Dass aus Chaos Neues entstehen kann, ist schon eine Erkenntnis der frühen Menschheitsgeschichte. Die Künstler Markus Brenner und Jörg Hundertpfund nehmen sie zum Anlass für ihre Doppelausstellung „This is not the end“. Veranstaltungsort: das ehemalige Verlagshaus Stadler.
Es ist ein Jahr her, dass ein Brand das Gebäude in der Zollernstraße 10 wütete. Die Löscharbeiten zogen sich über drei Tage hinweg. Menschen kamen nicht zu Schaden. Doch die Hitze, der Ruß und die Unmengen von Löschwasser führten zu desaströsen Schäden am und vor allem im Gebäude. Der Konstanzer Künstler Markus Brenner wurde kurz nach der Katastrophe von Nachbarn des Brandhauses dorthin gerufen. Sie fragten ihn nach künstlerischen Ideen für die Zeit der Baustelle.
Zwischen Kunst und Dokumentation
Brenner reizte es, den Ort des Geschehens zu besichtigen, was zunächst nicht möglich war. Mit dem Auftrag, Bilder für die Versicherung zu machen, allerdings dann doch. Einerseits dokumentieren diese Fotografien das Geschehen, reichen in ihren Andeutungen aber weit über das rein Dokumentarische hinaus. Die großformatigen Fotografien, die Brenner am Brandort machte, sind nun in genau dem Raum ausgestellt, in dem sie entstanden sind.
Brenners Fotografien wirken wie Malereien. Das liege am Licht, der langen Belichtungszeit und am Ruß, erklärt er bei einer Begehung. Die Farben haben etwas Unwirkliches, Entrücktes. Im großen Raum der Ausstellung befand sich eine Möbelausstellung von Bent Sørensen. Die auf den Fotografien dargestellte Szenerie wirkt oft wie inszeniert, „was durch die Deckenscheinwerfer, die auf die Möbel gerichtet sind, noch verstärkt wird“, sagt Markus Brenner.

Die Betrachter ahnen, was vor dem Brand war, nämlich geschmackvoll hergerichtete Möbel – ein Esszimmertisch, dahinter ein Wandgemälde, bei dem das Preisschild über den Rand hängt; und Betrachter sehen, was der Brand damit machte: umgekippte Stühle, Tapetenfetzen, die sich durch die Nässe des Löschwassers von der Decke lösten und wie verstreute Hautfetzen immer wieder auf Sesseln, auf dem Boden, auf dem Tisch auftauchen.
In einem Toilettenraum waren die Oberflächen derartig stark von einer Rußschicht bedeckt, dass der Spiegel wie Gold erscheint. „Das warme Licht, das dieser Spiegel erzeugt, scheint auf den Neuanfang zu verweisen“, findet der Künstler. Aschepartikel, die sich beim Fotografieren auf die Linse legten, wirken im Bild wie zarte Seifenblasen.
Ein umgekippter Stuhl als Kunstobjekt
Im anderen Teil der Ausstellung setzt sich der in Konstanz und Berlin lebende Künstler und Gestalter Jörg Hundertpfund ebenfalls mit „Neudenken und -gestalten“ auseinander, doch mit einer völlig anderen Herangehensweise. Ausgangspunkt ist ein konventioneller Stuhl. Diesen modifiziert er scheinbar spielerisch auf unterschiedlichste Art und beraubt ihn seiner ursprünglichen Funktion als Sitzmöbel.
„Mich treibt ein kulturwissenschaftliches und kulturkritisches Interesse dafür um, wie Dinge eigentlich entstehen und wo wir gestalterisch ansetzen können“, sagt Jörg Hundertpfund. Die Grafiken entstanden teilweise zwischen 1998 und 2003 und wurden erstmals beim Design-Mai in Berlin 2003 ausgestellt. Auf 250 Weisen dekliniert er den Stuhl durch, mit ausgestrecktem Fuß, der wie ein mahnender Finger auf die Betrachter zeigt, mit abgerundeten Beinen, die an einen Schaukelstuhl erinnern – doch beim Versuch, sich zu setzen, wäre der Kipppunkt sofort erreicht.
Auf einen umgekippten Stuhl traf Markus Brenner, als er nach dem Brand erstmals die Räume betrat. Jörg Hundertpfund sagt: „Ein umgekippter Stuhl irritiert. Wir fragen uns: Was ist da passiert?“ Der Stuhl sei zunächst ein banaler Gegenstand, der aber Horizonte öffnen könne, wenn man ihn analysiert und mit ihm ausprobiert, was möglich ist. Beide Künstler möchten mit ihren Werken dazu auffordern, aus dem Chaos der Katastrophe neue Gedanken und Wege zu ergründen.