Der Drogendeal bei der Sportanlage Bustelbach in Stein im Kanton Aargau, gegenüber von Bad Säckingen, endete beinahe mit zwei Toten. Zwei junge Drogenverkäufer wurden durch Messerstiche schwer verletzt, der Käufer musste sich später vor dem Bezirksgericht Rheinfelden verantworten. Im Oktober 2023 verurteilte ihn das Gericht wegen mehrfach versuchten Mordes zu elf Jahren Haft.

Gemäß Anklage hatte sich der damals 19-jährige Mann aus dem Balkan mit zwei Verkäufern zur Übergabe von 100 Gramm MDMA-Kristallen – einer Partydroge, vergleichbar mit Ecstasy – zum Preis von 1100 Franken verabredet. Doch der Beschuldigte hatte kein Geld dabei. Stattdessen führte er ein Couvert voller Papier mit, um die Verkäufer zu täuschen – begleitet von einem kräftig gebauten Kollegen.

Mit dem Drogensack zum Fluchtwagen gerannt

Als einer der Dealer das falsche Couvert öffnete, eskalierte die Situation. Der Beschuldigte soll mehrmals mit einem Messer auf die beiden Männer eingestochen haben. Er und sein Begleiter flohen mit dem Drogensack in Richtung Fluchtwagen, in dem eine dritte Person wartete. Einer der beiden Drogenverkäufer musste notoperiert werden. Das Bezirksgericht Rheinfelden wertete damals „das unvermittelte Zustechen als krasse Missachtung fremden Lebens“.

Jüngst kam es vor dem Obergericht zur Berufungsverhandlung. Wie bereits vor erster Instanz forderte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 16 Jahren sowie einen Landesverweis von 15 Jahren. Neben dem Verletzungsbild und der Vorbereitung der Tat sah sie den mehrfachen versuchten Mord durch die konsistenten Aussagen der beiden Opfer sowie durch den Begleiter des Beschuldigten erstellt. „Auch dieser berichtete in seiner Erstaussage von einem unvermittelten Einsatz des Messers“, so der Staatsanwalt.

Später revidierte der Begleiter des Beschuldigten jedoch seine Erstaussage und erklärte, auch die Verkäufer hätten ein Messer bei sich gehabt. Der Beschuldigte sagte vor dem Obergericht, er habe während des Treffens einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten, Blut gesehen und ebenfalls ein Messer bei den Dealern wahrgenommen. Dass er die Verkäufer täuschen wollte, bestritt er nicht. „Ich habe zwar mit dem Messer gezielt, wollte aber nicht den Oberkörper treffen – sie sollten nur Abstand von mir nehmen“, so der Beschuldigte.

Willkür bei der Beweisführung?

Der Verteidiger warf dem Bezirksgericht bei der Beweiswürdigung Willkür vor und kritisierte eine Verletzung des Anklageprinzips. Der Ablauf, wer als erstes und zweites die Stichverletzungen erlitten habe, sei verdreht worden. Es sei nicht erstellt, dass sein Mandant unvermittelt zugestochen habe. Der Verteidiger verwies zudem auf eine Zeugin, die lediglich einen Tumult wahrgenommen habe.

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Für seinen Mandanten forderte er eine Freiheitsstrafe von höchstens sieben Jahren – wegen einfacher versuchter eventualvorsätzlicher Tötung sowie qualifizierter Körperverletzung. Auf einen Landesverweis sei zu verzichten. Wie der Beschuldigte sagte, beherrsche er die Sprache seines Herkunftslandes nicht und habe in diesem lediglich einen Onkel, mit dem er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte.

Der Mann entschuldigt sich

In seinem Schlusswort zeigte sich der Beschuldigte geläutert. Er entschuldigte sich direkt bei einem der beiden Opfer – das zweite war nicht anwesend – und bat das Obergericht um eine zweite Chance.

Das Obergericht sprach den Angeklagten der mehrfach versuchten eventualvorsätzlichen Tötung schuldig. Zudem verurteilte es ihn wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittel- und Waffengesetz sowie wegen Konsums von Betäubungsmitteln. Es setzte eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren, 180 Tagessätzen à 10 Franken und eine Busse von 1500 Franken fest. Zusätzlich ordnete es eine vollzugsbegleitende ambulante Massnahme an.

Opfer haben nur durch Zufall überlebt

Gerichtspräsident Jann Six erklärte, der Beschuldigte habe nicht von Anfang an den Plan gehabt, beide umzubringen. „Sie wollten einen Drogenbeschiss machen. Doch das Ganze ist aus dem Ruder gelaufen. Der Beschuldigte fasste dann den Entschluss, das Messer zu nehmen und auf die anderen einzustechen. Es ist nur dem Zufall zu verdanken, dass die Opfer überlebt haben.“ Zwar könne man die Mordqualifikation knapp verneinen. „Sie haben aber durch den Einsatz des Messers in Richtung Oberkörper mindestens in Kauf genommen, dass die anderen sterben.“

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Anders als die erste Instanz verwies das Obergericht den Beschuldigten des Landes – für die Dauer von zwölf Jahren. Zwar könne man von einem Härtefall ausgehen: Der Beschuldigte sei hier geboren und aufgewachsen, habe Familie und Verwandte in der Schweiz. Doch überwiege das öffentliche Interesse an seiner Wegweisung jenes am privaten Verbleib. „Wir haben es hier mit zwei happigen Straftaten zu tun, bei denen es um das höchste Rechtsgut – das Leben – geht“, sagte Six. „Da müssten schon außerordentlich gewichtige Gründe vorliegen, um einen Verbleib zu rechtfertigen.“

In Tränen aufgelöst verließ der Beschuldigte den Gerichtssaal, begleitet von zwei Polizisten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwaltschaft und Beschuldigter können innerhalb einer Frist nach Zustellung des schriftlichen Urteils Beschwerde beim Bundesgericht einlegen.

Der Autor ist Redakteur bei der „Aargauer Zeitung“. Dort ist der Beitrag auch zuerst erschienen.