Ob unter der Erde, auf der Oberfläche oder in der Luft: Schon lange, bevor am Rand von Wollmatingen der neue Stadtteil entsteht, kümmern sich Lukas Esper, Patrick Betz und ihre Kollegen von der Stabsstelle Entwicklung Hafner um unzählige Fragen, die sich Laien gar nicht ausmalen können.

Immer wieder begegnen ihnen dabei kuriose Themen oder Gegenstände. Das beginnt schon beim Buddeln in der Erde. „Die ersten geomagnetischen Untersuchungen, die mittels Sonden oder Drohne stattfanden, hatten wir vor zwei Jahren“, sagt Lukas Esper. Dabei wird der Untergrund auf bedeutsame Funde aus der Vergangenheit untersucht.

Die Archäologen entdeckten anhand von Pfahlgründungen und Scherben nicht nur eine prähistorische Siedlung und römische Münzen. Ausgegraben wurden auch Fisch-Metalldosen aus der französischen Besatzungszeit und ein altes Nokia-Handy mit Akku.

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Aber auch von überirdischen Funden wurden die Planer überrascht. „Mitten im Wald haben wir eine wunderschön eingerichtete Bar entdeckt, mit einer Theke und Baumstümpfen als Hocker“, erzählt Lukas Esper. „Wenn die Stadt ein Flurstück ankauft, wird vorher nicht alles durchforstet.“

So kam es auch im Hafner-Hügel zu einer Überraschung, wie Patrick Betz berichtet: „Unter einem Schopf befindet sich ein gar nicht so kleiner Kellerraum.“ Zur Bar im Wald ergänzt er lachend: „Die kann noch benutzt werden, bis wir dort bauen.“

(Archivbild) So sieht das Plangebiet Hafner aus der Luft aus. Zwischen Wollmatingen und Litzelstetten soll in den kommenden Jahren ein ...
(Archivbild) So sieht das Plangebiet Hafner aus der Luft aus. Zwischen Wollmatingen und Litzelstetten soll in den kommenden Jahren ein komplett neuer Stadtteil entstehen. Geplant sind etwa 3000 Wohneinheiten auf 60 Hektar Siedlungsfläche, mit Fokus auf bezahlbarem, klimaneutralem und möglichst spekulationsfreiem Wohnraum. | Bild: Gerhard Plessing

Besonders spannend wurde es für die Hafnerplaner, als sie beim Kauf einer Fläche im Grundbuch den Vermerk „Sicherung von Leitung“ lasen. Damals war ihnen noch nicht klar, dass diese drei Wörter sie dazu veranlassen würden, mit den französischen Streitkräften Kontakt aufzunehmen.

„Nach eingehender Recherche wurde uns klar, dass es sich um eine Kupfer-Kommunikationsleitung aus der Besatzungszeit handeln muss. Inzwischen ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in Kaiserslautern dafür zuständig, doch die konnten uns nicht sagen, ob die Leitung noch benötigt wird“, erzählt Lukas Esper.

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Immerhin hatte die Bundesanstalt den Kontakt zu den richtigen Leuten beim französischen Militär. „Die haben uns gesagt, sie bräuchten das Kabel nicht mehr. Was für ein Aufwand für ein paar Meter Leitung!“, sagt Patrick Betz.

Wo ist der ominöse dritte Erbe?

Noch viel mehr Aufwand betreiben das Team und eine spezialisierte Kanzlei, um an ein weiteres Grundstück zu kommen. Denn die Eigentümergemeinschaft besteht aus drei Erben – zwei davon wollen verkaufen, der Dritte ist verschollen. Er soll sich in Kanada aufhalten, aber auch der Kanzlei gelang es bisher nicht, den Erben zu finden.

„Die einzige Chance ist ein Enteignungsverfahren, denn irgendwann bestimmt das Gericht einen Vormund für den nicht auffindbaren Erben. Wenn es so läuft, wie wir uns das vorstellen, kann das Grundstück an die Stadt verkauft werden und der Anteil des Verschollenen kommt auf ein Treuhandkonto – falls er jemals auftaucht und das Geld verlangt“, sagt Lukas Esper.

