Es ist kurz nach 19 Uhr als die Übung beginnt. Plötzlich piepst das Handy von Jonas Widmer. Der Einsatzleiter der Bergwacht Schwarzwald bekommt eine Alarmmeldung: Fünf Wanderer werden seit Mittag vermisst. Der letzte Hinweis ist ein Social-Media-Post an der Muckenlochhütte im Schwarzatal – über vier Stunden alt.
Es geht los. Über 40 Bergretter sind in Höchenschwand versammelt. Dort findet heute die große Bereichsübung der fünf Bergwachten Höchenschwand, Todtmoos, Wutach, Bernau und Menzenschwand statt. Widmer muss nun für Struktur sorgen – der Abend wird lang.

Mitten im Chaos den Überblick behalten
Seit zwei Jahren übernimmt Widmer regelmäßig die Rolle des Einsatzleiters vom Dienst (EvD) in der Bergwacht Schwarzwald. Seit neun Jahren gehört er zur Ortsgruppe Höchenschwand. Seine Motivation damals: ein Infoflyer – und die Liebe zum Wandern und Klettern. Als EvD ist er eine Woche lang rund um die Uhr einsatzbereit. Danach übernimmt ein Kollege.

Diese Woche ist Widmer dran. Normalerweise rückt bei einem Notruf nur die nächstgelegene Ortsgruppe aus. Der EvD ist dann in der Koordination tätig. Heute jedoch muss er den Einsatz mit mehr als 40 statt nur fünf Retterinnen und Rettern koordinieren.
Die Lage beruhigt sich etwas. Widmer bespricht sich mit den Gruppenführern der Einsatzfahrzeuge. Schnell fällt er eine Entscheidung: „Wir verlegen die Teams zur Hütte und suchen von dort aus.“
Im Einsatz, wo für andere Schluss ist
„Die Suche nach Vermissten gehört zu unserer Hauptaufgabe als Bergretter“, erklärt Markus Baumgartner, Bereichsleiter der Bergwacht Todtmoos. Meist handelt es sich aber auch um verunglückte Wanderer oder Mountainbiker, gelegentlich auch Gleitschirmflieger.
„Wir kommen dorthin, wo der Rettungsdienst nicht hinkommt“, sagt Baumgartner. Ob auf steilen Waldpfaden oder schwer zugänglichem Terrain – die Retter haben alles dabei, was auch ein regulärer Rettungswagen mitführt. Medizinisch seien sie auf dem Niveau von Rettungssanitätern ausgebildet.

Ausbildung, die Leben rettet
Bereits ab zehn Jahren können Jugendliche in die Jugendbergwacht eintreten. Mit 14 beginnt eine fundierte Ausbildung: Notfallmedizin, alpine Grundlagen, Orientierung, Naturschutz und Pistenrettung. Dazu Sommer- und Wintertests sowie regelmäßige Übungen. Ab 16 darf im Dienstbetrieb mitgelaufen werden, mit 18 ist man dann einsatzberechtigt – Fortbildungen inklusive.

„Nachwuchsmangel haben wir nicht“, sagt Baumgartner. Die größere Herausforderung sei, die Ehrenamtlichen zu halten – Baumgartner sagt, „viele ziehen zum Studieren oder Arbeiten weg.“ Dafür kämen immer mehr Quereinsteiger zur Bergwacht. Auch Widmer war einer von ihnen. Mit 18 Jahren stieß er zur Truppe.
Aufteilung in Suchtrupps
An der Hütte beginnt der erste Einsatzteil. Widmer bleibt ruhig, studiert digitale Karten der Umgebung. Rund um den Rappenfelsen verlaufen mehrere Wanderrouten. Sechs mögliche Strecken identifiziert er. Schnell gibt er Anweisungen: Wer sucht wo? Er selbst bleibt im Tal und koordiniert per Funk.
Ständig kommen Rückmeldungen der Trupps. Immer wieder prüft Widmer die Karten, versucht abzuschätzen, wo sich die Vermissten befinden könnten. Dann der erste Fund: Ein Patient liegt unterhalb eines Wanderwegs. Laut Funkspruch befinden sich die anderen im Umkreis. Weitere Suchteams werden zusammengezogen – doch plötzlich unterbricht ein echter Alarm die Übung.
Ein Piepsen verändert den Abend
Der Piepser schlägt Alarm – diesmal echt. Aus der Übung wird in Sekunden Ernst. Widmer schaltet sofort um, übergibt die Übungsleitung. Nur die Ortsgruppe Todtmoos rückt aus – sie ist dem Einsatzort theoretisch am nächsten. Mit Blaulicht geht es aus dem Tal. Wegen schlechter Netzabdeckung erreicht Widmer die Leitstelle erst später auf der Landstraße.
„Normalerweise verläuft ein Einsatz weniger hektisch“, sagt Widmer. Weil die Retter ehrenamtlich arbeiten, hat man normalerweise fünf Minuten Vorlauf. Heute muss alles im Auto funktionieren. Neben ihm sitzt Baumgartner, der Rest folgt im Kleinbus.
Die Leitstelle meldet: Ein junger Mann spürt Hände und Füße nicht mehr. Anders als bei der Übung sind genaue Koordinaten verfügbar – es geht zum Schluchsee. 20 Kilometer entfernt. 20 Minuten nach der Alarmierung treffen die Retter am Ort ein. Schnelle Entwarnung: Der Patient sitzt nahe am Weg, Rettungssanitäter kümmern sich bereits um ihn. Widmer spricht kurz mit ihnen, dann ist klar: keine Unterstützung nötig.
„Wir wurden alarmiert, weil der Standort abseits der Straße lag“, erklärt Widmer. Doch die Sanitäter waren schneller – und zu Fuß vor Ort. Es komme vor, dass die Rettungssanitäter vor ihnen am Ort eintreffen. „Ich fahre aber lieber einmal zu oft“, sagt Widmer.
Übung geht bis in die Nacht
45 Minuten nach dem Ernstfall geht es zurück zur Übung. Über Funk hört Widmer die Stimmen der anderen Bergwachten. Er lotst die Fahrzeuge über Waldwege zurück zur Einsatzstelle. Mittlerweile ist es dunkel, die Stirnlampen leuchten. Alle Patienten wurden gefunden, einer ist schon geborgen.
Zwei Teams kümmern sich um zwei Verletzte an einem Steilhang über dem Wanderweg. Sie sollen per elektrischer Winde einzeln mit der Trage geborgen werden. Die Patienten sitzen festgezurrt am Hang und werden betreut. Die Rettung gelingt zügig.

Unterhalb des Wanderwegs kämpfen die restlichen Gruppen mit einer deutlich anspruchsvolleren Rettung. Der Hang ist nahezu senkrecht. Strahler beleuchten die Szene. Etwas funktioniert nicht wie geplant – doch schließlich werden auch hier die beiden letzten Patienten mit der Seilwinde nach oben gezogen. Erleichterung bei allen.
Um 23 Uhr ist die Übung beendet. Fast vier Stunden hat sie gedauert – samt Zwischenfall. Was bei der letzten Rettung nicht ganz rund lief, soll in der Nachbesprechung geklärt werden, sagt Widmer.
Zurück in Höchenschwand wartet der Grill. Würstchen, kühle Getränke, Gemeinschaft. „Das gehört auch dazu“, sagt Widmer. Der Abend endet kameradschaftlich. Die Übung? Ein voller Erfolg. „Wir haben uns besser kennengelernt und unsere Kommunikation verbessert“, sagt Widmer. Er ist begeistert.