Wer die Alpen liebt, dem sind Kioske und Biergärten in der alpinen Wildnis ein Dorn im Auge. Ein anderes Zeugnis menschlicher Zivilisation dagegen erfreut sich auch bei vielen ausgewiesenen Naturfreunden großer Beliebtheit: das Gipfelkreuz.
Berge mit Kreuzen zu versehen, dazu drängte es die Menschen bereits im ausgehenden Mittelalter. Mal ging es nur um die Markierung topografischer Besonderheiten und Gemeindegrenzen, oft aber auch um religiöses Sendungsbewusstsein oder politische Machtsymbolik.
Gerade letztere Bedeutungsebenen bringen das Gipfelkreuz inzwischen in Verruf. Bergsteigerikone Reinhold Messner spricht sich seit Jahren dagegen aus, Berge „für religiöse Zwecke zu möblieren“. Und besonders erbitterte Gegner ziehen gegen schlichter angefertigte Exemplare mit rabiaten Methoden zu Felde: Manch ein Kreuz wird bei Nacht und Nebel mit Axthieben zu Boden gestreckt.
Der Münchner Fotograf Ludwig Watteler dürfte hinter diesen meist anonym verübten Anschlägen wohl kaum stecken. Erblickt er beim Wandern zum ersten Mal das Kreuz, so hält er andächtig inne. „Außergewöhnliche Perspektiven und Räume“ öffneten sich ihm dann, sagt er: das Kreuz als Instrument der magischen Verwandlung.

Man muss dieses Wirkungserleben nicht in vollem Umfang teilen, um in Wattelers Fotografien ein Panorama alpiner Kulturgeschichte zu entdecken. Seine Aufnahmen zeigen Gipfelkreuze verschiedenster Gestalt: Kruzifixe mit vom Todeskampf gezeichneten Messias wie auch eher weltlich anmutende Stahlkonstruktionen.

Von 1000 bis über 3000 Metern ist jede Höhenlage dabei. Doch mehr als die Höhe scheint der geografische Standort die Ästhetik zu beeinflussen: Wattelers Auswahl beschränkt sich auf Österreich, Bayern und Südtirol, mithin katholische Regionen. Schweizer Kreuze mit oft nüchternerem Erscheinungsbild fehlen.

Ihnen allen gemeinsam ist eine eigentümliche Doppeldeutigkeit aus Ehrfurcht und Triumph. Ehrfurchtgebietend ist die schiere Höhe vieler Kreuze. Während der waagerechte Balken mit majestätischer Geste den Horizont beschreibt, deutet die Spitze mahnend in die Weiten des Alls.

Besonders raffiniert mit Metallelementen ausgestattete Exemplare beziehen sogar die Sonne in ihre Inszenierung göttlicher Allmacht ein.

Gipfelkreuze zwingen den Gipfelstürmer zum Blick nach oben. Bei allem Stolz auf seine erbrachte Leistung soll er sich darüber im Klaren sein: Der Himmel über ihm bleibt unerreichbar!
Und doch gibt sich gerade in dieser Machtsymbolik natürlich auch eine Geste der Genugtuung zu erkennen. Es ist die Botschaft, dass es dieses Verweises auf höhere Mächte überhaupt bedarf: Das letzte Zeugnis menschlicher Kultur bescheinigt dem Wanderer, an die Grenzen seiner irdischen Möglichkeiten gelangt zu sein.
Ludwig Wattelers Bilder zeigen, dass es gute, wenigstens sehr menschliche Gründe gibt, Berggipfel zu markieren. Ob dafür zwingend die Symbolsprache einer bestimmten Religion verwendet werden muss, steht auf einem anderen Blatt.
Weitere Gipfelkreuze, fotografiert von Ludwig Watteler, sind im Internet zu finden unter: http://www.gipfelkreuze.myportfolio.com