Die Tür öffnet sich, es riecht etwas muffig. Kein Wunder, denn wo jahrelang Gäste ein und aus gingen, gutes Essen genossen oder eine Nacht verbrachten, herrscht seit Monaten Leere. Annerose Gurlitt, die den Nicolai Torkel seit 2002 betrieb, dort aber schon 1996 als Bedienung angefangen hatte, beendete ihre Zeit als Pächterin zum Jahresende 2024.

Seitdem wartet das zweistöckige Gebäude auf eine Sanierung und eine neue Pächterin oder einen neuen Pächter. Die Gästezimmer im Obergeschoss und der Vorraum wurden schon aufgehübscht, aber die Technik benötigt eine Überholung – allen voran die Heizungsrohre. Ansonsten sieht es aus, als wurde in diesem Haus die Zeit angehalten.

Der Gastraum des Nicolai Torkels ist mit Holzmöbeln ausgestattet.
Der Gastraum des Nicolai Torkels ist mit Holzmöbeln ausgestattet. | Bild: Kirsten Astor

Der Gastraum mit seinen roten Bodenfliesen, den hellen Wänden mit Fachwerk und der rustikalen Holzeinrichtung scheint darauf zu warten, dass bald wieder Hungrige an den Tischen Platz nehmen. In der Küche stehen Töpfe und hängen Reibe, Sieb und Schöpflöffel bereit, im Raum nebenan sind Salz- und Pfefferstreuer fein säuberlich auf einem runden Tablett angeordnet.

Salz- und Pfefferstreuer stehen fein sortiert auf einem Tablett.
Salz- und Pfefferstreuer stehen fein sortiert auf einem Tablett. | Bild: Kirsten Astor

Übernachtungsgäste könnten ebenfalls jederzeit hier Station machen, die Betten sind bezogen. Dennoch kann die Spitalstiftung als Besitzerin des Gebäudes derzeit nicht sagen, wann im Nicolai Torkel wieder Leben einkehrt. Die Sanierung soll demnächst starten, aber wann sie abgeschlossen sein wird, ist noch unklar.

Klar ist dagegen die Geschichte des Hauses: Errichtet wurde es im 16. Jahrhundert als eines von 28 Torkelgebäuden, die es damals rund um Konstanz gab, schreibt Helmut Maurer in der „Volksbühne“ 1969, Heft 10.

Auf diesem alten Bild ist der Nicolai Torkel in früheren Jahren zu sehen.
Auf diesem alten Bild ist der Nicolai Torkel in früheren Jahren zu sehen. | Bild: Stadtarchiv Konstanz, Signatur Z1.pk.27-0366-Torkel

Ein Torkel ist eine aus Holz gebaute Weinpresse, bei der die Trauben auf ein Holzbett geschüttet und durch den Druck aufeinanderliegender Eichenstämme ausgepresst werden. Das Wort leitet sich vom lateinischen torquere ab, was „drehen“ bedeutet, aber auch „foltern“ und „quälen“.

Während die Trauben im Torkel gequält wurden, gingen die Mönche von Petershausen dort angenehmeren Beschäftigungen nach. Laut Helmut Maurer diente der Nicolai Torkel nämlich nicht nur als Ort der Weinzubereitung, sondern auch als „Lusthaus“ oder Erholungsstätte für die Mönche, die oberhalb im Wald wohl sogar eine Kegelbahn angelegt hatten.

Die Küche ist voll ausgestattet und wartet auf die nächsten Nutzer. Sabine Schilling, Pressesprecherin der Spitalstiftung, schreibt den ...
Die Küche ist voll ausgestattet und wartet auf die nächsten Nutzer. Sabine Schilling, Pressesprecherin der Spitalstiftung, schreibt den Nicolai Torkel bald zur Pacht aus. | Bild: Kirsten Astor

Woher der Name des Torkels kommt

Warum Mönche? Weil der Name Nicolai Torkel darauf hinweist, wem das Gebäude damals gehörte. Die Pfarrkirche des Klosters Petershausen war dem Heiligen Nikolaus geweiht – und zur Ausstattung des Klosters gehörte auch das Rebgelände mit dem Torkel. In schriftlichen Quellen sei die Einrichtung erstmals im Jahr 1581 als „St. Niclausen-Torggel“ erwähnt worden, schreibt Maurer.

Das Nachfolgegebäude, wie es heute – allerdings verändert – gegenüber dem Waldhaus Jakob steht, wurde aber erst 1710 errichtet, das zeige sein barockes Äußeres, so der Autor. Als das Kloster Petershausen 1802 säkularisiert wurde, ging es samt Rebgelände in den Besitz des badischen Prinzen über und blieb in markgräflicher Hand, bis die Spitalstiftung gut 100 Jahre später einen Handel vollzog.

Am Ende des Flurs im Obergeschoss findet sich diese runde Sitzecke.
Am Ende des Flurs im Obergeschoss findet sich diese runde Sitzecke. | Bild: Kirsten Astor

Im Jahr 1907 tauschte die Stiftung ihre Güter auf der anderen Seeseite (außer die Haltnau) mit der Markgräflichen Verwaltung, die wiederum Liegenschaften auf dem Bodanrück besaß. So gelangte auch der Nicolai Torkel in ihren Besitz. 1911 machte die Spitalstiftung ihn zum Nebengebäude des Waldhauses Jakob, das sie 1888 von Familie Jakob gekauft hatte. In jener Zeit wurden auch die Fremdenzimmer eingebaut.

