Überlingens Polizeichef Andreas Rieß hat zwei Töchter, 12 und 13 Jahre jung. „Ich lasse die beiden in Überlingen laufen, auch abends“, sagte der Erste Polizeihauptkommissar, als er jetzt vor dem Gemeinderat die Entwicklung der Kriminalität in und um Überlingen skizzierte. Warum der Vater Andreas Rieß nicht besorgt ist, wenn die Töchter außer Haus sind? „Wir haben eine sichere Stadt.“
Polizeibericht mit Applaus quittiert
Als „sehr langweilig“ charakterisierte Rieß zu Beginn seines Vortrags im Pfarrsaal das, was folgen sollte. Diese Einordnung stimmte. Insofern war es wenig spektakulär, was Rieß zu berichten hatte. Die Zuhörer werden die von Rieß präsentierte „Sicherheitslage in der Großen Kreisstadt Überlingen“ in erster Linie als beruhigend und erbaulich zur Kenntnis genommen haben. 1349 Straftaten hat die Polizei in Überlingen im vergangenen Jahr registriert, 322 weniger als im Jahr zuvor. Eine Debatte oder gar Kontroversen löste Rieß‘ Vortrag nicht aus. Der Gemeinderat verabschiedete ihn mit Applaus.

Sicher können sich die Überlinger auch in ihren Häusern oder Wohnungen fühlen. Fünf Einbruchsdiebstähle, sieben weniger als im Vorjahr, hat die Polizei 2024 registriert. „Kein Kernthema mehr“, sagt Rieß dazu. Der Rückgang mag auch mit Prävention und polizeilicher Präsenz zusammenhängen. Die Ordnungshüter wollen präsent bleiben, um die Zahl der Fälle niedrig zu halten.
Weniger Drogenfälle, mehr Sexualdelikte
Nach den jüngsten Messerangriffen erwähnte Rieß dieses „große, bestimmende Thema“ auch vor dem Überlinger Gemeinderat, ohne dass es in seinem Bericht über das heimische Geschehen vorkommen müsste. Zwei überregionale Tendenzen lassen sich auch aus den Überlinger Zahlen ablesen: Die Zahl der „Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz“ sinkt (minus 79 Delikte), die der „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ steigt (plus 12).
Ersteres hängt mit der Legalisierung von Cannabis zusammen. Seitdem Besitz und Anbau in einem gewissen Maße legal sind, gibt es die damit verbundenen Straftaten nicht mehr. Verstöße gebe es trotzdem weiterhin, sagte Rieß. In einem Fall habe die Polizei auf einem Überlinger Balkon 33 Marihuana-Pflanzen sichergestellt, 30 mehr, als erlaubt gewesen wären. Zur Erheiterung des Publikums prägte Rieß den Leitsatz: „Hast du zu viel, hast du nachher gar nichts mehr.“ Die Polizei habe alle 33 Pflanzen mitgenommen und den Bestand dieses Züchters auf null reduziert.
Die nominell steigende Zahl der Sexualstraftaten erklärt Rieß mit einem „geänderten Anzeigeverhalten“. Opfer solcher Taten sind heute mehr als früher bereit, die Straftat anzuzeigen. Und nur angezeigte Taten finden sich in der Kriminalitätsstatistik wieder, im sogenannten Hellfeld. Dagegen umfasst das „Dunkelfeld“ unbekannter Größe solche Taten, die nicht erfasst werden.
Frau übergibt Betrügern 100.000 Euro
Einen nicht in den Straftaten des vergangenen Jahres registrierten Fall, sondern ein ganz aktuelles Geschehen, hob Rieß hervor: Mitte April 2025 brachten Trickbetrüger eine Überlinger Seniorin um ihre Ersparnisse. Es waren mehr als 100.000 Euro. Die Masche: Morgens hatte eine Komplizin beim späteren Opfer geklingelt und von einem vermeintlich schweren Unfall der Tochter der Seniorin berichtet. Mittags meldeten sie sich erneut und verlangte nun nach Geld, um damit der Tochter zu helfen. Die alte Frau leerte ihr Bankschließfach und übergab den Inhalt der Fremden.
Die Tat wird erst in der Kriminalstatistik 2025 auftauchen, aber Rieß warnt jetzt schon: „Seien Sie übervorsichtig. Scheuen Sie sich nicht, die Polizei anzurufen. Wir kümmern uns.“ Wer sich nicht sicher sei, wen er am Telefon hat, solle am besten auflegen. Rieß mahnt auch, angeblichen Polizisten oder Staatsanwälten, die an der Tür klingeln, Geld auszuhändigen. „Das sind Betrüger.“ Nach seinen Erkenntnissen handelt es sich bei diesen nach verschiedensten Maschen vorgehenden Enkeltrickbetrügern um international agierende Banden, die gezielt nach Opfern suchen, deren Name auf ein gewisses Alter schließen lässt.
Betrunken auf dem E-Scooter
Im Gespräch mit dem SÜDKURIER machte Rieß nach der Gemeinderatssitzung auf ein Phänomen aufmerksam, das nicht Teil der Kriminalstatistik ist: Fahren mit E-Scootern unter Alkoholeinfluss. Rund 200 dieser „Elektrokleinstfahrzeuge“, so die behördliche Kategorie, stehen in Überlingen zum Mieten bereit. Nach Beobachtung der Polizei greifen zunehmend Menschen darauf zurück, um nach einem Abend in der Gastronomie auf zwei Rädern nach Hause zu kommen.
Der Haken an der Sache, offenbar vielen Menschen unbekannt: Für E-Scooter gelten dieselben Grenzwerte wie für Autos. Rieß bestätigt, dass E-Scooter-Fahrer wie andere Verkehrsteilnehmer mit Kontrollen rechnen müssen. Ab 0,5 Promille drohen Bußgeld, Punkte und Fahrverbot. Ab 1,1 Promille gilt absolute Fahruntüchtigkeit – eine Straftat.