Die Ärzteversorgung im Landkreis Waldshut wird zunehmend prekärer: Verschiedene Gemeinden versuchen Hausärzte mit Angeboten zu locken. Doch das funktioniert bisweilen auch nur auf Kosten anderer Kommunen. Besorgniserregend ist die Perspektive der nächsten Jahre: Fast die Hälfte der Hausärzte im Kreis ist über 60 Jahre alt. Das sagt eine Studie im Auftrag des Landkreises. Ein Drittel ist sogar über 65 Jahre. Nachfolger sind nicht in Sicht. Jeder kann sich ausrechnen, wohin das führt. 

Es geht aber auch anders: Ein Beispiel aus Todtnau im Nachbarlandkreis Lörrach zeigt das. Dort weit hinten im oberen Wiesental gibt es ein Gesundheitszentrum, das die Bezeichnung wahrlich verdient. Dr. Thomas Honeck, seit den 1970er Jahren Landarzt in Todtnau, hat es aufgebaut. Die beeindruckenden Eckdaten des Gesundheitszentrums: zwei Standorte, zwölf Ärzte, 35 Beschäftigte in der medizinischen Assistenz und der Verwaltung. Damit sind die beiden Städte Todtnau und Schönau bestens versorgt – und zwar auf Dauer.

Wieso funktioniert so etwas im oberen Wiesental und hier im Landkreis Waldshut nicht?

Wahrscheinlich brauchte es dafür einen Taktgeber mit Weitsicht und Hartnäckigkeit. Und es braucht eine Familie, die mitzieht, am besten zwei Kinder, die Arzt werden wollen, und einen Partner, auf den man sich verlassen kann.

Ärzteversorgung: So sieht es im Kreis Waldshut aus

Thomas Honeck war der Taktgeber und ist das, was man einen Visionär nennt. „Mir wurde irgendwann klar, dass meine alte Landarztpraxis nicht mehr zukunftsfähig ist“, erinnert sich der Mediziner. Und das war vor über 20 Jahren in den 90er Jahren. Der heute 73-Jährige hat bereits zu einem Zeitpunkt über die Zukunft die Ärzteversorgung nachgedacht, als weder Politik noch Kassenärztliche Vereinigung (KV) das Wort überhaupt kannten.

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Es waren zwei Punkte, die Thomas Honeck umgetrieben haben: Eine Gesetzesänderung 1988 und später die Ankündigung von zwei seiner drei Kinder, ebenfalls Medizin zu studieren. Die besagte Gesetzesänderung nennt Honeck, „unheilvoll“ – nämlich die Trennung der ärztlichen Tätigkeit in „hausärztliche und fachärztliche Tätigkeit“.

Landärzte wurden wirtschaftlich geschwächt

Der Mediziner erklärt es so: Nach der Novellierung des Sozialgesetzbuches 1988 durfte ein Hausarzt keine Facharzttätigkeiten mehr ausführen. Bei ihm waren es beispielsweise die Radiologie oder kleine chirurgische Eingriffe. Beides sucht man heute bei einem Landarzt vergeblich.

Die Folgen beschreibt Honeck so: Der Wegfall solcher Leistungen führte zu einer Schwächung des ärztlichen Angebotes und zur wirtschaftlichen Schwächung der Landpraxen. Kein Wunder, das pensionsreife Landärzte bis heute kaum Nachfolger finden, meint er.

Moderne medizinische Technik macht fachärztliche Untersuchungen in Todtnau möglich: Dr. Thomas Honeck zeigt das Gerät für die ...
Moderne medizinische Technik macht fachärztliche Untersuchungen in Todtnau möglich: Dr. Thomas Honeck zeigt das Gerät für die Echokardiographie. | Bild: Gerber, Andreas

Thomas Honeck ist auch das, was man einen Macher nennt. Den hochgewachsenen, hageren Mann zeichnet seine Hartnäckigkeit aus und die Tatsache, dass er zuweilen sehr ungemütlich werden kann. Genau davon kann auch die Kassenärztliche Vereinigung ein langes Lied singen. Aber wahrscheinlich kam Honeck nur so zu dem, was er heute aufgebaut hat.

Nach der Gesetzesänderung erkämpfte er sich noch einige Jahre eine Ausnahmegenehmigung. „Das gelang uns bis 2000“, sagt Honeck. „Der folgende Verlust meiner bis dahin erbrachten fachärztlichen Leistungen war existenzbedrohend für die Praxis“, denkt er zurück.

