Herr Kistler, die Verkehrssituation am Hochrhein ist komplex. Was sagen Sie zur Verkehrssituation im Landkreis?
Die Verkehrssituation ist in der Tat eines der zentralen und drängenden Probleme in unserer Region, deshalb kümmere ich mich besonders um diese Themen. Wir haben einen Nachholbedarf, das ist unbestritten. Lassen Sie mich aber mit dem Positiven beginnen: Es ist uns gelungen, dass wir mit all unseren brennenden Themen im Bundesverkehrswegeplan in den vordringlichen Bedarf aufgenommen wurden. Bei der Autobahn 98 wurde mit der Einbindung der Deges ein großer Schritt nach vorne getan. Planung und Realisierung der Abschnitte 6, 8 und 9 sowie die Abfahrt Hauenstein sind somit in einer Hand. Das sollte nun zügig vorangehen. Verkehrspolitik kann nur durch die Einbindung der verschiedenen Akteure gelingen. Aus diesem Gedanken heraus habe ich die Waldshuter Plattform angeregt. Die wichtigsten Vertreter sollen an einen Tisch sitzen und sich zielgerichtet um eine Lösung kümmern. Der Kreistag unterstützt dieses Vorgehen ebenfalls, auch das Land begrüßt die Waldshuter Plattform. Jetzt geht es darum, den Prozess mit der Deges zusammen in Gang zu bringen.
Wie sieht es bei den drei genannten Knotenpunkten nach derzeitigem Stand im Jahr 2030 aus?
Wenn Sie mich nach solch einem weit entfernten Ausblick fragen, muss ich den Dichter Antoine de Saint-Exupéry zu Hilfe holen. "Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen." In diesem Sinne sage ich, dass wir 2030 die Hochrheinbahn in elektrifizierter Form mit neuem zuverlässigem Zugmaterial und einen Halbstundentakt haben werden. Für die A 98 gilt: zumindest der Baubeginn sollte in allen Abschnitten erreicht worden sein. Wir reden jetzt über Zukunft, aber wir sehen auch: die Vergangenheit rächt sich. Dort, wo wir Baurecht haben, wird gebaut. Das heißt, es braucht jetzt Planfeststellungsbeschlüsse, um morgen bauen zu können. Nehmen Sie das Beispiel Umfahrung Oberlauchringen. Dort gab es dieses Baurecht und dort werden die Pläne bereits realisiert. Beim Thema Fluglärm, hoffe ich und glaube immer noch daran, dass wir 2030 einen Staatsvertrag haben, der für Südbaden und die Schweiz tragbare Lösungen beinhaltet.
Was sind Ihre verkehrspolitischen Ziele bis dahin und was lässt sich davon realistisch umsetzen?
Der Landkreis ist zwar weder für den Autobahnbau noch für die Elektrifizierung der Schiene zuständig, dennoch wollen wir Motor der regionalen Entwicklung sein. Deshalb richtet sich mein Engagement darauf, die Dinge anzuschieben. Wir arbeiten derzeit gemeinsam mit der Deutschen Bahn und dem Land an verschiedenen Themen. Die Elektrifizierung ist in der Entwurfs-und Genehmigungsplanung, der Vertrag mit der Deutschen Bahn dazu steht. Bei der A 98 machen wir Druck, zusammen mit der Deges will die Waldshuter Plattform einen regionalen Konsens erzielen, dann sollte es schneller gehen. Für uns ist klar: Es muss eine leistungsfähige Ost-Westverbindung her.
Viele Menschen fragen sich, warum gerade beim Straßenbau sich alles so lange hinauszögert. Was sind die Gründe?
