Der viel zitierte Satz „Es ist 5 vor 12“ trifft wohl auf die andauernde Flüchtlingskrise im Hegau schon lange nicht mehr zu. Denn statt 5 vor 12 ist es gefühlt eher 25 nach 12 Uhr. Denn die Gemeinden im Hegau stehen bei der Unterbringung der geflüchteten Menschen mit dem Rücken zur Wand. Oder wie es Ralf Baumert, Bürgermeister von Rielasingen-Worblingen, formuliert: „Wir sind an der Belastungsgrenze angekommen. Unsere Hilferufe müssen endlich von der Politik ernst genommen werden.“ Wie groß die Not ist, hatte jüngst auch Engens Bürgermeister Johannes Moser in einem Brandbrief an die Öffentlichkeit und an die drei Bundestagsabgeordneten im Wahlkreis formuliert.

Um den geflüchteten Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten, werden die Kommunen kreativ. Aber das Signal, dass die Bürgermeister aus dem Hegau aussenden, bleibt eindeutig: Das Ende der Fahnenstange ist erreicht.

Rielasingen verschafft sich Luft

Laut Bürgermeister Ralf Baumert leben in seiner Gemeinde aktuell 135 Menschen in der Leichtbauhalle direkt neben der Talwiesenhalle. „Ob die Halle voll belegt wird und wieviel Menschen dort letztendlich untergebracht werden, liegt in der Zuständigkeit des Landkreises Konstanz. Die Halle soll auf jeden Fall zeitnah mit 175 Menschen belegt werden“, so Baumert. Grundsätzlich bietet die Leichtbauhalle Platz für 350 Menschen.

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Und die Gemeinde sei laut Baumert auf die Leichtbauhalle angewiesen. „Ehrlich gesagt sind wir in der glücklichen Situation, dass wir dem Landkreis das Grundstück für die Leichtbauhalle zur Verfügung gestellt haben. Diese verschafft uns in dieser Frage zumindest Luft bis Juni 2024. Anschließend sehen wir weiter“, betont er. Das Mietverhältnis mit dem Landkreis dauere laut dem Rathauschef der Hegauer Doppelgemeinde noch bis zum Juni 2024.

Ralf Baumert, Bürgermeister von Rielasingen-Worblingen: „Die Leichtbauhalle verschafft uns in dieser Frage zumindest Luft bis Juni ...
Ralf Baumert, Bürgermeister von Rielasingen-Worblingen: „Die Leichtbauhalle verschafft uns in dieser Frage zumindest Luft bis Juni 2024. Anschließend sehen wir weiter.“ | Bild: Matthias Güntert

Wie es danach weitergehe, dass könne Baumert aktuell nicht sagen. Ob es Neubauten für Geflüchtete wie in Gottmadingen oder Container-Dörfer wie in Steißlingen auch in Rielasingen-Worblingen geben werde, dazu sei bislang noch keine Diskussion im Gemeinderat geführt worden. Aber die Zeit drängt: Laut Baumert seien aktuell in der Gemeinde 535 Flüchtlinge untergebracht, davon 150 in Unterbringungen des Landkreises, also auch in der Leichtbauhalle. Laut Gemeindequote müssten Rielasingen zum 1. Oktober 482 Personen unterbringen. Das ergibt eine einfache Rechnung: „Von den aktuell 535 untergebrachten Menschen müssten wir 150 abziehen, das heißt, wir hätten 97 Flüchtlinge zu wenig untergebracht. So lange aber die Leichtbauhalle steht und vom Landkreis betrieben wird, müssen wir die Gemeindequote nicht erfüllen. Das hilft uns im Moment sehr viel“, so Baumert.

Nach dem Kellhof-Aus: Wie geht es in Hilzingen weiter?

Nachdem die Anmietung des Hotel Kellhofes durch den Landkreis Konstanz nicht zu Stande kam, setzt die Hegau-Gemeinde Hilzingen bei der Unterbringung ebenfalls aus Container-Lösungen. Laut Bürgermeister Holger Mayer seien zwar in der Zwischenzeit weitere Wohnungen vom privaten Markt dazugekommen, aber der Markt sei damit leer geräumt. Und: „Wir schließen erneute Hallenbelegungen kategorisch aus“, so der Rathauschef. Stattdessen gehe es für die Gemeinde nun darum, mögliche Standorte sowie Kosten für die Errichtung eines oder mehrere kleinerer Container-Lösungen zu finden. „Die dezentrale Unterbringung an mehreren Standorten wurde im jüngsten Gemeinderat thematisiert“, so Mayer. Aber der Rathauschef macht auch deutlich: Eine zentrale Lösung wäre infrastrukturell leichter umsetzbar.

