„Inakzeptabel“ nennt Lothar Probst, Geschäftsführer des Nahverkehr-Tarifverbunds WTV, die Zustände, denen tausende Schüler, Berufspendler und Reisende nun bereits seit Wochen bei der Nutzung der Hochrheinbahn immer wieder ausgesetzt sind. Der Ruf der Bahnstrecke zwischen Basel und Singen war schon bisher nicht der allerbeste. Doch in jüngster Zeit sind chaotische Zustände dort fast normal: Züge sind notorisch verspätet unterwegs, viele Verbindungen fallen komplett aus. Bahnen sind so überfüllt, dass sie manchmal gar nicht alle am Bahnsteig wartenden Menschen aufnehmen können. Von Einhaltung der Corona-Abstandsregeln in den vollgestopften Wagen erst gar nicht zu reden.

Alle reden vom Wetter. Sie nicht. Drei Berichte über Reisen mit der Hochrheinbahn

Benjamin Kunzelmann (10) am Bahnhof Laufenburg-Ost. Hier muss sich der Fünftklässler morgens in völlig überfüllte Züge drängen.
Benjamin Kunzelmann (10) am Bahnhof Laufenburg-Ost. Hier muss sich der Fünftklässler morgens in völlig überfüllte Züge drängen. | Bild: Vonberg, Markus
Füße, Taschen, wenig Platz. So sieht Reisen mit der Hochrheinbahn aus.
Füße, Taschen, wenig Platz. So sieht Reisen mit der Hochrheinbahn aus. | Bild: privat/Archiv Südkurier
Autor Markus Vonberg am Sonntag im IRE von Friedrichshafen nach Basel. Einen Stehplatz gab es nur noch auf der untersten Stufe der ...
Autor Markus Vonberg am Sonntag im IRE von Friedrichshafen nach Basel. Einen Stehplatz gab es nur noch auf der untersten Stufe der Eingangstreppe. | Bild: Vonberg, Markus

Technische Probleme

Die Ursache des Problems: Auf der Hochrheinstrecke steht seit geraumer Zeit nicht genügend Rollmaterial zur Verfügung. So konnten in den vergangenen drei Wochen laut einer Sprecherin der Deutschen Bahn am Hochrhein aufgrund technischer Probleme von den sechs dreiteiligen Fahrzeugen des Typs VT 644 nur fünf eingesetzt werden. Zugformationen fahren in verkürzten Einheiten oder werden durch kleinere mit weniger Sitzplätzen ersetzt. Aufgrund der verringerten Kapazitäten sind die verbliebenen Züge besonders während der Stoßzeiten oft überfüllt. Dies hat bei den Halts längere Ein- und Aussteigezeiten sowie Verspätungen zur Folge.

Wie viele Bahnen in Baden-Württemberg auf welchen Strecken und mit welchem Platzangebot unterwegs sind, das entscheidet die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW). Als Servicegesellschaft des Landesverkehrsministeriums plant und koordiniert sie den Schienenpersonennahverkehr. Im Falle der Hochrheinbahn hat die NVBW die DB Regio beauftragt, die berechneten Kapazitäten bereitzustellen. Die 21 Verkehrsverbünde im Land, am Hochrhein sind es der WTV im Landkreis Waldshut und der RVL im Landkreis Lörrach, regeln die Fahrtarife.

Welche Transportkapazitäten sind für die Hochrheinbahn vereinbart?

„Das richtet sich nach dem erforderlichen Bedarf und ist von Zug zu Zug unterschiedlich. Die bestellten Kapazitäten reichen von der Regionalbahn an Sommerwochenenden nach Weizen mit 80 Plätzen bis hin zum Schülerzug nach Waldshut mit 320 Plätzen“, so NVBW-Geschäftsführer Volker M. Heepen. Nach Berechnungen unserer Zeitung wurden für die ersten sieben Monaten dieses Jahres für den Hochrhein rund 640.000 Zugkilometer bestellt.

