Herr Huber las Zeitung und hat sich an einer Stelle geärgert. Im SÜDKURIER stand ein Bericht unter der Überschrift „Baulöwe gefährdet Hesse-Haus“. Mit dem Baulöwen sind er und sein Bruder Edgar gemeint.

HEH baut gerne Mehrfamilienhäuser

Die beiden Geschäftsführer wollen gegenüber des Hesse-Hauses ein ziemlich fülliges Gebäude mit zehn Wohnungen bauen. „Nein, Baulöwen sind wir nicht“, sagt Hartmut Huber am Telefon. Er ist freundlich und spricht mit dem Journalisten wie mit einem potenziellen Kunden, der selbst eine Wohnung kaufen will.

Hartmut Hubers einnehmendes Büro-Schwäbisch weckt Vertrauen, doch er weiß: „In Baden laufen die Uhren anders.“

HEH heißt die Firma der Huber-Brüder, sie sitzt in Hemmingen im Kreis Ludwigsburg, im Herzen von Württemberg. HEH baut gerne Mehrfamilienhäuser. Auf der Webseite wird die Handschrift der Firma erkennbar: Es sind sehr solide wirkende Anwesen mit Ansage – Wohnfestungen mit breiten Fensterrahmen.

Die Hubers sehen sich verunglimpft, seitdem sie auf der Höri im südlichen Kreis Konstanz bauen wollen. Dafür haben sie ein Grundstück mit gut 1000 Quadratmeter erworben.

Eva und Bernd Eberwein erwarben vor 20 Jahren das Dichter-Haus und retteten es vor dem Zerfall. Die Bibliothek (im Bild) ließ noch ...
Eva und Bernd Eberwein erwarben vor 20 Jahren das Dichter-Haus und retteten es vor dem Zerfall. Die Bibliothek (im Bild) ließ noch Hermann Hesse einbauen. Nun bedroht ein Investor das kulturelle Gesamtbild. | Bild: Fricker, Ulrich

An dem Baugesuch, das neben den zehn Wohnungen auch eine Tiefgarage mit 20 Stellplätzen vorsieht, hätte sich unter anderen Umständen niemand gestört. Am Ufer des Bodensees und auch in der Gemeinde Gaienhofen ist das sogenannte Nachverdichten an der Tagesordnung: In schmale Grundstücke werden breite Häuser gesetzt, Wohnungen getürmt und Garagen ins Erdreich versenkt, wobei zwei Stellplätze pro Appartement eher die Regel als die Ausnahme sind.

Das ist – Schönheit hin oder her – die bauliche Entwicklung der vergangenen Jahre. Dass diese kunstvolle Enge in den Prospekten als idyllisch gelegen angepriesen wird, ist Teil des Spiels.

Hermann Hesse genoss die Stille am Bodensee

Bauen in der Nähe des Sees ist ebenso begehrt wie teuer. Doch weist das Grundstück im Gewann „Gütebohl“ West in Gaienhofen eine Besonderheit auf: Ihm gegenüber liegt das Hesse-Haus, dessen schierer Name Promi-Alarm auslöst.

Der Schriftsteller Hermann Hesse wohnte dort mit seiner Frau Mia und den drei Söhnen. Das war in den Jahren 1907 bis 1912, als der schon damals berühmte Mann die Stille auf der Höri genoss und nackt im Untersee badete.

Für die damaligen Bewohner war das eher befremdlich, doch akzeptierten sie den sonderbaren Mann aus dem Schwäbischen. Seine Rechnung bezahlte er stets pünktlich, heißt es.

Eine Aufnahme von Hermann und Mia Hesse am Bodensee. Der Schriftsteller und seine Frau lebten von 1904 bis 1912 auf der Halbinsel Höri.
Eine Aufnahme von Hermann und Mia Hesse am Bodensee. Der Schriftsteller und seine Frau lebten von 1904 bis 1912 auf der Halbinsel Höri. | Bild: Hesse-Museum Gaienhofen

1912 zog die Familie aus. Dem unruhigen Autor war das Ganze inzwischen zu ruhig geworden. Die Familie Hesse siedelte in die Schweiz über; Mia Hesse war Bernerin. Zurück blieb das Haus, das im Stil der Lebensreform gebaut war, einer Bewegung, der die Eheleute Hesse damals anhingen.

Es ging um gesunde Ernährung, natürliche Körperkultur, praktisches Wohnen. Der Literat machte mit, ließ sich die Freude an Zigarren und Rotwein aber nicht nehmen. Zu viel Reform konnte auch freudlos sein.

Heute gehört das Haus mit dem großen Grundstück Eva und Bernd Eberwein. Sie erwarben es vor 20 Jahren und können 2024 Jubiläum feiern – wenn es ihnen noch zum Feiern zumute sein wird.

Hesse-Haus damals in schlechtem Zustand

Vom Glanz des Dichters war damals nicht viel zu erkennen, erzählt Eva Eberwein, wenn sie auf zurückschaut. „Das Haus war in schlechtem Zustand“, schildert sie, „die Leitungen lagen offen, die Tapeten hingen von den Wänden.“

Das Ehepaar sanierte gründlich, den Garten stellte es wieder her. Glücklicherweise hatte Blumenfreund Hesse detaillierte Skizzen über seinen Garten hinterlassen. Eva Eberwein, von Haus aus Biologin, restaurierte das Grünland um das Wohnhaus.

Hermann Hesse auf der Höri

Da sind sich die meisten einig: Die Eberweins haben ein Juwel geschaffen. Die Rekonstruktion des Hauses zahlten sie aus eigener Tasche. Vor allem aber öffneten sie das Haus für die Öffentlichkeit.