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Aber auch in Hilzingen drängt die Zeit, wie Bürgermeister Mayer deutlich macht. „Wir haben keine Zeit für große Neubauten“, so Mayer. Stattdessen sollen die ersten möglichen Standorte für die Container-Dörfer noch im Oktober im Gemeinderat vorgestellt werden. Eine Umsetzung des Container-Areals sei in sechs bis acht Monaten denkbar.

Holger Mayer, Bürgermeister von Hilzingen: „Die Kommunen schaffen es nicht mehr, diese Menschen unterzubringen. Und der Zuzug ...
Holger Mayer, Bürgermeister von Hilzingen: „Die Kommunen schaffen es nicht mehr, diese Menschen unterzubringen. Und der Zuzug nimmt nicht ab, im Gegenteil: Er steigt weiter an.“ | Bild: Gemeinde Hilzingen

Aktuell fehlen laut Mayer in Hilzingen 45 Unterbringungsplätze. Oder anders formuliert: Die Unterbringungsquote wird weit verfehlt. Deshalb brauche es eine oder mehrere Container-Lösung für mindestens 60 bis 70 Menschen. „Unter 60 Plätzen wird nicht reichen“, so Mayer. Wie teuer die Anlage werde, stehe aktuell noch nicht fest. Zum Vergleich: Das Container-Dorf in Steißlingen für 60 Personen kostet die Gemeinde etwa 1,5 Millionen Euro.

Die Container-Lösung für geflüchtete Menschen, die im Industriegebiet von Steißlingen steht. Schon bald sollen dort in 40 Containern ...
Die Container-Lösung für geflüchtete Menschen, die im Industriegebiet von Steißlingen steht. Schon bald sollen dort in 40 Containern rund 60 Menschen untergebracht werden. | Bild: Weiß, Jacqueline

Und danach? Auch hier blickt Mayer mit einer gewissen Sorge in die Zukunft: „Die Kommunen schaffen es nicht mehr, diese Menschen unterzubringen. Und der Zuzug nimmt nicht ab, im Gegenteil: Er steigt weiter an.“ Er betont auch, dass die Gemeinden nicht jedes Jahr Neubauten aus dem Boden stampfen können. „Wenn wir das jedes Jahr auf unabsehbare Zeit finanzieren müssen, werden viele, viele andere Projekte nicht umsetzbar sein können“, so Mayer weiter.

Die Bürgermeister schlagen Alarm – erneut

Der kommunale Landesverband kreisangehöriger Städte und Gemeinden hat am Donnerstag einen Brandbrief, der dem SÜDKURIER vorliegt, mit klaren Forderungen für eine Begrenzungsstrategie zur Steuerung der Migration an Bund und Länder verfasst. Darin machen die Städte und Gemeinden deutlich: Die regulären Aufnahmekapazitäten seien längst belegt und die Integrationsressourcen überlastet: in den Kitas gebe es keine freien Plätze, die Schulen seien voll, die ärztliche Versorgung über der Belastungsgrenze und auch Sprachkurse seien nicht annähernd in ausreichendem Maße verfügbar. Das Personal in den Ausländerbehörden arbeite weit über dem Limit. Die Grenzen des Machbaren seien erreicht.

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Die Städte und Gemeinden fordern in dem Schreiben mehrere Sofortmaßnahmen: Zum einen eine konsequente Begrenzung der irregulären Zuwanderung spätestens an den deutschen Außengrenzen auch durch die Einführung von Grenzkontrollen. Aber auch eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer nicht nur um die Republik Moldau und Georgien, sondern etwa auch um die Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien sowie die Türkei.

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Zudem sollen die Asylverfahren beschleunigt werden, so dass die behördliche Entscheidung bereits in der Erstaufnahme getroffen werde. Eine Weiterverteilung auf die Kommunen dürfe nur erfolgen, wenn ein Bleiberecht wirksam festgestellt werde. Auch die Aberkennung des Aufenthaltsrechts von Personen, die schwere Straftaten oder Gewaltverbrechen begehen, sich als Schleuser betätigen oder die Polizei- beziehungsweise Einsatzkräfte gewaltsam angreifen, zu ermöglichen und für diesen Personenkreis eine Rückführung rechtlich zu erleichtern, wird in dem Schreiben gefordert. „Die rasche und vollständige Verabschiedung des EU-Asyl- und Migrationspakets muss von der Bundesregierung vorangetrieben und darf von ihr auf keinen Fall blockiert werden“, heißt es weiter.