Im März kam die Diagnose: „Sie haben einen Hirntumor“. Eva Kaiser* (32) aus Stühlingen erinnert sich gut an diesen Moment. Wegen eines Taubheitsgefühls in den Armen und Beinen war sie zum Arzt gegangen. Ein verklemmter Nerv wird der Grund sein, hatte sie gedacht. Doch dann kam alles anders. „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen“, sagt Eva Kaiser. Ihre erste Frage: „Was passiert mit meinen Kindern, wie soll meine Familie das nur durchstehen?“
Drei Kinder im Alter von zwei, drei und 15 Jahren sind eigentlich auf ihre Mama angewiesen. „Ich war die Familienmanagerin, mein Mann selbstständig, meine Kinder noch so klein“, sagt Eva Kaiser. Sie schmeißt den Haushalt, organisiert den Familienalltag, tröstet bei Wehwehchen, liebkost in ruhigen Minuten. Mama ist eigentlich immer da. Jetzt ist sie krank: Erst Operation, dann Bestrahlung, dann Reha, dann Chemotherapie, vielleicht sogar über Jahre.
„Im ersten Augenblick war ich verzweifelt, wusste keinen Ausweg“, erinnert sie sich. Doch der Notfall ist lösbar. „Fällt der haushaltsführende Teil, der das Familienleben managt, durch Krankheit aus, springt die Dorfhelferin vorübergehend zu Hause ein“, sagt Gertrud Steßl (59), Einsatzleiterin bei der Caritas Hochrhein. Sie vermittelt den hilfesuchenden Familien eine Fachkraft des Dorfhelferinnenwerkes Sölden und unterstützt die Familie bei der Antragstellung. „Meistens muss das sehr schnell gehen“, so Steßl. „Dann geht es darum, von einem auf den anderen Tag eine ärztliche Verordnung und die Kostenübernahme der Krankenkasse zu regeln.“ Voraussetzung dafür ist, dass mindestens ein Kind unter zwölf Jahren oder ein behindertes Familienmitglied im Haushalt lebt.
„Übers Wochenende hatte die Caritas unsere Dorfhelferin organisiert“, erinnert sich Eva Kaiser. Seit April kommt Lucia Rendler (57) aus Blumegg von Montag bis Freitag in die Familie. Sie ist seit über 20 Jahren Dorfhelferin und wie viele ihrer Kolleginnen selbst dreifache Mutter und Großmutter. „Anfangs war es schon komisch, plötzlich einen fremden Menschen täglich in der Wohnung zu haben“, sagt Eva Kaiser. Aber sie lernen sich kennen und wachsen zusammen. „Bügeln, Autofahren, mit meinen Kleinkindern toben – das alles kann ich aktuell nicht, weil ich seit der Operation ein Taubheitsgefühl in der linken Körperhälfte habe“, sagt Eva Kaiser. Jetzt übernimmt Lucia Rendler diese Aufgaben. „Das ist nicht nur eine praktische sondern auch eine seelische Entlastung“, weiß Eva Kaiser, „meine Kleinen sollen nicht mitbekommen, wenn es mir nach der Bestrahlung miserabel geht – mit Lucia können sie unbeschwert Kind sein.“
Aber nicht nur bei Krankheiten sind Alltagshelfer wichtig. Die Bevölkerung wird immer älter. Bereits heute ist mehr als ein Viertel der Einwohner im Landkreis Waldshut über 60 Jahre alt – Tendenz steigend. Deshalb hat Hannelore Griener (73) Ende 2016 in Wehr den Nachbarschaftsverein „Miteinander – Füreinander“ gegründet. „Wir wollen vor allem Kranke, Ältere und pflegende Angehörige unterstützen“, sagt die rastlose Rentnerin, die selbst viele Jahre in der Altenpflege tätig war. „Niemand soll alleine sein – deshalb engagieren sich in unserem Verein Bürger für ihre Mitmenschen.“
Eine Dame, die auf die Nachbarschaftshilfe angewiesen ist, ist Edith Rösch. Die 79-Jährige ist fast blind. „Nur Umrisse kann ich erkennen“, sagt sie. Seit vor drei Jahren ihr Mann verstorben ist, lebt sie alleine. Den Herd anmachen, eine Telefonnummer tippen – Kleinigkeiten waren anfangs ohne Hilfe schwierig zu meistern für die Sehbehinderte. „Mittlerweile finde ich mich in der Wohnung gut zurecht“, sagt Edith Rösch, „nur das Haus verlassen kann ich alleine nicht mehr“.
