Bei den Personen in den Laufenburger Straßennamen ist die Schlösslemadame eindeutig der Spitzenreiter, denn zu der Codmanstraße auf dem vorderen Rappenstein kommt noch die Codman-Anlage, ein kleiner stimmungsvoller Park zwischen Laufenbrücke und Kriegerfelsen. Die Gebäude am Rande dieser Grünanlage tragen ihre Handschrift. 1908 kaufte Mary Elisabeth Codman die „Wirtschaft zum Rheinfall“ und ließ sie vom Architekten Otto Hechinger, der ihr auch schon das Schlössle eine Etage höher errichtet hatte, zum Haus Mariagrün umestalten. Ihr Anliegen war es, einen Kindergarten zu schaffen, den Gengenbacher Schwestern betreuen sollten, denn der bereits vorhandene Kinderhort im Rathaus war recht dunkel und auch nicht gut zu heißen. Zwei Jahre später konnte Madame Codman die Kinderschule, wie man damals sagte, der Stadt überlassen. 1927 schenkte sie alles der Stadt.
Um die Umgebung zu verschönern, kaufte die Schlösslemadame auch noch die Rheinmühle, die mit der Wasserkraft der Hännemer Wuhre betrieben wurde. 1923 wurde sie abgerissen und auf ihre Kosten der dreibogige Pavillon errichtet, der ein wenig an einen japanischen Tempel erinnert. Nimmt man noch den bronzenen Adler hinzu, den sie 1928 für 20.000 Dollar von Curt Liebich auf den Kriegerfelsen setzen ließ, dann ist alles aufgezählt, was den Namen Codman-Anlage vielfach rechtfertigt.
An ihren Werken sollt ihr sie erkennen, lautet ein Merkspruch. Trotzdem stellt sich die Frage, wer war Madame Mary E. Codman? Die lesenswerte Antwort hat im vergangenem Jahr Petra Gabriel gegeben in ihrem flott und kenntnisreich geschriebenen Buch: „Madame aus Amerika“. Am 26. September 1839 wird sie als Mary Elisabeth in New York in die reiche Familie Belknap hineingeboren. 22-jährig heiratet sie ihren Vetter Arthur Amory Codman, der ebenfalls aus der wohlhabenden Oberschicht stammt. Eine Reise nach Europa mit der Route entlang des Rheins darf nicht fehlen. In Laufenburg entzückt sie das Stadtgebilde und das Naturschauspiel des schäumenden Laufens und sie kaufen kurzentschlossen das villenartige Gartenhaus und den Hang hinunter bis zur Bahnlinie. Zwei Jahre später – 1886 – stirbt Arthur Codman und wird in die USA überführt, auch ihre zwei Söhne muss sie bald beklagen.
Erbauerin des Schlosses in Laufenburg
Man hat das Gefühl, als hätte die Witwe Mary Codman – eine intelligente, mehrsprachige Frau, die auch eigenwillig und widersprüchlich sein konnte – als hätte die mehr als 50-Jährige noch einmal selbstbewusst die Gestaltung ihres Lebens in die Hand genommen. Sie baut in Laufenburg das Schlössle, sie hat ein Haus in Berlin, um dort das kulturelle Leben zu genießen, sie führt ein nobles Haus in Zürich mit Einladungen an alle großen Tonkünstler wie Richard Strauß und Bela Bartok. Dort lernt sie auch ihren zweiten Mann kennen, den ungarischen Pianisten und Komponisten Robert Freund.
Mittelpunkt ist und bleibt jedoch Laufenburg, wo ihre Villa zum Schlössle und die Besitzerin zur Schlösslemadame wird. Auf dem Dach weht die badische Fahne und das amerikanische Sternenbanner. Sie lebt stilvoll und vornehm auf der Höhe, umgeben von dienstbaren Geistern und Gärtnern, die das Land ums Schlössle in einen Park verwandeln. Hier gibt sie Kinderfeste, im Advent lädt sie die Kleinen zu Kuchen und Kakao in ihr Haus und reicht ihnen Gaben. Die Kinderschüler erhalten zu Weihnachten Geschenke und auf einmal tragen alle kleinen Mädchen dieselben Mäntel. Die Stadtmusik wird mit Geld für Noten und Instrumente bedacht, ebenso unterstützt sie großzügig die Pfarrgemeinde Heilig Geist. Auch einzelnen Personen hilft sie in Notlagen. In der schlechten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kauft sie waggonweise Kohlen, die von der Schweiz aus verteilt werden. 1921 bezahlt sie für die klamme Stadt einen dringend benötigten Drehstrom-Transformator.
Mary Codman kann dank regelmäßiger Geldüberweisungen aus den USA im Wohlstand leben, sie ist aber auch eine ungewöhnliche Wohltäterin. Deswegen verleiht ihr der Laufenburger Stadtrat „für die der Gemeinde in hochherziger Weise geleisteten Dienste“ das Ehrenbürgerrecht, übergeben an ihrem 82. Geburtstag am 26. September 1921. In ihrem Dankschreiben heißt es: „Ich lebe im Februar 1922 schon 28 Jahre in Kleinlaufenburg und ich finde, es ist der schönste Ort, den ich in meinem Leben auf der ganzen Welt gesehen habe.“ Diesen schönsten Ort kann sie noch bis zum 9. August 1929 bewohnen, bis zu ihrem Tod wenige Wochen vor ihrem 90. Geburtstag. Beim Trauerzug zum Westbahnhof, von wo ihr Sarg nach Amerika überführt wird, hat die ganze Stadt, haben alle Einwohner dankbar und trauernd den Atem angehalten.