Ein besonderes Merkmal des Gebäudes prangt über dem Eingang. Es zeigt das Petershauser Barockwappen mit einer Lilie und darüber den Kopf eines Abtes mit Mitra und gekreuzten Abtsstäben. Die Lilie stellt wohl das Familienwappen des regierenden Abtes dar, die Krummstäbe stehen für die Abteien Petershausen und Stein am Rhein.

Das barocke Wappen im Schlussstein über dem Eingang wird schon in frühen Quellen erwähnt. Es zeigt das Wappen des Klosters Petershausen ...
Das barocke Wappen im Schlussstein über dem Eingang wird schon in frühen Quellen erwähnt. Es zeigt das Wappen des Klosters Petershausen mit Lilie, Abtskopf mit Mitra sowie sich kreuzenden Abtsstäben. | Bild: Kirsten Astor

Weiteren Aufschluss zur Geschichte gibt das, was ein Autor in der „Deutschen Bodensee-Zeitung“ vom 7. Juli 1937 unter dem Titel „Rund um das Kurhaus Waldhaus Jakob“ beschreibt.

Zum Nicolai Torkel weiß er um äußerliche Veränderungen: „Als man das Torkelgebäude zu Wohnzwecken umbaute, zu Ende des vergangenen Jahrhunderts, ließ man ihm seine ursprüngliche Form; nur ein Treppenturm wurde an der Südseite angebaut und zwei Veranden. Den unteren Torkelraum mit den beiden starken, einfach behauenen Eichenpfosten ließ man ziemlich unverändert.“

Der Gastraum des Nicolai Torkels ist mit Holzmöbeln ausgestattet. Im Hintergrund sind die beiden erwähnten Eichenpfosten zu sehen.
Der Gastraum des Nicolai Torkels ist mit Holzmöbeln ausgestattet. Im Hintergrund sind die beiden erwähnten Eichenpfosten zu sehen. | Bild: Kirsten Astor

Weitere Umbauten erfuhr das Gebäude durch einen Dachstuhlbrand im Jahr 1936: Unter anderem verschwanden die Veranden wieder, dafür leuchtete nun rotes Sichtfachwerk im ersten Stock. Auch der Innenraum sei nach dem Brand neu gestaltet worden, lässt der Autor wissen, und bezeichnet den Bau als „Schmuckkästchen“.

Der Vorraum sei „in lichter Farbe gehalten“, „die beiden Eichenpfosten in Naturfarbe“. Damals gab es im Nicolai Torkel acht Gasträume im ersten Stock, vier weitere im Dachgeschoss. 25 Betten luden zum Übernachten ein.

Die Hotelzimmer im Obergeschoss wurden schon saniert und könnten jederzeit von Gästen in Beschlag genommen werden.
Die Hotelzimmer im Obergeschoss wurden schon saniert und könnten jederzeit von Gästen in Beschlag genommen werden. | Bild: Kirsten Astor

Spitalstiftung sucht bald neuen Pächter

Knapp 90 Jahre später soll in das eingetragene Kulturdenkmal also wieder Leben einziehen. „Wir schreiben das Lokal demnächst zur Verpachtung auf unserer Website aus“, sagt Sabine Schilling, Pressesprecherin der Spitalstiftung. Im Inneren haben 50 Gäste Platz, weitere kommen bei schönem Wetter auf der Terrasse unter.

Warum aber gehören der Spitalstiftung, die sich der Gesundheit der Menschen verpflichtet hat, drei Restaurants? „Die Gasthäuser dienen zwar nicht dem Zweck der Spitalstiftung, bringen aber durch die Pacht Geld ein, das wiederum dem Zweck dient“, erläutert die Pressesprecherin.

Sabine Schilling, Pressesprecherin der Spitalstiftung, auf der Treppe zur gemütlichen Sitzecke im Turm.
Sabine Schilling, Pressesprecherin der Spitalstiftung, auf der Treppe zur gemütlichen Sitzecke im Turm. | Bild: Kirsten Astor

Der Stiftungszweck ist die „Gewährung persönlicher Hilfe und Pflege zur Gesundheitsförderung für infolge von Armut, Alter und Krankheit bedürftiger Menschen“. Zu diesem Zweck unterhält die Spitalstiftung beispielsweise Pflegeheime.

Zur Stiftung gehören die Spitalkellerei Konstanz und die Haltnau in Meersburg, das „Hedicke‘s Terracotta“ (der heutige Gastraum war einst der Speisesaal eines Feierabendheims für ältere Pflegebedürftige mit geringer Rente) und der Nicolai Torkel.

Bald sucht die Spitalstiftung eine neue Pächterin oder einen neuen Pächter.
Bald sucht die Spitalstiftung eine neue Pächterin oder einen neuen Pächter. | Bild: Kirsten Astor

Ein Gasthaus zu betreiben, dient zwar nicht vorrangig der Gesundheitsförderung. Doch sehr wohl kann es positive Auswirkungen haben, wenn Menschen gutes Essen oder Trinken genießen. So schreibt der Autor in der „Deutschen Bodensee-Zeitung“ über einen Ausflug ins Waldhaus Jakob, dort würden „vom Alltag abgehetzte Menschen liebevoll betreut“ und könnten „körperliche Frische und seelische Genesung finden“.