Sandro Kipar

Die Stadt mit anderen Augen sehen ist gar nicht so schwer. Der erste Schritt ist schon getan, wenn das Gespräch mit Menschen gesucht wird, welche Bad Säckingen bereits mit einem anderen Blick betrachten. Morena Eckert ist so ein Mensch. Sie sitzt seit 2013 aufgrund einer Muskelerkrankung im Rollstuhl und setzt sich im Behindertenbeirat für die Belange von Menschen mit Behinderungen ein.

„Wir haben schon tolle Aktionen gemacht“, erzählt Morena von der Arbeit des Behindertenrates und erinnert sich an eine Sprühaktion vom August 2016, vergleichbar mit den Schriftzügen vor der Twitter-Zentrale, die sich Satiriker Shahak Shapira auf die Fahne geschrieben hat. Nur hat der Behindertenbeirat in Bad Säckingen keine Hass-Tweets auf die Gehwege gesprüht, sondern Hinweise auf nicht vorhandene Barrierefreiheit. Dazu gehören etwa fehlende Absenkungen auf den Gehsteigen, damit Rollstuhlfahrer problemlos eine Straße überqueren können, oder die Möglichkeit, eine Treppe zu umgehen. „Das Bewusstsein für diese Probleme fehlt in der Öffentlichkeit“, sagt Morena. „Auch im Internet ist das noch der Fall.“ Oft stehe auf Websites von Restaurants oder Veranstaltungen nichts zur Barrierefreiheit. Deswegen muss die 21-Jährige meistens anrufen und nachfragen, ob sie mit ihrem Rollstuhl überhaupt in die Gasträume gelangen könne.

Bei einem Spaziergang mit Morena wird schnell klar, dass die Thematik in Bad Säckingen noch in den Kinderschuhen steckt. Beim Startpunkt des Rundgangs im Schlosspark eröffnen sich ihr gleich mehrere Probleme: „Der hintere Teil des Parks bei der Konzertmuschel ist fast ausschließlich über Kieswege zu erreichen.“ Die erschweren das Vorankommen mit einem Rollstuhl. Die Rampe beim Eingang vom Schloss Schönau sei zwar ein guter Anfang, aber hier fehle noch ein Geländer. „Vor allem im Winter kann das gefährlich werden.“

Neuralgische Stellen für Rollstuhlfahrer: Interaktive Grafik


Schnell ist der Eindruck gewonnen, dass Morena vor allem an ihre Mitmenschen denkt, bevor sie nach sich selbst schaut. Vor dem Schlosspark sind die Gehwege abgesenkt, was für Rollstuhlfahrer eigentlich ideal ist. „Für Blinde ist das allerdings ein Problem“, erklärt sie. Ist der Gehweg zu stark abgeflacht, könnte ein Mensch mit Sehbehinderung nicht mehr so leicht zwischen Straße und Bürgersteig unterscheiden. An einer viel befahrenen Straße könne dies gefährlich werden.

In der Innenstadt von Bad Säckingen macht vor allem das Kopfsteinpflaster Probleme für die Rollstuhlfahrerin. Durch die unebene Beschaffenheit wird sie geradezu durchgeschüttelt. "Auf Dauer ist das schlecht für die Wirbelsäule", merkt sie an. "In Breisach gibt es in der Innenstadt einen Weg, der anders gepflastert ist und durch das Kopfsteinpflaster hindurch führt." Das sei für ihren Rollstuhl ideal.

Der Bahnhof ist die wohl größte Herausforderung für Morena. Der Weg zu Gleis zwei ist für sie zu steil, ohne Hilfe komme sie da nicht hoch. Der Boden vor der Behindertentoilette, die schlecht ausgeschildert ist, ist abschüssig.

Aber der Bussteig übertrifft das noch: Vom Bahnhof aus kommt sie mit dem Rollstuhl nicht direkt auf die Verkehrsinsel zu den Haltestellen. Möchte sie mit dem Bus fahren, muss Morena wie folgt vorgehen: Einen Umweg Richtung Bahnhofsgebäude machen, weil nur da der Bordstein abgeflacht ist. Dort auf die Straße, vorbei an fahrenden Autos Richtung Bussteig, den sie allerdings aufgrund fehlender Bordsteinabsenkung nicht hoch kommt. Von hier aus muss Morena auf sich aufmerksam machen und dem Busfahrer signalisieren, dass sie einsteigen möchte. Der Bus muss dafür seinen Halteplatz an der Verkehrsinsel verlassen und an den bahnhofsnahen Bordstein fahren. Die 21-Jährige muss dann den ganzen Weg wieder zurück, um schließlich in den Bus einzusteigen. Ein Vorgang, der nicht nur umständlich, sondern aufgrund des Verkehrs auch gefährlich ist. Außerdem sind die Busfahrer nicht immer aufmerksam: "Ich wurde auch schon stehen gelassen", fügt Morena hinzu.

Bei ihrem Fazit für die Barrierefreiheit von Bad Säckingen stellt Morena der Stadt ein schlechtes Zeugnis aus. Sie merkt aber an, dass Verbesserungen seitens der Stadtverwaltung angestrebt werden. Doch nicht nur die Stadt, auch Unternehmer und Bürger müssten für das Thema sensibilisiert werden. "Vielleicht kommt der Behindertenbeirat wie ein Meckerverein rüber, aber wir meinen das nicht böse. Wir wollen ein Bewusstsein für Barrierefreiheit schaffen", erklärt Morena. Dass der Beirat bei der Stadtplanung mehr eingebunden wird, ist ihr Wunsch für die Zukunft.

Die Serie

Menschen mit Behinderungen haben es nicht leicht im Alltag. Die Herausforderungen, auf die sie stoßen, werden ihren Mitmenschen nur selten bewusst. Die SÜDKURIER-Serie "Hürdenlauf" rückt Rollstuhlfahrer, Sehbehinderte oder Gehörlose in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Es wird auch der Frage nachgegangen, wie barrierefrei Bad Säckingen eigentlich ist und wo die Stadt nachbessern muss. Unter www.suedkurier.de werden die Erlebnisse mit den Interviewpartnern veranschaulicht.