Immer mehr Menschen in unserer Region haben keine Hausärztin oder keinen Hausarzt mehr. Oft weil sie in der näheren und weiteren Umgebung ihres Wohnorts keine Praxis finden, die noch neue Patienten annimmt. Dieses Problem ist der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) bekannt. „Das sehen auch wir mit Sorge“, bestätigt Sprecherin Eva Frien auf Anfrage. Aber woran liegt das? Besteht in den Landkreisen Waldshut und Lörrach eine Unterversorgung mit Hausärztinnen und Hausärzten?
Region gilt nicht als unterversorgt
Nein. Zumindest nicht nach der jährlichen Bedarfsplanung der KVBW für 2020. Denn hier finden sich für alle Kreise und Regionen in Baden-Württemberg, die jeweils den „Planungsbereichen“ entsprechen, die Versorgungsgrade mit Haus- und Fachärzten. Und diesen Werten zufolge sieht es in den Landkreisen Waldshut und Lörrach laut Frien „noch ganz gut aus“.
Ein Versorgungsgrad von 100 Prozent entspricht dem angestrebten Soll-Wert: der bundesweit einheitlich definierten Vollversorgung der Region mit Allgemeinmedizinern, das sind derzeit 1609 Einwohner je Hausarzt. Unsere Region gilt darum derzeit keineswegs als Problemgebiet. Im Landkreis Lörrach liegt der Versorgungsgrad über 100 Prozent und auch im Landkreis Waldshut ist man mit 93,75 Prozent noch weit vom Grenzwert von 75 Prozent entfernt, der laut Bedarfsplanung als Unterversorgung gilt.
Denn: Geht man von der Einwohnerzahl des Landkreises Waldshut aus, teilen sich hier rein rechnerisch 1710 Einwohner eine Hausärztin oder einen Hausarzt. Im westlichen Nachbarkreis Lörrach sind es 1634. Nach dieser einfachen Rechnung müsste eigentlich alles gut sein. Und trotzdem finden Menschen keine Hausärztin und keinen Hausarzt?
Klarer wird die Problematik, wenn man sich die regionalen Gegebenheiten ansieht. So gibt es im Waldshuter Kreisgebiet mehrere Gemeinden ganz ohne Hausarztpraxis im Ort, wie beispielsweise Dachsberg oder Dettighofen. Andernorts, vor allem in den großen Städten am Rhein, praktizieren gleich mehrere Allgemeinmediziner. In Bad Säckingen sind es laut Versorgungsbericht 2020 der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg 13, in Waldshut-Tiengen 8 Ärztinnen und Ärzte, die die hausärztliche Betreuung von Patienten übernehmen.
Politik legt Sollwert fest
Doch – und dies ist ein weiterer Aspekt der angespannten Situation in der Region – der Versorgungsgrad hat selbst einen entscheidenden Haken, wie Eva Frien erläutert: „Die Zahl basiert jedoch nicht auf einer Versorgungsanalyse, sondern ist von der Politik vorgegeben worden, um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen und die Zahl der niedergelassenen Ärzte zu begrenzen (als die Zahl noch zu hoch war).“
Übersteigt der Versorgungsgrad an Hausärzten 110 Prozent, darf sich kein weiterer Hausarzt hier niederlassen. Das gilt bis heute bundesweit und ist ein aus politischer Sicht gutes Mittel der Regulation – allerdings aus einer Zeit, in der es noch viele Mediziner gab, die sich niederlassen wollten.
Suche nach Lösungen
Doch mittlerweile ist klar: Der Ärztemangel ist längst Realität, vor allem in ländlichen Regionen wie am Hochrhein, wo zusätzlich attraktive Bedingungen in der Schweiz Mediziner anziehen. Darum wundert es nicht, dass derzeit nicht nur Städte und Gemeinden in Eigenregie Ärzte anwerben und, wie beispielsweise im Fall von Wehr, sogar beschäftigen möchten, sondern auch regionenübergreifend nach Lösungen gesucht wird.
