Gesichert war der gusseiserne Stuhl am Rande der Münsterstraße nicht, warum auch? Materialwert: drei Euro, vielleicht vier. Gewicht: vielleicht 20 Kilogramm. Wer würde sich die Mühe machen, zumal in der Innenstadt vor aller Augen, dieses unhandliche Objekt zu stehlen? Aber in Überlingen kam es in den vergangenen Wochen zu kuriosen Vorfällen. Erst wurde ein toter Fisch offenbar zur Waffe, dann sollen Perückenträger einen Passanten attackiert haben. Nun also der Stuhl-Diebstahl.

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Das Sperrmüll-Ensemble

Ladeninhaberin Ulrike Stöckle hat ein Auge für Accessoires, die ihr Blumengeschäft an der Münsterstraße zieren, nachdem sie andere Leute ausrangiert haben. Am alten Eichentisch gleich hinter dem Eingang etwa mag früher eine Familie ihre Mahlzeiten eingenommen haben, bevor sie ein neues Essmöbel anschaffte. Jetzt steht diese einstige Tafel im Blumengeschäft „Blütenrausch“, darauf eine Reihe von Sträußen und Arrangements.

Vor einigen Jahren fiel Stöckle im Sperrmüll an der Münsterstraße ein gusseisernes Ensemble auf: ein Stuhl und ein etwa kniehoher Tisch, beides schwer, beides schön. Den Tisch schnappte sie sich sogleich, schleppte ihn zu ihrem Geschäft und kehrte zurück, um den dazugehörigen Stuhl mitzunehmen. Aber der war weg. Eine Nachbarin hatte ebenfalls ein Auge darauf geworfen.

Die beiden Frauen kamen ins Gespräch. „Ich habe ihr gesagt, ich würde den Stuhl gerne nehmen, sollte sie ihn nicht mehr brauchen“, berichtet Stöckle. Und so geschah es. Schließlich bekam Stöckle den Stuhl, schöner als zuvor sogar. Die Nachbarin hatte ihn hellblau-weiß lackiert.

„Unser heißgeliebter Stuhl“, schrieb Mitarbeiterin Ursel Epple, als sie dieses Bild des verschwundenen Schmuckstücks in den sozialen ...
„Unser heißgeliebter Stuhl“, schrieb Mitarbeiterin Ursel Epple, als sie dieses Bild des verschwundenen Schmuckstücks in den sozialen Medien veröffentlichte. | Bild: privat

Drei Jahre lang stand seitdem das gusseiserne Schmuckstück mitten in der Stadt vor dem Blumengeschäft. „Unser heißgeliebter Stuhl“, schrieb Mitarbeiterin Ursel Epple jetzt auf Facebook. Mal blütengeschmückt, mal ohne Schmuck im Sinne seiner ursprünglichen Bestimmung: als Stuhl zum Sitzen. Ältere Leute hätten gerne die Gelegenheit wahrgenommen, dort ein Päuschen einzulegen, berichtet Stöckle. Außerdem – Ehemänner. Während die Frau sich drinnen nach Schönem fürs Heim umschaut, wartet der Gatte draußen, der übliche Ablauf beim Blumenkauf.

Hoffen auf die Rückkehr des Sitzmöbels

Mitte September war der Stuhl plötzlich weg. „Ich kann es mir nicht erklären“, sagt Stöckle. Heben könne man ihn durchaus, aber über eine längere Strecke tragen, das wäre sehr beschwerlich. Ob sich vielleicht zwei Leute die Mühe gemacht haben, das eiserne Konstrukt gemeinsam wegzuschleppen? Aber warum? Und wohin? Die Geschäftsinhaberin hofft, dass den oder die Diebe das schlechte Gewissen plagt und der heißgeliebte Stuhl irgendwie wieder auftaucht.

Angezeigt hat Stöckle den Diebstahl nicht. Das Diebesgut habe ja nur ideellen Wert, insofern hat sie der Polizei die Beschäftigung mit diesem Fall erspart.

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Ermittlungen zu Fisch- und Perücken-Vorfall laufen

Weiterhin tätig sind die Ermittler bei den Vorfällen mit dem toten Fisch und den bunten Perücken. Am 31. August haben Jugendliche wohl einen Passanten (75) auf der Münsterstraße getreten und mit einem toten Fisch geschlagen. Es könnten dieselben Täter sein, die kurz vorher im Stadtgarten einen Passanten (73) mit Steinen attackiert und leicht verletzt hatten. Am 20. September am Bahnhof wurde ein 60-Jähriger Opfer eines Angriffs vermutlich jugendlicher Täter, die bunte Perücken trugen.

Die Ermittlungen laufen, viel mehr vermag die Polizei nicht mitzuteilen. Ob die Angreifer mit dem toten Fisch vom 31. August für die Steinwürfe im Stadtgarten am selben Abend verantwortlich sind, bleibt ein Verdacht. Was sie dazu bewogen hat, mit einem Fisch auf einen Mann einzuschlagen, ist weiterhin unklar. „Jugendlicher Übermut“, vermutet Polizeisprecher Simon Göppert, wahrscheinlich aus dem Moment heraus entstanden. Niemand verlasse das Haus mit dem Plan, sich einen Fisch zu besorgen, um damit Passanten zu überfallen.

Auch beim Angriff auf einen 60-Jährigen am 20. September am Bahnhof ist noch vieles im Dunkeln – inklusive der Tatwaffe. Das Opfer war von einem harten Gegenstand am Arm verletzt worden. Eine Erkenntnis kann Göppert dazu anbieten: „Wir sind uns sicher, dass es sich in diesem Fall nicht um einen Fisch gehandelt hat.“