Im Sommerhalbjahr führt Frau Eberwein durch das Erdgeschoss und zeigt Küche und Wohnzimmer aus dem frühen 20. Jahrhundert. Im Obergeschoss dann wohnen sie.

Kulturfreundinnen und Gartenmenschen profitieren von dieser Einteilung. Ein bedeutendes kulturelles Denkmal steht offen – und der Staat zahlt dafür keine müde Mark. „Wir erhalten Dankesbriefe von Leuten, die uns besucht haben“, berichtet die Eigentümerin stolz.

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Dennoch, der Friede am Dichterhügel war schon immer brüchig. Früh schon regten sich kritische Stimmen in der Nachbarschaft des Poeten-Domizils. Plötzlich beschwerten sich Nachbarn über die Besucher, die das Anwesen in Gaienhofen aufsuchten. Den ruhebedürftigen Anwohnern war es nicht mehr ruhig genug.

Höhepunkt des Lärmstreits war die nachbarliche Eingabe, die sich gegen die Geräusche wandte, die Besuche auf dem Kreis hervorrufen. Die Eberweins mussten erst ein teures Gutachten in Auftrag geben, um die Attacke abzuwehren.

Schwaben kaufen Badenern Grundstücke weg

Die Diskussion wird durch ein Wort angeheizt, das immer wieder die Runde macht. Das Wort heißt Schwabenwaben, die in Gaienhofen hochgezogen würden. Gemeint sind Wohnungen in vorzüglicher Ausstattung, die von Menschen aus dem Raum Stuttgart oder Reutlingen erworben würden.

Schwabenwaben deutet eine Stimmung an, die am Bodensee immer wieder aufkommt. Gemeint sind jene Schwaben, die den ahnungslosen Badenern die Grundstücke wegkaufen. So ein Wort finden manche unpassend. „Ich finde das empörend, ich bin ja selbst Schwäbin“, sagt Christa Schuler am Telefon. Sie wohnt ebenfalls auf der Höri wohnt und saß früher im Gemeinderat.

Auch der Streit über den Neubau hat einen schwäbischen Akzent. Die Hüter des Dichterhauses versuchen den Bau vor ihrem Haus zu verhindern, den zwei Geschäftsleute aus dem Kreis Ludwigsburg planen. Zu groß, zu klotzig, zu unpassend, so heißt es.

Vor dem Hesse-Museum in Gaienhofen erinnert eine Skulptur an den berühmten Literaten.
Vor dem Hesse-Museum in Gaienhofen erinnert eine Skulptur an den berühmten Literaten. | Bild: Gerald Jarausch

Eva Eberwein fürchtet, dass der Neubau das intakte Gefüge des Wohnviertels zerstören würde. Dass es irgendwann keinen Sinn mehr hat, das ländliche Refugium eines Romanciers zu erhalten, wenn nebenan großräumige SUV in der Tiefgarage verschwinden.

Es gibt einen Punkt, an dem ein Dichter-Memorial nur noch eine schräge Kulisse wäre. Und Eva Eberwein sagt auch leise: „Ich bin erschöpft.“

Gemeinderat und Bürgermeister von Gaienhofen sind auf ihrer Seite. Sie sprachen sich gegen das Zehnfamilienhaus aus. Nach Lage der Dinge nützt das kommunale Votum aber nichts. Denn wenig später schon erteilte das Landratsamt dem Bau die Zustimmung.

Hesse-Haus: Eberweins erhalten viel Zustimmung

Auf Anfrage teilt die Pressesprecherin der Kreisbehörde mit: „Das Baugrundstück entspricht sowohl nach der Art als auch dem Maß der baulichen Nutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans.“ Mit anderen Worten: Es dürfe gebaut werden. Man habe gar nicht anders entscheiden können.

Die Kulturszene ist von dieser Entwicklung enttäuscht. Von dieser Seite erhalten die Eberweins viel Zustimmung. Die „Arbeitsgemeinschaft Bauen und Bewahren auf der Höri“ wird den Kampf gegen das Monstrum, wie es dort heißt, nicht aufgeben.

„Wenn dieses Haus unverändert gebaut würde, wäre das Mia- und Hermann-Hesse-Haus mit seinem Garten eingezwängt zwischen einer absolut monströsen Bebauung oberhalb und einer gleichfalls überdimensionierten, allerdings bereits bestehenden älteren Bebauung unterhalb des Grundstücks.“

Das sagt Anne Overlack, die sich mit anderen in der Arbeitsgemeinschaft (AG) engagiert und die Entwicklung mit Schrecken sieht. Bewahren vor Bauen, da müsste die Grundlinie sein. Stattdessen entstehe in engster Nachbarschaft ein Klotz.

Brandbrief an Kulturministerin Claudia Roth

Die AG setzte zusammen mit den Eheleuten einen Brandbrief auf, der auch an die Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth, adressiert ist. In dem Brief wird daran erinnert, dass das Haus im Denkmalbuch steht und damit ein besonderes Anrecht auf Schutz hat. Hartmut Huber ficht das alles nicht an.

Dass er keinen sozialen Wohnungsbau betreibt, räumt er ein. Geldverdienen sei doch nicht ehrenrührig. „Geld verdienen will jeder, das ist legitim.“ Außerdem berichtet er von einem Projekt in Korntal, das er kürzlich abschließen konnte. Als er den zukünftigen Eigentümern die Schlüssel übergab, stand denen das Glück ins Gesicht geschrieben.