Während der Tiengener Viehhändler Moritz Meier gerade an seine Stammkunden Milch verkaufte, stand seine Frau Martha in der Küche und bereitete das Essen für den Sabbat vor, zu dem sie wieder viele Gäste – jüdische wie christliche Mitbürger – einladen wollte. Szenen wie diese wurden in den 1930er-Jahren von den Nationalsozialisten jäh zerstört. Bis dahin waren die Tiengener Juden Teil der Gemeinschaft in dem kleinen Städtchen. Am Sonntag, 2. September, wird am Tag der Jüdischen Kultur europaweit der früheren Mitbürger gedacht und auf ihre Beiträge zur Kultur in Europa aufmerksam gemacht. Auch Tiengen ist mit dabei.
- Die Juden in Tiengen: Knapp 500 Jahre lebten Juden in Tiengen. "Ich nenne sie Tiengener jüdischen Glaubens, denn sie waren genauso Tiengener wie die katholischen und evangelischen Mitbürger", sagte Magdalena Bucher, die 2005 den Freundeskreis Jüdisches Leben in Tiengen mit ins Leben gerufen hat. Erste Belege für Menschen jüdischen Glaubens in der Klettgaustadt gibt es seit 1464. Bis zum Dritten Reich lebten und arbeiteten sie überwiegend in den Gassen der Altstadt. Wie gut sie integriert waren, zeigt eine der vielen Anekdoten, die Magdalena Bucher zu erzählen weiß: "Der Schuhhändler Julius Guggenheim, der gut mit dem Pfarrer befreundet war, spendete der katholischen Pfarrgemeinde regelmäßig Schuhe für arme Kommunionkinder." Julius Guggenberg und seine Frau Telly kamen wie der oben erwähnte Moritz Meier und dessen zwei Kinder in Konzentrationslagern ums Leben. Einzig Meiers Frau Martha gelang die Flucht in die Schweiz und die spätere Auswanderung in die USA.

- Der Freundeskreis: "Das war für uns alle Neuland", erzählt Magdalena Bucher von den Anfängen des Freundeskreises Jüdisches Leben, den sie mit ihren Mitstreitern 2005 gründete. Ohne eigenen jüdischen Familienhintergrund, mussten sie sich das Wissen über die Juden in Tiengen erst aneignen. Dabei helfen ihnen die Nachfahren ehemaliger Tiengener Juden, die heute in alle Winde verstreut sind – in Südafrika, Israel, den USA und der Schweiz – und die mit dem Freundeskreis im regen Austausch stehen. "Morgen Abend besuchen mich Rina und Koby Mor, die in der Nähe von Tel Aviv leben und Nachfahren der Familie Schlesinger sind", freut sich Bucher. Im Schloss Tiengen zeigt der Freundeskreis eine Dauerausstellung, in der unter anderem eine so genannte Mesusa aus dem früheren Schuhhaus Guggenheim zu sehen ist. Eine Mesusa ist eine Schriftkapsel, die Juden am Türpfosten anbringen.
- Der Tag der jüdischen Kultur: In 30 Ländern Europas wird am Sonntag, 2. September, der Tag der jüdischen Kultur begangen. "Wir sind stolz, dass wir dabei sind", sagt Magdalena Bucher. Gebhard Kaiser und Monika Geng vom Freundeskreis führen Interessierte zu den Stolpersteinen, zum Mahnmal Gurs, zur ersten Station des grenzüberschreitenden Jüdischen Kulturwegs und über den jüdischen Friedhof. Treffpunkt ist um 16 Uhr vor der katholischen Kirche.
Schauplätze jüdischen Lebens in Tiengen









