesgeschichte zwischen der Marschallin und ihrem jungen Liebhaber Octavian, und dem des Heiratsprojekts von Baron Ochs, der sich durch seine Me-Too-hafte Übergriffigkeit bei seiner jungen Braut Sophie allerdings unmöglich macht. Bindeglied beider Handlungsstränge ist Octavian, der als Rosenkavalier einer Tradition folgend der Braut die silberne Verlobungsrose überbringen soll, sich dabei aber selbst in Sophie verliebt – und sie in ihn. Was folgt, ist eine Verwechslungskomödie, in dem sich Octavian, als Zofe Mariandel verkleidet, zum Köder des immergeilen Barons macht, nur um ihn schließlich so vorzuführen, dass endlich auch Sophies Vater Herr von Faninal (Bo Skovhus) von den Heiratsplänen für seine Tochter ablässt.

Berührende Momente durch Diana Damrau

Die Marschallin aber hat darüber ihren jungen Liebhaber verloren. Dass dieser Tag irgendwann kommen würde, war ihr freilich von Anfang an klar, trotz Octavians ungestümen Liebesschwüren. Er fühlt sich gar gekränkt von ihrer Voraussicht. „Jetzt muss ich den Buben dafür trösten, dass er mich über kurz oder lang wird sitzen lassen“, sagt die Marschallin. In ihrer Figur ist das (ebenfalls sehr wienerische) Bewusstsein über die eigene Vergänglichkeit angelegt. Auf den Seitenwänden mutieren die Fotografien von Frauengesichtern fast unmerklich in Totenschädel (Video: Tabea Rothfuchs, Ruth Stofer). „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“, sinniert die Marschallin. Diana Damrau legt so viel Hingabe und Würde in diese Rolle, dass sie zum emotionalen Zentrum dieser Produktion wird. Sie sorgt für die wirklich berührenden Momente, mehr als es Helnweins Kostüme und selbst das junge Glück von Sophie und Octavian vermögen.

Weitere Aufführungen: 26. September; 1., 5., 14., 17., 21. und 26. Oktober. Infos: www.opernhaus.ch