Es ist ein Mädchen! Gabriel Venzago, Chefdirigent der Bodenseephilharmonie, ist Vater geworden. Melusine heißt die Kleine zwar wohl nicht. So heißt nur die Meerjungfrau in dem Märchen, von dem sich Felix Mendelssohn Bartholdy für eine Konzertouvertüre inspirieren ließ.
Diese Melusine ist ja ein unglückliches Geschöpf. Venzagos kleine Nixe hingegen bekommt von ihrem Großvater Mario eines Tages vielleicht eine ganz andere, glückliche Geschichte erzählt. Die handelt dann davon, dass er selbst an der Stelle von Papa Gabriel den Taktstock in die Hand nahm, um die Bodensee Philharmonie zu dirigieren, weil der Papa da schon so sehnsüchtig auf die Ankunft der kleinen Nixe wartete.
Und die kam dann auch ganz pünktlich in der Nacht vor dem Konzert an Land. Der Großvater aber war darüber so glücklich, dass er mit seiner Freude das ganze Orchester ansteckte und ein so schönes Konzert gab, über das noch heute alle, die es gehört haben, voller Bewunderung sprechen. Und das wäre dann nicht einmal ein Märchen, sondern die reine Wahrheit.
Was für ein Freudenfest!
Ob es nun an den Großvater-Freuden lag oder nicht, tatsächlich schien in diesem Konzert, mit dem die Bodensee Philharmonie im Konstanzer Konzil die neue Saison eröffnete, der Funke zwischen Mario Venzago und dem Orchester übergesprungen zu sein.
Und das betraf nicht nur den ersten Teil mit Mendelssohns „Märchen von der schönen Melusine“, sondern ganz besonders auch den zweiten Teil, Ludwig van Beethovens 7. Symphonie. Was für ein Freudenfest! Und doch viel mehr als das.
Im Grunde ist das Stück ja, mal abgesehen von der langsamen Einleitung und dem todtraurigen Trauermarsch im 2. Satz, ein einziger Siegestaumel, komponiert als vorweggenommener Triumph über Napoleon. Von einer „Orgie des Rhythmus“ sprach Romain Rolland.
Doch das ist natürlich nur die Oberfläche, an der die Kunst der Interpretation ansetzt, um den Detailreichtum unter der Oberfläche zur Geltung zu bringen. Und genau das gelang hier auf mustergültige Art und Weise.
Ein Bilderbuch-Beethoven
Venzago formt jeden Satz zu einer eigenen Erzählung. Ein akkurates Dirigat hält sie zusammen. Die Ausgestaltung melodischer Linien, die große dynamische Spannbreite und perfekt herausgearbeitete motivische Details sorgen für die Spannung innerhalb des großen Ganzen.
Manchmal legt Venzago den Stab beiseite, kitzelt förmlich mit Händen und Fingern seine musikalische Vorstellungen aus dem Orchester heraus. Und das geht fantastisch mit. Die sanglichen Linien im Trauermarsch bilden einen Kontrast zu den fast schon brutalen Paukenschlägen, was die Verzweiflung der Trauer noch unterstreicht; im Scherzo stehen sich wuchtige und lyrische, zurückgenommene Teile einander gegenüber; und auch im Finale bleibt die Musik trotz berstender Energie immer auch geschmeidig und im Fluss. Ein Bilderbuch-Beethoven.
Klang des Wassers
Die Philharmonie hat sich die Mühe gemacht und fast sämtlichen Abo-Konzerten dieser Saison einen Titel gegeben, der irgendwie auf das Element Wasser anspielt. Schließlich ist man inzwischen nicht mehr die Südwestdeutsche, sondern die Bodensee Philharmonie, und das soll sich auch in den Programmen niederschlagen. „Klang des Wassers“ hieß es also zum Auftakt der Saison.
Und da passt Mendelssohns „Märchen von der schönen Melusine“ mit den sanft sprudelnden Klarinetten bestens hinein. Zugleich gibt es im Programm aber auch mancherlei überraschende regionale Bezüge – etwa den zwischen Mozart und dem von der Höri stammenden Magnetiseur Franz Anton Mesmer, den auch Peter Lenk in seiner „Magischen Säule“ in Meersburg verewigt hat.
Mozart hat diesem dubiosen Arzt, der Magnete zur Heilung einsetzte, bereits in seiner Oper „Così fan tutte“ ein Denkmal gesetzt. Über Mesmer lernte Mozart auch die Glasharmonika mit ihren sphärischen Klängen kennen, für das er sodann ein Adagio schrieb. Das seltene Instrument hielt nun mit Matthias Würsch Einzug ins Philharmonie-Konzert.
Dass Messmer zu den hypnotischen Klängen der Glasharmonika seine Séancen untermalte, kann man sich nach dem kleinen Mozart-Solo lebhaft vorstellen. Zu hören war auch, dass das Instrument, das mit angefeuchteten Fingern auf sich drehenden Glaskörpern gespielt wird, nicht ganz leicht zu handhaben ist. Laut Matthias Würsch kann man es länger als eine Stunde auch nicht spielen, da dann die Haut der Hände aufweicht wie bei einem Bad.
Vorüberziehende Klanglandschaft
Er selbst musste nach dem Mozart noch etwa 20 weitere Minuten durchstehen, denn der schwedische Komponist Anders Hillborg (*1954) nutzt die schwebenden Klänge der Glasharmonika auch in seinem „Sound Atlas“.
Auf recht spezielle Weise, denn sein Orchesterstück ist wie eine vorüberziehende Klanglandschaft angelegt, wie ein langsam sich verändernder Wolkenhimmel. Mal dominieren schrille Flageoletts in den Streichern, um von grundierenden Klängen abgelöst zu werden, alles sammelt sich zu einem tiefen Omm, mal ziehen Cluster, mal Wagnersche Verklärungsmomente vorüber, Celli sorgen für den melancholischen Touch, bis plötzlich Klavier, Glockenspiel, Röhrenglocken und Glasharmonika sich zur Spieluhr zusammentun.
Die Szene belebt sich noch einmal, um schließlich in friedlichem Arvo-Pärt-Wohlklang zur Ruhe zu kommen. Ein Klangbad, in dem man sich einfach treiben lassen kann.
Weitere Aufführungen: Samstag, 27. September, 19.30 Uhr, Stadthalle Singen; Sonntag, 28. September, 18 Uhr, Konzil Konstanz (ausverkauft). Infos und Tickets: www.philharmonie-konstanz.de