Egal ob faustgroßer Hagel im eigenen Garten, kilometerbreite Tornados und spektakuläre Blitze in den USA oder sintflutartige Regenfälle am Bodensee – wenn es irgendwo extreme Wetterphänomene gibt, sind die selbsternannten Unwetterfreaks meist vor Ort. Sie sind eine Gruppe von etwa 15 jungen Männern aus Baden-Württemberg und Bayern, die als Sturmjäger den krassesten Unwettern hinterherjagen. Zuletzt auch beim Starkregen im Radolfzeller Raum.

Eine Superzelle, aufgenommen von den Unwetterfreaks in den USA. Dort ist die Optik der Unwetter meist eindrucksvoller.
Eine Superzelle, aufgenommen von den Unwetterfreaks in den USA. Dort ist die Optik der Unwetter meist eindrucksvoller. | Bild: Unwetterfreaks

Als Kinder in Blitze und Hagel verliebt

Michael Hutter ist einer der Hauptorganisatoren der Gruppe. Der 32-Jährige lebt in Bayern und arbeitet im Krankenhausmanagement. Ansonsten dreht sich sein Leben um Stürme, Hagel und Gewitter. „Mich fasziniert das schon seit meiner Kindheit“, sagt Hutter. Er könne sich noch genau an ein Schlüsselerlebnis im Alter von sechs Jahren erinnern. „Ich habe im Garten Hagelkörner aufgesammelt, als plötzlich ins Nachbarhaus der Blitz einschlug. Andere Kindern hätten vielleicht Angst gehabt, mich hat das damals beeindruckt“, erzählt er.

Michael Hutter, 32 Jahre alt, ist seit 2019 bei den Unwetterfreaks dabei.
Michael Hutter, 32 Jahre alt, ist seit 2019 bei den Unwetterfreaks dabei. | Bild: Unwetterfreaks

Je älter er wurde, umso mehr sei ihm klar geworden, dass er nicht nur zuhause Gewitter beobachten, sondern ihnen sein Leben widmen möchte. 2019 sei er dann auf die fünf Jahre zuvor gegründete Gruppe der Unwetterfreaks gestoßen. „Das war einfach ein kleiner und unorganisierter Haufen von Leuten aus Süddeutschland, die das gleiche Interesse hatten“, berichtet Hutter.

Maximilian Ziegler aus Ludwigsburg stieß vor drei Jahren zu der Gruppe dazu.
Maximilian Ziegler aus Ludwigsburg stieß vor drei Jahren zu der Gruppe dazu. | Bild: Unwetterfreaks

Vor drei Jahren stieß auch Maximilian Ziegler aus Ludwigsburg dazu. „Ich bin verrückt nach extremen Wettererscheinungen. Ich habe mich schon als Kind gefragt, was am Himmel passiert und wie das alles entstehen kann“, erzählt er dem SÜDKURIER im Videogespräch. Seither sind die beiden gemeinsam auf der Jagd nach dem perfekten Sturm. Denn, so sagt Michael Hutter: „Wenn man dieses Hobby in dieser Form macht, dann geht das aus logistischen und aus Sicherheitsgründen nicht alleine, man braucht Partner. Das ist der Zweck unserer Gruppe.“

Sturmjäger bei der Arbeit, wie hier in Colorado in den USA. Um die Unwetter fotografieren zu können, positionieren sie sich meist in ...
Sturmjäger bei der Arbeit, wie hier in Colorado in den USA. Um die Unwetter fotografieren zu können, positionieren sie sich meist in zwei oder drei Kilometern Entfernung mit möglichst freiem Sichtfeld. | Bild: Unwetterfreaks

Was machen richtige Sturmjäger?

Im Idealfall rücken sie zu dritt oder viert pro Auto zu einem Unwetter aus, jeder hat seine Aufgabe: Einer konzentriert sich nur aufs Fahren, ein anderer sucht nach einem guten Standort für die perfekte Sicht. Die wichtigste Aufgabe übernimmt ein dritter, erfahrener Sturmjäger: Er behält die Wetterdaten im Blick und berechnet so, wann das Unwetter welchen Weg nimmt. „Wir greifen dazu nicht auf die üblichen computergestützten Wetter-Apps zurück, sondern nutzen Originaldaten und Parameter, die den tatsächlichen Zustand des Wetters wiedergeben“, beschreibt Hutter.

Mit in der Gruppe seien auch hauptberufliche Meteorologen. Entsprechend ernst nehmen die Männer ihr Hobby. „Wir definieren uns als richtige Storm-Chaser, also Jäger. Viele nennen sich so, aber sitzen daheim rum und warten auf Unwetter. Wir jagen den Gewittern aber wirklich ohne Grenzen auf der ganzen Welt hinterher“, beschreibt er.

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Der Jahresurlaub wird zur Sturmjagd genutzt

Um immer rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein, ist viel Planung aber auch Spontanität erforderlich. Michael Hutter fasst es so zusammen: „Wenn man das Hobby so betreibt wie wir, dann entscheidet man sich eben für eine bestimmte Art von Leben.“ Denn während andere ihren Jahresurlaub am Meer oder an exotischen Orten verbringen, planen die Unwetterfreaks ihren für die Sturmjagd ein. Zwischen Anfang Mai und Mitte Juni geht es zur Sturmsaison nach Amerika, man plane gerade für 2026.