Laut NVBW fielen in diesem Zeitraum durch Verschulden der DB Regio 7203 Zugkilometer (1,1 Prozent) aus, davon rund 5800 Zugkilometer wegen Schäden oder Mängeln an Fahrzeugen. Weitere 1700 Zugkilometer (0,3 Prozent) entfielen aufgrund Fremdverschulden. Bei den 4400 von Mai bis Juli erfolgten Zugfahrten waren 762, also jede sechste (17,3 Prozent), aufgrund verkürzter Zugformationen oder des Einsatzes kleinerer Wagen mit einem geringfügig kleineren Sitzplatzangebot unterwegs, 95 Zugfahrten (1,9 Prozent) erfolgten mit mindestens 80 Plätzen weniger als bestellt. Für die Monate Januar bis April liegen laut NVBW wegen technischer Probleme im Berichtswesen keine Daten zu Abweichungen von der Regelzugbildung vor.

Defizite auch bei den Regionalbahnen

Als notorisch verspätungsanfällig gilt schon seit Langem der zwischen Basel und Ulm verkehrende Interregio-Express (IRE). „Leider sind die Qualitätsdefizite im IRE-Verkehr nun auch bei der – sonst sehr zuverlässigen – Regionalbahn angekommen“, bilanziert NVBW-Geschäftsführer Heepen. Für die DB Regio als Auftragnehmer des Landes können Unpünktlichkeit und Zugausfälle Konsequenzen nach sich ziehen. Unter anderem aufgrund von Kundenbeschwerden, aber auch aufgrund eigener Erhebungen und Berichten der DB Regio überwacht die NVBW die Erbringung der vereinbarten Leistung. Bei Abweichungen drohen der DB Regio Zuschussminderungen oder Vertragsstrafen.

Hat das Land zu wenig Züge bestellt?

Diese Möglichkeit legt die unserer Redaktion vorliegende Antwort der Deutschen Bahn an einen Kunden nahe, der sich über ständig überfüllte Regionalbahnen am Hochrhein beschwert hatte: „Welche Fahrzeuge, auf welchen Strecken mit welchem Platzangebot in Baden-Württemberg unterwegs sind wird durch das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg und die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) entschieden.“ Der Fahrzeugbedarf werde von diesen abgeschätzt und bestellt. „Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass die bestellte Anzahl an Fahrzeugen auch im Zug vorhanden ist.“

Ab 25. Oktober soll es Verbesserungen geben

Ob zu wenig bestellt oder ob zu wenig geliefert: Für den Bahnkunden am Hochrhein macht das erst mal keinen Unterschied. Er wartet auf einem windigen Perron vergeblich auf seinen Anschluss, er muss sich in eine überfüllte Regionalbahn hineinzwängen. WTV-Geschäftsführer Probst hofft: „Es sind uns Verbesserungen – insbesondere der Kapazitäten – ab Montag, 25. Oktober, zugesagt. Ich gehe davon aus, dass dann die regulären und ausreichenden Kapazitäten wieder zur Verfügung gestellt werden und auch die Pünktlichkeit und Qualität wieder ein befriedigendes Niveau erreicht.“ An derlei Beteuerungen hat es allerdings in der Vergangenheit noch nie gemangelt. An Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Komfort der Bahnverbindungen schon.

Die nächste Chance, es im Sinne der Bahnkunden besser zu machen, erhalten Regio DB und NVBW mit dem Fahrplanwechsel im Dezember. Dann sollen auch zwischen Basel und Friedrichshafen endlich die auf anderen Bahnstrecken längst üblichen Doppelstockwagen alle zwei Stunden verkehren und für mehr Fahrplanstabilität im IRE-Verkehr sorgen. Gegenüber den derzeit eingesetzten ungeliebten VT 612 bieten sie ein wesentlich größeres Platzangebot, einen nahezu ebenerdigen Einstieg und erleichterte Radmitnahme. Allerdings ist keine durchgehende Fahrt mehr bis Ulm mehr möglich. Auf der Strecke Friedrichshafen-Ulm wird mit dem Fahrplanwechsel der elektrifizierte Betrieb aufgenommen. Am Hochrhein fahren Dieselloks – wahrscheinlich noch bis Ende 2027.

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