Doch Arztbesuche stehen fast wöchentlich auf dem Terminkalender, Einkäufe müssen erledigt werden. „Ich hatte lange eine riesige Scheu davor, Hilfe anzunehmen“, erinnert sich Edith Rösch, „schließlich habe ich immer alles selbst in der Hand gehabt und wollte niemandem zur Last fallen“. Doch durch ein Gespräch mit Hannelore Griener lässt sie den ersten Kontakt zu einem Nachbarschaftshelfer zu, der mittlerweile jede Woche bei der Rentnerin vorbeischaut. „Wir gehen zusammen einkaufen, meinen Mann auf dem Friedhof besuchen oder spazieren – das ist so viel wert“, sagt Edith Rösch. Manchmal essen die beiden auch nur ein Stückchen Kuchen, teilen Erinnerungen. „Ohne das Angebot von Frau Griener wäre ich in einem Heim, ich bin ihr unendlich dankbar und habe dadurch wieder ein lebenswertes Leben – ohne Schuldgefühle.“ Schuldgefühle deshalb, weil sie niemanden bitten muss, um niemandens Verfügbarkeit bangen muss. „Ich zahle 11,50 Euro pro Stunde und das mache ich gerne“, sagt Edith Rösch. „Das Geld schafft Unsicherheiten beiseite: Der Helfer hat ein kleines Taschengeld und ich Unterstützung, die nicht abspringt, sondern auf die zu 100 Prozent Verlass ist.“
Viele der 18 Nachbarschaftshelfer in Wehr haben selbst bereits das Rentenalter erreicht, wie Klaus Lau (69). Mit Fahrdiensten für Mitmenschen und Bedürftige verbringt er seine Pension. „Anderen Menschen zu helfen, macht mir Freude. Das gibt meinem eigenen Rentenalter einen Sinn“, sagt Lau. (*Name von der Redaktion geändert)
Hier bekommen Sie im Notfall Unterstützung
- .Dorfhelferinnenwerk: Fiel früher auf einem Bauernhof mit vielen Kindern die Mutter wegen Krankheit aus, herrschte Chaos in der Familie. Deshalb gründete sich das Dorfhelferinnenwerk Sölden vor über 60 Jahren.Wann? Zum Einsatz auf Kassenkosten kommen im Landkreis Wadshut rund 30 Dorfhelferinnen, wenn der Haushaltsmanager wegen Krankheit, Kuraufenthalt, Risikoschwangerschaft, psychischer Erkrankung oder anderen Notsituationen ausfällt und Kinder unter zwölf Jahren oder Behinderte im Haushalt leben. Was? Hauswirtschaftliche Versorgung der Familie und pädagogische sowie pflegerische Betreuung der Kinder. Kontakt: Caritas Sozialstationen Hochrhein, Telefon: 07751/919 99 44, E-Mail: gertrud.stessl@caritas-hochrhein.de, Internet: www.dorfhelferinnenwerk.de
- .Nachbarschaftshilfe: „Miteinander – Füreinander“ heißt der Verein in Wehr.
- .Familienpaten: Durch langfristige Begleitung einer Familie soll bei dem ehrenamtlichen Angebot in schwierigen Lebenslagen und komplizierten Erziehungsfragen Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden. Wann? Sind Kinder in der Familie, begleiten im Kreis Waldshut 16 Familienpaten durch Veränderungsphasen wie Trennungen, Trauer, Krankheit, Mehrlingsgeburten oder Schicksalsschläge. Vor allem in Südschwarzwaldgemeinden wie Ühlingen-Birkendorf, Grafenhausen und Rickenbach wird noch Verstärkung gesucht.Was? Begleitung, Beratung und Unterstützung von Mensch zu Mensch und ganz speziell auch für Kinder. Kontakt: Diakonisches Werk Hochrhein, Telefon: 0152/01 85 65 92, E-Mail: familienpaten@dw-hochrhein.de, Internet: www.dw-hochrhein.de