Seine Friseurausbildung hat Lukas Püschel abgebrochen. Trotzdem beherrscht er das Haareschneiden und hat inzwischen sechs Jahre Berufserfahrung. Dazu kommt er, weil er bei Saad Allawi arbeiten darf. „Er hat gesehen, wie ich schneide, und gefragt, ob ich mitarbeiten will“, schildert er. Seitdem kürzen, stutzen und zupfen Püschel und Allawi gemeinsam in „Saads Barbershop“ in der Münsterpassage Haare – ausschließlich bei Männern.

Ihr Betrieb ist einer von vier Barbershops in der Überlinger Innenstadt. Noch vor fünf Jahren gab es keinen von ihnen. Welches Bedürfnis stillen diese Läden, dass sie auf einmal so oft zu finden sind? Und wer führt sie?
Aus Syrien nach Überlingen
Auf dem Betriebslogo steht, er habe 2019 eröffnet. „Richtig los ging es erst 2020“, korrigiert Püschel. Immer noch früh genug, um Überlingens erster Salon seiner Art zu sein. Sein Namensgeber Saad Allawi ist wegen des Krieges aus Syrien geflohen. Dort hat er sein Handwerk gelernt. Als 2015 die Bomben fielen, hat er seine Heimat verlassen und in Überlingen ein neues Zuhause gefunden.
Hier angekommen, seien die Menschen aufgrund seiner Gehörlosigkeit skeptisch gewesen, dass er einen eigenen Laden eröffnen wolle, erzählt er. Und doch setzte er das Vorhaben um. Inzwischen arbeitet Saad Allawi seit 23 Jahren als Friseur. Am Tag kommen zwischen 15 und 25 Kunden, gestikuliert Allawi, sein Mitarbeiter bestätigt.
Salons mit oder ohne Meisterbrief?
Einen Meisterbrief hat Allawi nicht. Seinen Laden darf er dennoch führen. Von der Handwerkskammer Ulm hat er eine Ausnahmebewilligung erhalten – allerdings nur für Herren.
Anders hat sich Orhan Taha beholfen, um seinen Salon im November 2023 aufzumachen. Der 31-Jährige ist vor dem Krieg in Syrien geflohen. In Damaskus hat er gelernt, Haare zu schneiden. Elf, zwölf Jahre hat er im Beruf gearbeitet, schätzt er. Sein Geschäft, Barberkunst93, hat er nach seinem Geburtsjahr benannt. Einen Meisterbrief oder eine Ausnahmegenehmigung hat er allerdings nicht. Also hat er eigens eine Meisterin eingestellt, um den Barbershop zu eröffnen. Die schneide auch Frauen die Haare, sagt er, aber die kämen nur sehr selten.

Barbershops sind Männerkultur
Das kommt nicht von ungefähr: „Die Barberkultur ist eine Männerkultur“, sagt Lukas Püschel. Hier können Männer ihrer Eitelkeit nachkommen. In Barbershops haben sie sich früher auch getroffen, referiert Püschel die Historie seiner Profession. Es seien Orte des Austauschs gewesen. So ist es auch bei Allawi, er kennt seine Kunden. Sie begrüßen sich mit Handschlag.
„Manche kommen sogar einmal die Woche“, erzählt Püschel. Während er berichtet, machen es sich zwei Gäste auf dem Sofa gemütlich. Warum sie zum Barbershop gingen und nicht zum Friseur? „Es ist besser und günstiger“, sagt Toni Eckel, er ist ein Freund Püschels und regelmäßiger Kunde zur Bartpflege. Kilian Muchenberger sieht es gleich und ist überzeugt davon, wie sie seinen Bart behandeln. 30 bis 45 Minuten sitzen die Kunden etwa im Friseurstuhl, bis Bart und Haar ansprechend bearbeitet sind.
Kritik an Friseurausbildung
Das Angebot ist übersichtlich: Haarschnitt und Bartschnitt. „Keine Frauen, kein Färben, keine Dauerwelle, dafür Augenbrauen zupfen und Wachsen“, präzisiert Püschel das Barberprogramm. „Herrenhaartrends sind mehr geworden. Da muss man sich entsprechend weiterbilden“, erklärt Püschel. An dieser Stelle sieht er die Lücke, die Barbershops füllen.
Püschel kritisiert die Friseurausbildung: „Von drei Jahren Ausbildung, beschäftigt man sich zwei Monate mit Herrenschnitten.“ Und noch mal holt er gegen die Lehre aus, die sich seiner Meinung nach zu wenig mit Herren auseinandersetzt: „Ich finde, dass Männer in den meisten Salons Lückenfüller sind.“
Der Friseurmeister in der Altstadt
Der Lückenbüßer-Falle wollen die Barber entgegenwirken. Alexandru Manea ist 30 Jahre alt, Friseurmeister und führt seit 2020 seinen eigenen Barbershop in der Überlinger Altstadt. Er ist zugleich der einzige Mitarbeiter seines Salon Aso. „Ohne sich selbst um Weiterbildungen zu kümmern, ohne Seminare oder Internet-Tutorials kann man kaum als spezialisierter Herrenfriseur arbeiten“, erläutert er.
Ironischerweise gebe es deshalb in den Barbershops so oft Leute ohne Ausbildung, weil sie andere Quellen haben. Laut des Friseurs lerne man in der Ausbildung nur etwa 20 Prozent der Herrenschnitte. „Viele Barbershops verlangen keine Ausbildung, weil ihnen die Fähigkeiten wichtiger sind als das Zertifikat“, sagt Manea.
Ausnahmslose Meisterpflicht ab den Ohren aufwärts
Joachim Hettler ist Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Bodenseekreis und damit auch der Friseur-Innung Bodensee. Er findet die Kritik zu scharf. „Der Herrenhaarschnitt wird sowohl in Teil eins als Basistechnik, als auch in Teil zwei der Gesellenprüfung geprüft.“ Auch Rasieren sei nach wie vor Teil des Ausbildungsplans und müsse in der zweiten Hälfte vermittelt werden. Allerdings sei es kein Prüfungsgegenstand mehr. Anregungen für die Erweiterung der Ausbildung nehme er jederzeit dankend entgegen.

Zum Verhältnis zwischen Barbern und Friseuren gibt es für Hettler keinen Anlass zur Diskussion, sofern sie ausschließlich Bartpflege betreiben. „Von den Ohren abwärts gibt es keine Meisterpflicht – ab den Ohren aufwärts gilt die ausnahmslose Meisterpflicht nach den Regelungen der Handwerksordnung“, erklärt der Geschäftsführer. Die führt allerdings einige Ausnahmen auf. Als Faustregel gilt: „Sobald das Haareschneiden hinzukommt, besteht die Pflicht, dass es einen qualifizierten Meister als Betriebsleiter gibt“, erläutert Hettler. Für geübte Barbiere sollte es kein Problem sein, diese Prüfung zu bestehen, fügt er hinzu.
„Der Einschätzung der Barber, dass es einen erhöhten Bedarf an Männerfrisuren gebe, stimme ich zu 100 Prozent zu“, sagt er. „Sie kommen einer allgemeinen Entwicklung nach.“ Dennoch werde erst die Zeit zeigen, ob es sich um einen Trend oder etwas von Dauer handle.