Hoffnungen liegen dabei unter anderem auf Medizinern aus dem Ausland und den Fragen, wie sich diese anwerben lassen, man ihre Ausbildung anerkennen und sie beschäftigen kann. Initiator einer digitalen Vernetzungsveranstaltung zu diesem Thema Mitte Oktober: Das vom Landeswirtschaftsministerium unterstützte „Welcome Center Schwarzwald-Baar-Heuberg und Hochrhein-Bodensee„, das bei der Wirtschaftsförderung und der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg angesiedelt ist. Eine Aufgabe dieses Welcome Centers: Arbeitgeber, die ausländische Fachkräfte einstellen möchten, erhalten hier kostenfreie Hilfe und es gibt Beratungsangebote bei der Suche nach Fachkräften, Fragen zu Einreise oder Aufenthaltsrecht.
Ärzte aus dem Ausland sind aber nur ein Ansatz. Ein zweiter kommt aus Stuttgart: Doch ob die eingeführte Landarzt-Quote, in deren Rahmen sich eine bestimmte Zahl von Medizinstudenten verpflichtet, einige Jahre im ländlichen Raum zu praktizieren, weiterhelfen wird, bleibt abzuwarten. Der Start dieses Förderprogramms ist erst zum Wintersemester 20/21 erfolgt. Auch die KVBW ist aktiv: „Wir unternehmen große Anstrengungen, um gerade im ländlichen Raum die Versorgung aufrecht zu erhalten“, heißt es auf Anfrage. Dies unter anderem mit telemedizinischen Projekten und speziellen Förderungspaketen. „Dennoch ist es aus den verschiedensten Gründen nicht einfach, den Ärzten die Niederlassung im ländlichen Raum schmackhaft zu machen“, so Frien.
Fast die Hälfte der Hausärzte sind über 60
Und die Situation am Hochrhein wird sich in den kommenden Jahren wohl noch erheblich zuspitzen: Rund ein Viertel aller praktizierenden Hausärztinnen und Hausärzte im Kreis Waldshut ist älter als 65 Jahre und steht damit kurz vor dem Ruhestand. Fast die Hälfte ist 60 Jahre als oder älter. Aus jetziger Sicht kaum vorstellbar, dass noch bis vor einigen Jahren Hausärzte ihre Praxen mit Erreichen des 68. Lebensjahres aufgeben mussten.
In welchen Gemeinden in den kommenden Jahren das Ausscheiden von Medizinern aus Altersgründen zu erwarten ist, lässt sich nicht abschätzen, denn aus datenschutzrechtlichen Gründen gibt die KVBW über das Alter der Ärztinnen und Ärzte in den einzelnen Gemeinden keine Auskunft. „Doch ganz allgemein gehen wir davon aus, dass wir in den nächsten Jahren etwa 500 Hausarztpraxen [im Land] nicht nachbesetzen können. Das betrifft nicht nur den ländlichen Raum, sondern auch die Städte. Wir können heute aber sagen, dass es für einen Praxisinhaber umso schwerer wird, eine Praxis nachzubesetzen, je ländlicher der Raum und je kleiner die Praxis ist“, so die KVBW-Sprecherin Frien.
Und was unternimmt die KVBW ganz konkret? Grundsätzlich will die KVBW, die Versorgung verbessern, so etwa mit dem Programm „Ziel und Zukunft: Wir – die Ärzte und Psychotherapeuten in Baden-Württemberg„ (ZuZ). „Damit werden gezielt die Ärzte und Psychotherapeuten gefördert, die sich in einem besonders ‚bedürftigen‘ Gebiet niederlassen“, erklärt Eva Frien. Und dann wird es doch noch deutlich: Auch im Kreis Waldshut gibt es Gemeinden, die als Fördergemeinden für Hausärzte gelten und wo Hausärztinnen und -ärzte von diesem ZuZ-Paket profitieren können: die Stadt Waldshut-Tiengen, Albbruck, Wutöschingen, Hohentengen und Weilheim.