Bei allen Großprojekten, von der Bundesebene bis hinunter zu den Kommunen, kann man diesen Trend beobachten. Das ist zu einem gewissen Grad auch der gesellschaftlichen Veränderung geschuldet. Verschiedene Interessengruppen wollen mitreden und das kostet Zeit. Viele Auflagen, die vor allem aus dem Umweltschutz kommen, sind komplex und zeitaufwendig. Bevor Sie bauen können, muss alles möglichst gerichtsfest sein. Im Hauruck-Verfahren setzt man heute nichts mehr um. Das ist ja auch gut so. Die andere Seite ist aber ein Verlust an Dynamik. Dadurch, dass viele unterschiedliche Interessenvertreter mitwirken und wir zusätzlich in ein enges Regelkorsett eingebunden sind, verlangsamen sich die Prozesse.
Was könnte die Realisierung der Projekte beschleunigen?
Meiner Ansicht nach ist hier vor allem der Gesetzgeber gefordert. Die Genehmigungsverfahren müssten einfacher und schlanker werden. Ich begrüße es deshalb, dass die Bundesregierung sich an einem Planungsbeschleunigungsgesetz arbeitet. Auch wenn es wie ein Wortungetüm klingt, in der Realität erhoffe ich mir davon eine Vereinfachung der Prozesse. Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass wir als Region an einem Strang ziehen müssen, wenn wir unsere Ziele schneller erreichen wollen.
Viele Menschen klagen über eine eklatante Zunahme des Schwerverkehrs auf den Bundes- und Landstraßen. Wo sehen Sie Möglichkeiten für Lösungen?
Ich kann den Unmut der Menschen verstehen und teile ihn auch. Man kann dem wachsenden Verkehr nur mit einem optimalen Verkehrsnetz entgegentreten. Die Ortsdurchfahrten müssen entlastet werden. Grimmelshofen ist ein negatives oder sagen wir noch nicht gelöstes Beispiel dafür. Auch wenn eine Umfahrung teuer ist, es geht um die Menschen nicht um ein schlechtes Nutzen-Kosten-Verhältnis. Der Landkreis versucht, mit der Stadt Stühlingen Abklärungen bereits jetzt zu treffen, damit man schneller umsetzen kann, wenn das Land dafür Kapazitäten hat. Positiv zu erwähnen ist hier Oberlauchringen und auch Jestetten ist ja in der Priorisierung des Landes weit nach vorne gerückt. Ein aktuelles Problem ist hingegen der Lastwagen-Stau. Der länderübergreifende Transitverkehr sollte auf die Schiene verlegt werden. Es gilt aber auch die Einsicht, man kann den Verkehr nur begrenzt steuern. Der Verkehr hängt ja direkt auch mit unserem Konsumverhalten zusammen. Online-Handel, dauernde Verfügbarkeit von Waren – das alles führt zu mehr Verkehr. Würde man den Handel wieder stärker in regionalen Kreisläufen halten, könnte das eine Verkehrsentlastung und ein Schub für die regionale Wirtschaft bringen. Noch ein Wort zur zweiten Rheinbrücke: Hier sind wir auch von der Schweiz abhängig. Wir stehen aber in guten Gesprächen mit dem Kanton Aargau, der Stadt Waldshut-Tiengen und dem Regionalverband, um eine Planung durch das Regierungspräsidium in die Wege leiten zu können.
Und wann steht die Hochrheinschiene unter Strom? Steht 2025 noch als Termin für die Fertigstellung der Elektrifizierung dieser Strecke?
Dieser Termin ist noch immer unser Ziel und ich sehe nicht, warum wir jetzt davon abrücken sollten. Alle Beteiligten arbeiten mit Hochdruck. Grundsätzlich halte ich nichts von zu engen Zeitplänen, wenn diese dann nicht eingehalten werden können.
Zur Person
Martin Kistler (42) ist seit September 2014 Landrat des Landkreises Waldshut. Er studierte Rechtswissenschaften an den Unis in Basel und Freiburg und arbeitete nach der Promotion als Rechtsanwalt in einer Waldshuter Kanzlei. Seine kommunalpolitische Laufbahn begann 1999 als Gemeinderat in seiner Heimatgemeinde Dogern. Von 2009 bis zur seiner Wahl zum Landrat (2014) war er Mitglied der FDP-Fraktion im Kreistag.