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Denn niemand weiß, ob der Erbe überhaupt noch lebt und falls ja, ob er von seinem Anteil weiß und vielleicht selbst wieder Nachkommen, also mögliche Erben, hat. „Dieser Aufwand ist absurd“, sagt Patrick Betz und ergänzt: „Das ist zum Glück ein Einzelfall, sonst kämen wir nicht voran und es würde alles viel zu teuer.“ Schließlich geht es um 600 Grundstücke und 350 Eigentumsparteien.

Ein anderes Extrem ist eine Eignergemeinschaft, die aus 16 Parteien besteht, davon ein Nonnenorden. „Man muss mit allen 16 auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Das ist uns zum Glück gelungen, alle sind verkaufsbereit. Manche waren sogar froh, dass sie die Verantwortung für ihren Teil des Grundstücks endlich los sind“, so Betz.

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Wenn Behörden sich nicht einig sind

Besonders kurios wird es, wenn die deutsche Regelungswut durchgreift. „Es ist krass, auf welche Vielzahl von konkurrierenden Vorschriften wir stoßen, die Konflikte auslösen“, sagt Lukas Esper. Behörde A sagt das eine, Behörde B das andere. „Aus deren Sicht hat das alles schon Sinn, aber es gibt keine übergeordnete Ebene, die von oben draufschaut und sagt, dass das nicht zusammenpasst.“

So müssen die Planer in Konstanz diese Regelkonflikte lösen. Beispiel gefällig? „Wir möchten den Knotenpunkt an der L220 umbauen, das muss das Regierungspräsidium genehmigen“, sagt Esper. „Bei dem Verfahren unterscheiden sich die Anforderungen für diese kleine Kreuzung mit Abbiegespur nicht von einem Autobahnkreuz.“

Auf dem großen Bildschirm ist ein kleiner Ausschnitt der 12.400 Hafner-Einzelprojekte zu sehen. Alle erhalten einen farbigen Balken. ...
Auf dem großen Bildschirm ist ein kleiner Ausschnitt der 12.400 Hafner-Einzelprojekte zu sehen. Alle erhalten einen farbigen Balken. Patrick Betz ist dafür zuständig, für jeden Posten einen Zeitplan zu erstellen und alles zu koordinieren. „Das ist komplizierter, als ein neues Flugzeug zu entwickeln“, sagt er. | Bild: Kirsten Astor

Das heißt: Die Projektverantwortlichen mussten für den Mini-Knotenpunkt dicke Aktenordner mit ausgedrucktem Papier – in dreifacher Ausfertigung – nach Freiburg schicken. Darin unter anderem ein Verkehrsgutachten, die Expertise eines Sicherheitsingenieurs und ein 30 Seiten starkes Beleuchtungsgutachten.

„Ich habe allein eine Stunde gebraucht, um das alles zu unterschreiben“, sagt Lukas Esper und lacht. Patrick Betz ergänzt: „Und dann konkurrieren die Anforderungen zur Beleuchtung mit dem Artenschutz. Aus Verkehrssicht soll der Knotenpunkt gut ausgeleuchtet werden, aber Fledermäuse hassen Licht.“

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Ach ja, und dann gibt es noch den Lärmschutz, ein beliebtes Thema in Konstanz. „Auch hier konkurrieren Vorschriften miteinander“, sagt Esper und gibt ein Beispiel: „Ein Auto, das auf der Straße fährt, verursacht Verkehrslärm. Sobald es aber in einen der geplanten Mobility Hubs (Parkgaragen) fährt, verursacht es Gewerbelärm. Dazu gibt es andere Vorschriften als für Verkehrslärm, er wird auch anders gemessen.“

Wenn nebenan noch ein Pflegeheim steht, wird es ganz kompliziert: „Ein Pflegeheim fällt nicht in die Kategorie Wohnen, sondern zählt als Kurgebiet und hat nochmal strengere Lärmschutzvorgaben“, so Esper. „Das ist alles sehr kleinteilig und lässt uns oft kopfschüttelnd zurück. Wir könnten inzwischen ein Buch schreiben.“

„Das ist alles sehr kleinteilig und lässt uns oft kopfschüttelnd zurück. Wir könnten inzwischen ein Buch schreiben“, sagt Lukas Esper, ...
„Das ist alles sehr kleinteilig und lässt uns oft kopfschüttelnd zurück. Wir könnten inzwischen ein Buch schreiben“, sagt Lukas Esper, Projektleiter Hafner. | Bild: Hanser, Oliver