Zu seiner Sorge um die Praxis kam noch der Wunsch seiner Tochter Andrea und seines Sohnes Martin, ebenfalls Landärzte zu werden. So kann man die gedankliche Keimzelle des Gesundheitszentrums zu Beginn der 2000er verorten. „Hier war die Initialzündung für die Gründung unseres Zentrums“, sagt Honeck. Die Entwicklung der darauffolgenden Jahre war ein steiniger Weg, „uns hat man immer wieder Prügeln zwischen die Beine geworfen.“

So sehen die großen Marksteine entlang des Weges aus

Kauf des Verwaltungsgebäudes der umgesiedelten Maschinenbaufirma Zahoransky zusammen mit der Physiotherapiepraxis Bertold Wunderle, gemeinsame Sanierung und Umbau, Eröffnung 2005, Integration einer Ergotherapiepraxis, räumliche Möglichkeiten für weitere Branchenbetriebe wie etwa Apotheke. Gesamt stehen hier 2000 Quadratmeter zur Verfügung.

Blick in die langen Flure des Gesundheitszentrums.
Blick in die langen Flure des Gesundheitszentrums. | Bild: Gerber, Andreas

Im ersten OG fand Honecks neue Praxis ihren Standort auf 500 Quadratmetern, aus ihr wurde eine BAG, eine Berufsausübungsgesellschaft von vier Ärzten. Auch diese Geschichte gehört noch zum steinigen Weg. Honecks Tochter und Sohn übernahmen nach dem Studium Arztsitze von scheidenden Medizinern im oberen Wiesental und integrierten diese ins Gesundheitszentrum. „Auch das führte immer wieder zu Kämpfen mit der KV“, so der Mediziner.

Heute hat die BAG vier Gesellschafter, Honeck selbst, seine beiden Kinder und mit Dr. Bela Ertl einen vierten Teilhaber. Die BAG beschäftigt zudem vier angestellte Ärzte, und als akademische Lehrpraxis der Uni Freiburg sind durchgehend vier Weiterbildungsassistenten an Bord – „Jungärzte mit Examen, die zum Beispiel den Facharzt machen“, berichtet Honeck. Daneben sorgen 35 Angestellte im medizinischen Fachbereich und in Verwaltung für den Praxisbetrieb, geführt werden sie von einer Praxismanagerin mit Dualem Studium.

Was ist der Vorteil einer solchen Großpraxis?

„Das liegt auf der Hand“, sagt Honeck, ein angestellter Mediziner hat kein wirtschaftliches Risiko, er hat bedeutend weniger administrative Aufgaben, Arbeitszeiten lassen sich viel flexibler realisieren und es gibt die Möglichkeit für Teilzeit, also für Familie und Freizeit.“

Mediziner und Angestellte fühlen sich wohl in Todtnau.
Mediziner und Angestellte fühlen sich wohl in Todtnau. | Bild: Gesundheitszentrum Todtnau

Doch das ist lange nicht alles. Honeck hat es gegen viele Widerstände geschafft, auch Fachärzte in sein Gesundheitszentrum zu holen. Verschiedene Spezialisten haben in bestimmten Abständen Sprechstunden in seiner Großpraxis: Die Fachärzte mit Praxen weiter entfernten größeren Städten betreiben heute in Todtnau sogenannte „Nebenbetriebsstätten“.

Die Struktur des Gesundheitszentrums Todtnau

Heute hat das Obere Wiesental mit Schönau und Todtnau dank des Ärztezentrums eine selten gute allgemein- und fachärztliche Versorgung und auch eine Perspektive für die Zukunft. In der Notfallmedizin steht der Landstrich ebenfalls wesentlich besser da als andere. Angedockt ans Gesundheitszentrum ist auch ein Notarzt-Standort.

Dr. Thomas Honeck in einem der beiden Operationsräume.
Dr. Thomas Honeck in einem der beiden Operationsräume. | Bild: Gerber, Andreas

Entsprechend professionell sieht die Großpraxis auch aus. Zahlreiche Sprechzimmer, zwei Operationsräume, Röntgenraum, Unfallraum, Räume für EKG etc., Labor, Sterilisationsraum, und ein Raum mit einem Gerät für Echokardiographie zur Duplex-Untersuchung von Venen und Arterien. Alles eine Ausstattung, die wohl keine Praxis auf dem Land hat. „Wir haben hier zum Teil Diagnostik, die uns keine Kasse vergütet.“ Aber eine gute Ausstattung erhöhe die Qualität der ärztlichen Arbeit – und auch den Anreiz für junge Ärzte, zwinkert er.

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