Bild 1: Was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn Menschen ab der neunten Schwangerschaftswoche wissen können, ob ihr Kind das Down-Syndrom hat?

Andreas Laube ist Heilpädagoge und Leiter des Fachbereichs Kinder, Jugend und Familie bei der Caritas Konstanz

Herr Laube, was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn Menschen ab der neunten Schwangerschaftswoche wissen können, ob ihr Kind das Down-Syndrom hat?

Es stürzt unsere Gesellschaft in einen großen Gewissenskonflikt. Und die, die den Test machen, in eine schwierige Frage, wenn das Ergebnis positiv ist. Meine Sorge ist, dass manche werdenden Eltern den Test durchführen lassen, weil er als Angebot vorhanden ist, ohne sich darüber bewusst zu sein, was für ein Entscheidungskonflikt auf die Familie zukommen könnte.

Haben die Frauen, die Sie beraten, vorgeburtliche Untersuchungen gemacht?

Prinzipiell bekommen wir ja nur die Rückmeldung von den Eltern, die sich für das Kind entschieden haben. Bei der Anamnese fragen wir nicht gezielt nach, ob pränataldiagnostische Untersuchungen vorgenommen wurden. Aber wir fragen nach besonders schönen oder belastenden Momenten in der Schwangerschaft. Da gibt es durchaus Eltern, die von den Tests und den Zitterpartien berichten.

Gibt es Statistiken, wie viele Kinder in Konstanz mit Down-Syndrom leben? Es gibt keine zuverlässigen und aussagekräftigen Zahlen, nein. Aber es gibt Beobachtungen und Rückmeldungen.

Die wären?

Das verschiedene Behinderungsformen nicht erst durch den Bluttest, sondern auch schon davor durch die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik weniger geworden sind.

Dabei sind nicht nur die Diagnosemöglichkeiten, sondern auch die Möglichkeiten der Förderungen von Menschen mit Behinderungen besser geworden. Was hat sich diesbezüglich in den vergangenen zehn Jahren getan?

Einen der größten medizinischen Fortschritte wurde im Rahmen der Frühchenversorgung erzielt. Kinder, die sehr früh geboren sind, leben inzwischen mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit mit keinen oder sehr geringen Folgeschäden. Wenn es doch welche gibt, findet man inzwischen meist gute Wege, die auch in die Selbstständigkeit führen. Das Angebot der Therapieformen hat sich erweitert. Das Thema Inklusion wurde in der Gesellschaft anders verortet. Dadurch hat sich auch für die Eltern, die ein behindertes Kind haben, etwas verändert.

Welche speziellen Möglichkeiten gibt es in Konstanz?

Das beginnt mit der medizinischen Diagnostik und der Feststellung, welchen Bedarf das Kind und die Familie haben. Dann gibt es verschiedene Einrichtungen in Konstanz, angefangen beim SPZ bis hin zu unserer Einrichtung, der interdisziplinären Frühförderung der Caritas, oder die Beratungsstellen wie die von Pro familia. Es gibt viele Möglichkeiten, sich schon sehr früh über spätere Fördermöglichkeiten zu informieren. Welche Formen der Trisomie es beispielsweise gibt, wie stark oder schwach ausgeprägt die Behinderung sein kann, welche Möglichkeiten es beim Thema Krippe, Kindergarten und Schule gibt, aber auch später, wenn das Kind volljährig ist, und selbstständig wohnen soll.

Ist es auch eine Frage des Geldbeutels, wie stark man sein Kind fördern kann?

Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Bei der Grundversorgung gibt es ein gutes Angebot, da kommt es nicht auf den Geldbeutel an. Die Therapieformen, die von den Kassen und vom Sozialhilfeträger als Leistungen anerkannt sind, werden für Kinder von null bis sechs Jahren ohne irgendeine Beteiligungen der Eltern geleistet. Das verändert sich, wenn die Kinder größer werden, genauso wie es auch bei Kindern ohne Behinderung ist. Da kann es dann durchaus zu einkommensabhängigen Beteiligungen kommen. Was viele nicht wissen: Es gibt auch die Möglichkeit, dass der Familie ein bestimmter Betrag zur Verfügung gestellt wird und sie selbst entscheiden, welche heilpädagogischen Angebote sie damit nutzen.

Welche Vorurteile sind am meisten verbreitet und stimmen am wenigsten über Menschen mit Down-Syndrom?

Das ist vielleicht kein Vorurteil, aber es gibt zum Beispiel die Vorstellung, dass Menschen mit Trisomie 21 keinen Mundschluss haben. Die Zunge ist zwar etwas größer als bei anderen Menschen, aber die Kinder können lernen, ihre Mundmotorik zu kontrollieren. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein großes generelles Vorurteil dahingehend gibt, dass das Leben mit einer Behinderung nicht lebenswert, nicht schön ist, denn es entspricht nicht den Maßstäben unserer Gesellschaft.

Welche Möglichkeiten gibt es in Konstanz, selbständig zu leben und zu wohnen?

Da hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Es gibt übende Wohngruppen, betreutes Wohnen oder auch das selbstständige Wohnen mit einer Betreuung, welche in angemessenen Abständen dazu kommt und unterstützt, z. B. bei bürokratischen Dingen wie Mietzahlungen oder auch der praktischen Frage, wie man den Alltag in der eigenen Wohnung gestalten kann.

Auf der einen Seite gibt es bessere Förderungsmöglichkeiten, auf der anderen Seite den zunehmenden Druck der Leistungsgesellschaft, perfekt zu funktionieren. Was glauben Sie, wie sich das in Zukunft entwickeln wird?

Mir fällt spontan ein, was mir Eltern mit einem Kind mit Behinderung schon rückgemeldet haben. Ihnen wurde gesagt: „So was ist doch heute nicht mehr notwendig.“ Die medizinischen Möglichkeiten erlauben heute sehr viel. Das ist toller Fortschritt. Aber diese Möglichkeiten suggerieren etwas, was ich auch sonst in unserer Gesellschaft zur Zeit erlebe: man möchte alles absichern können, alles genau wissen, alles lenken. Mein Wunsch wäre, dass der Teil wieder mehr in den Vordergrund rückt, in dem die Vielfalt an Erlebnissen, auch Schicksale und Leidenserfahrungen, wieder zu unserem Leben dazu gehören. Dazu gehört meiner Ansicht nach auch, dass unser ethisch moralisches Denken im konkreten Leben seinen Platz findet und wir es immer wieder überprüfen.