Die Jahreszahl 1968 ist eine Chiffre, ein Kennwort für einen Zeitabschnitt und eine Stimmung des Umbruchs und Aufbegehrens, des Hinterfragens und Veränderns. Das hatte auch Auswirkungen auf St. Blasien – der Fortbestand des Kollegs stand vor 50 Jahren auf der Kippe. Auch die damals an Mitgliedern mächtige, gesellschaftlich bedeutende und kirchenpolitisch einflussreiche (mit Ausnahme zurückgegangener Zahlenstärke heute immer noch gültig) katholische Männergemeinschaft „Societas Jesu“ (Gesellschaft Jesu, abgekürzt SJ) blieb von den kirchlichen und politischen Debatten nicht unverschont.
Debatte um Jesuitenniederlassung
Die Auswirkungen trafen auch St. Blasien mit Besorgnis erregenden Debatten um den Fortbestand der hiesigen Jesuitenniederlassung und somit der Schule und des Internats. Der kirchenpolitische Hintergrund wird seinerzeit mehr oder weniger von den Katholiken gespannt bemerkt. Die pastorale Neubesinnung der katholischen Kirche im Nachgang zum zweiten Vatikanischen Konzil löst vor allem den jüngeren Jahrgängen der Jesuiten eine kritische Überprüfung des Ordensauftrags und der jesuitischen Arbeit aus.
Unaufhaltsam entflammt die Diskussion, ob angesichts der Zeitläufe Kollegien noch das angemessene Instrument der Seelsorge und der Erziehung im Sinne des Ordensgründers Ignatius von Loyola seien (so hält es Pater Stephan Kessler, Kollegseelsorger und Lehrer 1992 bis 1997 und später Regens und Dozent an der Ordensschule Frankfurt-St. Georgen fest). Und mit solcher konzeptioneller Überprüfung war zwangsläufig das pädagogische Aushängeschild St. Blasien erreicht.
Die Frühjahrswochen 1968 im Städtchen an der Alb sind aufgewühlt. Das Kolleg hält damals mit den hereingeschwappten Diskussionen nicht hinter dem Berg, sondern geht mit allen Argumentationen in die Öffentlichkeit. Lange und heftig wird der Abzug der Jesuiten aus St. Blasien diskutiert mit der unter anderem Begründung, die Kräfte auf großstädtische Ballungszentren und möglicherweise neue Aufgaben zu verlagern. In der Domstadt schwirrt es nur so von Gerüchten über angebotene Nachfolgemodelle.
Sie finden alle keine Gnade vor den Augen der Öffentlichkeit, weil keine der angedachten Nutzungen der ehemaligen Klosteranlage zum Kurort „passen“ will, weil aber vor allem die Schule und das Internat der Jesuiten höchste Maßstäbe gesetzt haben, die „man“ sich einfach nicht nehmen lassen darf.
Währenddessen werden Gespräche und Verhandlungen mit der (freilich unmaßgeblichen) Stadtpolitik, der stärkeren Kreis- und der gewichtigen Landespolitik und erst recht der Freiburger Kirchenverwaltung aufgenommen zwecks neuer Gemeinsamkeit in Fragen einer christlichen Erziehung. Die Spannungen über die Ergebnisse von den verschiedenen Gesprächsebenen, die als Hoffnung oder Rückschlag bewerteten Zwischenstände und die nicht anhaltenden Pendelschläge in Richtung Abzug hätte ein Drehbuchautor nicht farbiger gestalten können.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass es Stimmen gab, die in allem einen (natürlich zulässigen) Versuch der Jesuiten sahen, eine festere Finanzgrundlage zu schaffen. So konnte jedoch nur vorschnell urteilen, wer die innere Struktur- und Aufgabenkrise des Ordens ausblendete oder gar nicht kannte. Es hätte folglich nicht verwundert, wenn nach quälenden Wochen aus einem Kollegkamin zum Zeichen der positiven Lösung weißer Rauch (wie bei der Papstwahl) aufgestiegen wäre.
Trägerschaft auf breitem Sockel
Die Trägerschaft des Hauses bleibt nicht in der alleinigen Hand und Belastung der Jesuiten, sondern wird auf einen breiten und kräftigen Sockel gestellt. Fortan kümmern sich der Jesuitenorden, das Land Baden-Württemberg, die Erzdiözese Freiburg mit ihrer Schulstiftung, der Landkreis Neustadt/Hochschwarzwald und später nach der Kreisreform der Landkreis Waldshut sowie auch – mit begrenzten, aber nicht nur symbolischen Möglichkeiten – die Stadt St. Blasien um das Gedeihen und das pädagogische Konzept der aus St. Blasien nicht wegzudenkenden Jesuitenschule. Damals wird für den Verbleib in St. Blasien die großartige Vorbehaltsformel von der „apostolischen Mobilität“ (also der Beweglichkeit und Veränderung der Jesuiten im höchstkirchlichen Auftrag) geprägt.
Vor fünf Jahrzehnten wurde der Orden einerseits entlastet, andererseits ließ er sich neu in die Pflicht nehmen für die gemeinsame Verantwortung und die von den Jesuiten angestrebte aktive Zusammenarbeit mit Laien. Die seinerzeitige erneuerte Pflichtübernahme hat nun schon 50 Jahre Bestand. Das lässt zumindest für das nächste halbe Jahrhundert hoffen.