Das ehemalige Wohnhaus der Familie Hesse in Gaienhofen wird zum Politikum im Landtag. Bereits im April reichte die Arbeitsgemeinschaft Bauen und Bewahren auf der Höri ihr Anliegen an den Petitionsausschuss des Landtags ein: Sie will den Bau eines großen Hauses mit zehn Wohnungen verhindern oder doch abmildern. Das Bauvorhaben entstünde in unmittelbarer Umgebung des Dichterhauses und würde dieses dadurch verändern. Denn die Umgebung sei Teil einer ansprechenden und würdigen Denkstätte, so argumentiert die Arbeitsgemeinschaft (AG) als Antragsteller.

Der Antrag an den Landtag wurde von Anne Overlack aus Moos-Bankholzen von der AG Höri eingereicht. Sie begleitet die Arbeit von Eva und Bernd Eberwein, die das Haus 2003 kauften, vor dem Abriss retteten und auch selbst darin leben, schon lange. Der nahende große Neubau sei lange Zeit unterschätzt worden, räumt sie ein. Niemand habe damit gerechnet, dass auf einem überschaubaren Grundstück, auf dem bisher ein schlichtes Einfamilienhaus stand, ein deutlich größeres Gebäude mit Tiefgaragen errichtet würde.

Über 2500 Unterstützer

Zusätzlich und parallel zur Eingabe an den Landtag starteten Overlack und die AG Bauen und Bewahren eine Online-Petition gegen das Bauvorhaben. Dort kann jeder seine Meinung kundtun. 2676 Unterstützer haben die Petition bisher unterschrieben, mehr als 900 Kommentare finden sich Stand Mitte Juli auf der einschlägigen Startseite.

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„Nationale Kulturgüter gehören uns allen. Garten und Haus funktionieren nur mit Umgebungsschutz. Eigentum verpflichtet nach dem Grundgesetz. Einmal vernichtet, ist nichts mehr rückgängig zu machen. Garten, Haus und die Leistungen der Bewohner sind ein von uns allen zu schützendes Wunder“, schreibt ein Hesse-Freund und Besucher aus Hüllhorst in Nordrhein-Westfalen. Die meisten Meinungen gehen in diese Richtung. Sie drücken großes Unverständnis für den „Klotz“ aus, wie er in einem Kommentar bezeichnet wird.

„Uns fehlt die Kraft, weiterzukämpfen“

Eva und Bernd Eberwein kauften das heruntergekommene Dichterhaus vor gut 20 Jahren und setzten es nach allen Regeln des Denkmalschutzes instand. 2024 sollte eigentlich als Jubiläumsjahr begangen werden, doch zum Feiern ist den beiden nicht zumute. Enttäuscht sind sie vom Landratsamt Konstanz, das den wuchtigen Neubau genehmigt hat, obwohl sich der Gemeinderat ausdrücklich gegen das Bauprojekt ausgesprochen hatte. Das sorgt bei den Betreibern des Hauses für Unverständnis: Wie kann das Landratsamt etwas genehmigen, was der Gemeinderat klar abgelehnt hat? Warum wird hier die Expertise vor Ort grob ignoriert?

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„Wir sind müde geworden, und uns fehlt die Kraft, weiterzukämpfen“, schreiben die beiden Eheleute bereits vor Wochen in einer Stellungnahme. Und weiter: Der gesamte Vorgang „raubt uns den Glauben an eine sachgerechte Entscheidungsfindung in kommunalen Behörden“.

Schließt das Haus für immer?

Damit kommt der entscheidende Punkt zur Sprache: Jedes Denkmal soll laut Gesetz nicht nur in seiner eigenen Substanz erhalten werden. Auch die benachbarten Häuser dürfen nicht ohne Weiteres verändert und freie Grundstücke nicht beliebig groß bebaut werden. Das Gesetz spricht von Umgebungsschutz, um das Umfeld eines Denkmals zu bewahren. Den Umgebungsschutz sehen die Eberweins mit den vorliegenden Plänen nicht gewährleistet. Sie fürchten die Zerstörung ihres Lebenswerkes und spielen nun mit dem Gedanken, das Haus in Zukunft nicht mehr zu öffnen.

Das Projekt, das dem Dichter-Haus vor die Nase gesetzt werden soll, ist ehrgeizig und die Preise ebenso ambitioniert. Für eine Wohnung von knapp 52 Quadratmeter Größe werden so zum Beispiel auf Immobilienportalen 379.500 Euro verlangt. Das sind rund 7298 Euro pro Quadratmeter, also etwa 2790 Euro mehr als im Schnitt sonst in Gaienhofen üblich (Stand Mitte 2023).

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Der Boden dort ist bereits planiert. Im Spätsommer will der schwäbische Bauherr mit dem Bau beginnen, wie es auf großen Plakaten heißt, die im Ort hängen. Auf der Internetseite des Unternehmens HEH Wohnbau mit Sitz in Hemmingen (Kreis Ludwigsburg) ist von einem „dezenten Mehrfamilienhaus“ die Rede, dessen Einheiten als „perfekter Zweitwohnsitz“ angepriesen werden.

Ärger über das Bauprojekt

Eva Eberwein weist darauf hin: Einheimische Familien aus dem Ort, die über ein gewöhnliches Einkommen verfügen, werden sich diese Wohnungen kaum leisten können. Als dreist empfand es Familie Eberwein, dass der zukünftige Bauherr den Hesse-Garten mit einer Drohne überfliegen ließ, um schöne Aufnahmen zu gewinnen und damit zu werben. Die Verwendung dieser Bilder haben sie untersagt.

Die Möglichkeiten des Petitionsausschusses sind freilich begrenzt. Er kann den Sachverhalt prüfen und sich ein Bild vor Ort verschaffen. Die Baugenehmigung aufheben kann er indessen nicht. „Es läge gegebenenfalls in der Verantwortung der Regierung, zu prüfen, ob die Aufhebung einer Baugenehmigung rechtlich möglich ist“, teilt die Pressestelle des Landtags auf Anfrage des SÜDKURIER mit.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Landtagsabgeordnete Dorothea Wehinger (Wahlkreis Singen, Grüne) ihr Mandat Ende August abgibt. Wehinger sitzt im Petitionsausschuss und damit an der richtigen Stelle, doch kann sie dort in Sachen Hesse-Haus nach eigener Einschätzung nicht mehr in Aktion treten.