Diese Aufnahme einer Superzelle im Abendlicht entstand im Juni 2025 in New Mexico. Besonders in den Abendstunden schimmern die Unwetter ...
Diese Aufnahme einer Superzelle im Abendlicht entstand im Juni 2025 in New Mexico. Besonders in den Abendstunden schimmern die Unwetter neben blau und grün oft auch rötlich oder gelb. | Bild: Unwetterfreaks

Wenn in Europa etwas passiert, müssen die Männer hingegen flexibel frei nehmen und losziehen. „Etwa vier Tage vorher kann man aus Wettermodellen herauslesen, dass etwas passieren könnte. Zwei Tage vorher ist es eindeutig, dann beginnt die akute Planung: Wer fährt mit wem? Wo wollen wir genau stehen?“, berichtet Hutter.

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Nervenkitzel, Kunst und Wissenschaft

Den Reiz ihres Hobby macht laut Hutter und Ziegler eine Mischung aus Nervenkitzel, Kunst und wissenschaftlicher Neugier aus. „Es gibt einem schon einen Adrenalinkick, wenn man direkt vor einer mächtigen Unwetterfront steht und es heikel wird. Diese Naturgewalt fasziniert einfach“, beschreibt Maximilian Ziegler.

Jagd auf einen Tornado in den USA Video: Unwetterfreaks

Gleichzeitig seien sie alle Fotografen und hätten daher ein künstlerisches Interesse, schöne Fotos zu machen. Hinzu kommt ihr Dienst für die Wissenschaft. So nutzen Wetterdienste die Fotos der Gruppe für Untersuchungen und Fortbildungen. Zudem dokumentieren die Unwetterfreaks bei optisch weniger spektakulären Unwettern, wie jenem im Radolfzell, Ausmaß und Schäden. „Wir sind auch Wetterjournalisten“, stellt Hutter klar.

Oft seien Sturmjäger als erste am Katastrophenort. Dann helfe die Gruppe zum Beispiel dabei, umgestürzte Bäume aus dem Weg zu räumen, und liefere den Wetterdiensten Eindrücke, auf deren Basis diese dann ihre Warnungen in Echtzeit anpassen würden. „Die haben selbst nämlich keine Leute auf den Straßen und sind in Süddeutschland auf unsere Gruppe angewiesen“, berichtet Michael Hutter.

Tanja Grimm, Pressesprecherin beim Deutschen Wetterdienst, bestätigt auf SÜDKURIER-Nachfrage, dass Meldungen von Sturmjägern hilfreich sein können. „Sie liefern uns durch ihre Beobachtungen und Fotos unmittelbare Eindrücke aus den betroffenen Regionen, die unsere Messdaten und Radarbilder ergänzen. Auf diese Weise tragen sie dazu bei, die Lageeinschätzung bei Unwettern zu verfeinern“, so Grimm. Gerade bei seltenen, aber potenziell sehr gefährlichen Ereignissen wie Tornados hätten direkte Augenzeugenberichte einen besonderen Wert. „Damit leisten Sturmjäger einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation von Extremereignissen in Deutschland“, erklärt sie.

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Entsprechend positiv seien auch die Reaktionen von Rettungsdiensten und Betroffenen, wenn sie auf die Unwetterfreaks treffen. Dies komme allerdings selten vor, weil sie Gebiete mit Leid und Zerstörung vermeiden, sagt Maximilian Ziegler. „Wir machen dieses Hobby nicht aus Sensationslust“, so Hutter.

Wie gefährlich ist das Hobby?

Höhepunkte in ihrer Unwetterlaufbahn waren für beide bislang ihre Eindrücke in den USA. „Die Unwetter dort sind eine ganze Stufe heftiger und auch fotogener, sie haben geschliffene Formen und kräftigere Farben in blau und grün oder abends auch rot“, beschreibt Hutter.

Ein Tornado auf einem Feld in den USA.
Ein Tornado auf einem Feld in den USA. | Bild: Unwetterfreaks

Dabei kann es jedoch auch schnell gefährlich werden – gerade bei Superzellen. „Es kann vorkommen, dass die Blitze nicht senkrecht zur Erde rausschießen, sondern schräg zur Seite. Dann schlägt plötzlich der Blitz 100 Meter neben einem ein, obwohl man noch zehn Kilometer vom Gewitter entfernt ist. Das ist dann schon lebensgefährlich“, berichtet Hutter.

Auch Maximilian Ziegler erinnert sich ein gefährliches Erlebnis im Sommer 2024: die Flutkatstrophe im Wieslauftal bei Stuttgart. „Kurz bevor die Flutwelle kam, war ich noch in Straßen, in denen es später Autos und Häuser weggerissen hat“, erzählt er. Grundsätzlich sei trotz aller Routine immer Gefahr im Spiel.

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Ziegler sagt: „Kleine Fehler können dazu führen, dass das Auto beschädigt wird und einem selbst etwas passiert. Man wird dann schnell vom Jäger zum Gejagten.“ In ihrer Gruppe sei aber noch nie jemand verletzt worden.