Schüsse fallen am 22. Februar dieses Jahres auf dem Balkon eines Hotels im Stadtteil Paradies. Spezialkräfte der Polizei (SEK) werden hinzugezogen, die einen 35-Jährigen festnehmen. Verletzt wird niemand. Jetzt muss sich der Mann vor dem Landgericht Konstanz verantworten. Die Vorwürfe: bewaffneter Handel mit Betäubungsmitteln, unerlaubter Besitz einer Waffe und Drogen sowie einiges mehr.
Eine geladene Schusswaffe, eine Walther PPK, aus der er drei Schüsse abgegeben haben soll, Munition, Rauschgift und nicht unerhebliche Geldbeträge wurden in dem Hotelzimmer sichergestellt, skizziert Staatsanwältin Marie-Theres Polovitzer. Das Zimmer selbst sei massiv beschädigt gewesen.
Zwei Verhandlungstage sind angesetzt, denn dem Angeklagten wird noch mehr als jene Eskalation in Konstanz vorgeworfen. Diese Taten sollen sich zwischen 2023 und Februar 2025 zugetragen haben: Neben Beleidigung und Widerstand gegen Polizeibeamte geht es am ersten Verhandlungstag auch um Bedrohung, Nötigung und körperliche Misshandlung einer ehemaligen Lebenspartnerin. Streitigkeiten seien quasi an der Tagesordnung gewesen, berichten Zeugen. Auch die Polizei wurde zu häuslichen Auseinandersetzungen zu der damaligen Wohnadresse in Stockach gerufen.
Während des ersten Verhandlungstages wird aber klar, dass diese Punkte im weiteren Verlauf des Prozesses wohl keine Rolle mehr spielen. Mit einer Lebensgefährtin ist er mittlerweile verlobt, seine vorherige Partnerin wird nicht aussagen. Joachim Dospil, Vorsitzender Richter am Landgericht, berichtet, sie habe ein Attest vorgelegt. Danach würde eine direkte Konfrontation mit dem Angeklagten aus medizinischer Sicht eine erhebliche psychische Belastung darstellen. „Nach dreijährigem Martyrium körperlicher und psychischer Gewalt“ sei sonst eine erhebliche Verschlechterung ihres psychischen Zustands zu erwarten, verliest Dospil aus dem Schreiben.
Er hat früh mit Drogen begonnen
Joachim Dospil und der Angeklagte sprechen zu Beginn des ersten Prozesstags über dessen Lebenslauf. Der 35-jährige deutsche Staatsangehörige wurde im Irak geboren. Die Familie sei nach Deutschland geflohen, als er noch ein Kleinkind war. In Konstanz wuchs er mit seinen Eltern und sechs Geschwistern aus, bestand seine Mittlere Reife nach eigenen Angaben mit einem Notendurchschnitt von 2,1. „Klingt gut. Da kann man was draus machen“, so Dospil. Doch sei er nur kurzzeitig auf einer weiterführenden Schule gewesen – stattdessen kam er in Untersuchungshaft.
Eine Ausbildung hat er nie gemacht. Mit 13 oder 14 Jahren habe der Angeklagte, wie er berichtet, Alkohol getrunken, später Kokain konsumiert, mit 16 kam er in den Jugendarrest, mit 17 Jahren hat er eine Alkoholtherapie gemacht. Der weitere Weg: Drogenkonsum, Therapien, die er zumeist abgebrochen hat, nur kurzzeitige Arbeitsstellen, Haftstrafen (zum Teil auf Bewährung ausgesetzt).
Mit 16 Jahren habe er mit Kokain angefangen, „mit 17 war es schon katastrophal“, sagt der 35-Jährige. Trotz vieler Entzugsversuche, die er zum Teil aus freien Stücken begann, aber wieder abbrach – von Kokain kam er nicht wieder los und konsumierte auch Opiate.
Entzugserfolg von kurzer Dauer
Im Jahr 2024 zog der Angeklagte erfolgreich eine Drogentherapie durch, doch er wurde rasch wieder rückfällig. Joachim Dospil will wissen, wie viel Kokain er durchschnittlich nehme. Das könne er nicht beantworten, das wisse er nicht. Nach vielen Nachfragen äußert er während des ersten Verhandlungstages: „Am Anfang vielleicht ein- bis zweimal die Woche. Und es wurde mehr und mehr.“ Es hätte auch einmal drei Tage gegeben, an denen er 50 Gramm Kokain genommen hätte.
Wie er seine Drogensucht finanziert hat, das bleibt am ersten Prozesstag noch weitgehend offen. Der Angeklagte weist darauf hin, er habe gearbeitet. Doch Dospil stellt klar, dass dies stets nur von kurzer Dauer gewesen sei und er sonst Bürgergeld bezogen habe.
Was Kokain koste? 25 bis 30 Euro für „sehr guten Stoff“, sagt der Angeklagte, der darauf hinweist, er habe nie Drogen verkauft. Der Preis scheint Staatsanwältin Polovitzer sehr niedrig, zumal später ein Experte 80 bis 100 Euro pro Gramm nennt, und sie fragt den Angeklagten: „Sind ihre Dealer alles Menschenfreunde?“
Es geht um Drogen und Waffen
Nachmittags werden Zeugen der Schießerei im Paradies, aber auch zu einem Einsatz in einem Hotel im Industriegebiet vernommen. Im November 2024 wurde der Polizei eine Person mit Schusswaffe in einem Hotel in der Line-Eid-Straße gemeldet. Dort wurde der jetzt Angeklagte festgenommen; in seinem Zimmer wurde eine Neun-Millimeter-Patrone gefunden, jedoch keine Waffe. Auf dem Revier sei es zu Widerstandshandlungen und Beleidigungen gekommen.
Im Februar 2025 wurde die Polizei erneut alarmiert. Zunächst sei eine laut schreiende und Sachen werfende Person gemeldet worden. Später seien weitere Meldungen bei der Polizei eingegangen, es würde mit einer Pistole geschossen. Spezialkräfte der Polizei wurden hinzugezogen und der jetzt Angeklagte verhaftet.
Das Zimmer sei ziemlich demoliert gewesen, schildert ein Polizist im Zeugenstand. Eine Walther PPK habe sichergestellt werden können, drei abgeschossene Patronenhülsen seien auf dem Balkon gefunden worden. Im Zimmer wurden Drogen (Kokain, eine Marihuana-Blüte, Crack-Steinchen), mehrere Mobiltelefone in Plastiktüten, Bargeld, ein zerlegtes Magazin und Patronen sichergestellt. In der Bauchtasche des Angeklagten sei zudem eine Liste von Drogenbezeichnungen und Geldbeträgen gefunden worden.
Am zweiten Verhandlungstag am Mittwoch, 17. September, wird die Kammer prüfen, ob der Angeklagte nur Drogenkonsument war oder auch als Verkäufer agierte. Dabei werden seine finanzielle Lage und die Bewegungen auf seinem Konto sicherlich eine Rolle spielen. Einige Namen jener, die Geldbeträge auf das Konto des Angeklagten einzahlt haben, sind einem der Polizisten, der als Zeugen geladen war, bezüglich Betäubungsmitteln bekannt.