Die wichtigste Nachricht schickt der 72-Jährige gleich vorneweg: „Ali geht‘s gut.“ Zuletzt wurde es ruhiger um den beliebten und bekannten Mann, der für jeden stets ein offenes Ohr hat und so gerne ein Schwätzchen hält. Ali Mehmet Kocer war in den vergangenen Jahren mehrmals im Krankenhaus, ihm wurden Stents und Bypässe gelegt.

Zuletzt machte die Lunge Probleme, eine Tuberkulose legte ihn monatelang flach, eine Folge des jahrzehntelangen Rauchens. „Ich muss damit aufhören“, sagt er und drückt eine Zigarette aus. „Ich rauche schon viel weniger als früher. Aber ja, ich sollte gar nicht mehr.“ Die Krankheiten haben ihn gezeichnet, er hat abgenommen und ist nicht gut zu Fuß.

Fußball-Funktionär und KFZ-Spengler

Ali Mehmet Kocer. Der Mann, der den Türkischen SV Konstanz 1980 gegründet und als Kfz-Spengler mehrere Jahrzehnte unzählige Karossen im Industriegebiet repariert hat. Am Ende sogar mit eigener Werkstatt in der Maybachstraße, die er sich mit einem befreundeten Kfz-Mechaniker teilte. In den 80er- und 90er-Jahren war es schwer, den umtriebigen Mann auf einem Konstanzer Fußballplatz nicht anzutreffen. Spielte der Türkische SV, war Ali nicht fern.

Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem vor dem Kassenhäuschen des Türkischen SV Konstanz.
Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem vor dem Kassenhäuschen des Türkischen SV Konstanz. | Bild: Hanser, Oliver

Ali Mehmet Kocer ist immer ein gern gesehener Gast

Doch auch bei Spielen anderer Vereine seiner zweiten Heimat Konstanz war er gern gesehener Gast. Darüber hinaus war er 20 Jahre als Schiedsrichter in der gesamten Region unterwegs. „Fußball verbindet die Kulturen und die Menschen“, hat er Anfang des Jahrtausends im Gespräch mit dem SÜDKURIER mal gesagt.

Damals wurde der Türkische SV Konstanz gerade Mannschaft des Jahres in der Stadt – gewählt von den Bürgern. „Das war der größte Moment der Geschichte unseres Vereins“, sagt er. „Darauf sind wir heute noch stolz.“

Als 24-Jähriger kam er aus Izmir nach Konstanz

1972 kam Ali Mehmet Kocer als junger Mann mit 24 Jahren nach Deutschland. Der klassische Gastarbeiter. In der Türkei hat er Spengler gelernt, hier kam noch die Ausbildung zum Lackierer dazu. „Ich dachte, dass ich nach drei, vier Jahren wieder zurückkehre nach Izmir„, erinnert er sich. „Doch hier hatte ich Arbeit, hier habe ich meine Frau, die ebenfalls aus Izmir kam, geheiratet.“ Und hier kamen die zwei Kinder auf die Welt – Cem und Cejda.

„Das Leben in Deutschland ist super“

Er habe es nie bereut, in Almanya geblieben zu sein. „Nein, nein“, winkt er sofort ab. „Das Leben in Deutschland ist super. Hier sind meine Freunde, meine Ärzte, mein Leben. Hier ist die beste Versorgung“, sagt er. Einmal im Jahr versucht er, die Verwandtschaft in Izmir zu besuchen. 2019 war das aufgrund der Krankheitsgeschichte nicht möglich, „aber 2020 habe ich das fest vor“.

Ein Herz und eine Seele: Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem.
Ein Herz und eine Seele: Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem. | Bild: Hanser, Oliver

Seine Ehefrau starb 2015, so ganz ist er noch nicht darüber hinweg. „Am 15. Juli“, sagt er sofort. „Sie fehlt mir sehr.“ Er hat sie gepflegt bis zu ihrem letzten Atemzug. Danach zog sich Ali Stück für Stück zurück aus dem gesellschaftlichen Leben der Stadt. Früher war er den ganzen Tag unterwegs. Auf Sportplätzen, in Cafés und Restaurants oder in seiner Werkstatt.

Auf einen Chai ins Vereinsheim

Heute pendelt er zwischen seiner Wohnung in der Brandenburgerstraße und einem Café gleich um die Ecke. „Wenn wir am Sonntag Heimspiel haben, schaue ich aber immer zu“, erzählt er. Dann holt sich Ali einen Plastikstuhl und setzt sich an den Spielfeldrand. Vorher sitzt er mit alten Weggefährten im Vereinsheim, trinkt Chai und spielt Karten. So wie früher jeden Tag.

Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem vor dem Vereinsheim des Türkischen SV Konstanz mit Gaststätte.
Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem vor dem Vereinsheim des Türkischen SV Konstanz mit Gaststätte. | Bild: Hanser, Oliver

Lebenswerk Türkischer SV Konstanz

Wenn er über den Türkischen SV Konstanz redet, kommt immer noch das „Wir“ über seine Lippen. Der Verein ist so etwas wie sein Lebenswerk. Hier wird er nach wie vor gehört, die heutigen Verantwortlichen zeigen eine gewisse Ehrfurcht vor ihm. „Ich ermahne die Spieler immer noch, dass sie nicht motzen und den Schiri in Ruhe lassen sollen. Keinen Ton, nur Fußball spielen.“ Fairness im Umgang miteinander und Disziplin als Sportler liegen ihm schon immer am Herzen.

Ali steht für Besonnenheit und friedliches Miteinander

Daher ist der 72-Jährige auch so beliebt, auch wenn er sich immer rarer macht. Als Anfang der 90er-Jahre bei Brandanschlägen Rechtsextremer in Mölln und Solingen acht Menschen türkischer Abstammung starben, warb er in Konstanz aktiv für Besonnenheit und ein friedliches Miteinander. „Das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen ist gut“, sagt er heute. „Ich persönlich hatte in Konstanz nie Probleme mit Rassisten, mich hat nie jemand ausländerfeindlich angegriffen.“

Sie halten sich gegenseitig den Rücken frei: Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem.
Sie halten sich gegenseitig den Rücken frei: Ali Mehmet Kocer und sein Sohn Cem. | Bild: Hanser, Oliver

Immer an Alis Seite seit ein paar Jahren: Sohn Cem Kocer. Die beiden wohnen zusammen, bestreiten jeden Weg als unzertrennliches Duo. „Ich bin offiziell die Pflegekraft meines Vaters und werde von der Versicherung bezahlt“, erzählt der 42-jährige Cem, der immer die Sauerstoffflasche für den Vater dabei hat, wenn der mal wieder Probleme mit dem Atmen hat. Cem selbst ist aufgrund einer Augenkrankheit seit ein paar Jahren arbeitsunfähig.

Cem Kocer.
Cem Kocer. | Bild: Hanser, Oliver

Ein wenig Rente, Pflegegeld und Unterstützung vom Jobcenter – das bisschen Geld reicht für Miete, den täglichen Kaffee und ab und an für einen Besuch eines türkischen Restaurants. „Wir sind glücklich mit dem, was wir haben“, sagen Vater und Sohn gemeinsam. Die wichtigste Nachricht gab‘s sowieso gleich zu Beginn vom Senior persönlich: „Ali geht‘s gut.“ Das ist die Hauptsache.