Wir befinden uns im Jahr 2019. Ganz Deutschland hat sich dem Klimawandel ergeben. Ganz Deutschland? Nein. Eine von unbeugsamen Alemannen bevölkerte Stadt will der Erderwärmung Widerstand leisten. Am 2. Mai 2019 ruft der Gemeinderat von Konstanz den Klimanotstand aus.

Zeitgleich mit internationalen Metropolen wie Los Angeles, Vancouver und London beschloss der Konstanzer Gemeinderat einstimmig, „alle Kräfte aus Politik und Bevölkerung zu bündeln, um gemeinsam sofortige und entschlossene Anstrengungen zum Klimaschutz zu leisten“. Bis Ende 2019 waren rund 70 deutsche Kommunen dem Konstanzer Beispiel gefolgt.

Da das reine Ausrufen eines Notstands aber nicht viel bringt, beschlossen die Stadträte im März 2021, das vom Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) erarbeitete „Klima-Plus-Szenario“ in Konstanz weiterzuverfolgen. Das Ziel: CO2-Neutralität bis 2035.

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Ein halbes Jahr danach verabschiedete die Politik auch die dazugehörige Klimaschutzstrategie: 63 Maßnahmen in den Sektoren Strategie und Planung, Gebäude, Energieversorgung, Mobilität sowie Konsum, Freizeit und Bildung sollen die Konstanzer Treibhausgasemissionen um 91 Prozent senken.

Konstanz entfernt sich jeden Tag weiter vom Ziel

Im Januar 2025 folgte die große Ernüchterung. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) bestätigt das vergangene Jahr als wärmstes der Geschichte. Mit etwa 1,55 Grad über dem vorindustriellen Niveau wird das Pariser Klimaziel zum ersten Mal in einem einzelnen Jahr gerissen. Auch Konstanz verliert sein Ziel immer mehr aus den Augen.

Eigentlich hätte der Ausstoß von Treibhausgasen im Stadtgebiet von 428.000 Tonnen im Jahr 2018 auf 266.000 Tonnen im Jahr 2023 sinken sollen. Allerdings wurden laut aktuellem Klimaschutzbericht im Jahr 2023 jedoch ganze 370.000 Tonnen ausgestoßen – und damit 28 Prozent zu viel. Diese Konstanzer Emissionen hätten eigentlich gar nicht entstehen dürfen.

Der stellvertretende Leiter des eigens in Konstanz eingerichteten Amtes für Klimaschutz, Lorenz Heublein, stellt den Klimaschutz-Bemühungen ein vernichtendes Urteil aus: „In allen Bereichen sind wir hinter den Zielsetzungen zurück, was wir als zusätzlichen Ansporn nehmen. Rein kommunal sind diese allerdings auch nicht zu erreichen.“

„In allen Bereichen sind wir hinter den Zielsetzungen zurück, was wir als zusätzlichen Ansporn nehmen“, sagt Lorenz Heublein vom Amt für ...
„In allen Bereichen sind wir hinter den Zielsetzungen zurück, was wir als zusätzlichen Ansporn nehmen“, sagt Lorenz Heublein vom Amt für Klimaschutz. | Bild: Rindt, Claudia | SK-Archiv

Beim Solar-Ausbau lief es gut – kurzfristig

Im 11. Konstanzer Klimaschutzbericht steht wörtlich: „Eine weitgehende Klimaneutralität bis 2035 oder auch 2040/45 wird mit dem jetzigen Mittel- und Personaleinsatz nicht zu schaffen sein. Auch kostenintensivere oder politisch umstrittene Maßnahmen müssten wir längst gemeinsam mit ‚Selbstläufern‘ wie dem PV-Ausbau angehen.“ Das klingt nach einer Bankrotterklärung. Aber ist es so?

Als „Selbstläufer“ galt lange Zeit der Photovoltaik-Ausbau (PV-Ausbau), denn er kostet vergleichsweise wenig und bringt viel. Anvisiert war ein Zubau von zehn Megawatt Peak (MWp) pro Jahr. Die Maßeinheit MWp beschreibt die maximale Leistungskapazität einer Solaranlage unter idealen Bedingungen.

So kamen allein von 2022 auf 2023 rund sechs MWp hinzu, eine Verdreifachung. Doch da spielte eben nicht nur der Klimaschutz eine Rolle, sondern vor allem die Energiekrise nach Putins Einmarsch in die Ukraine. Schon 2024 war der Trend wieder leicht rückläufig. Ergebnis: Konstanz erreicht gerade einmal etwas mehr als die Hälfte des selbst gesteckten Ziels.

Kein ausreichendes Konzept für die Sanierung kommunaler Gebäude

Am dramatischsten ist die Lage aber dort, wo die Stadt den größten Einfluss haben müsste: bei ihren eigenen Gebäuden. Hier liegt der Anteil erneuerbarer Energien beim Heizen mit sieben Prozent sogar noch unter den gesamtstädtischen acht bis neun Prozent. Noch gibt es kein beschlossenes Konzept zur Sanierung, das den Zielpfad der Klimaschutzstrategie widerspiegelt. Gleichwohl rechnet die Stadt in den nächsten Jahren hier aber mit Investitionen in Höhe von 60 Millionen Euro.

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Finanzierungsfrage spaltet Gemeinderat

Klimaschutz kostet Geld, viel Geld. Und genau das führt zu Spannungen zwischen den politischen Lagern im Gemeinderat. „Die Euphorie des Notstands-Beschlusses ist bei einigen im Gemeinderat verflogen“, sagt Jürgen Faden von den Freien Wählern. Dafür sei die Einsicht gekommen, dass Klimaschutz Geld kostet und Konstanz Schulden in Höhe von rund 100 Millionen Euro hat. „Würde die Abstimmung über den Klimanotstand heute stattfinden, würde ich dagegen stimmen“, sagt Faden.

„Würde die Abstimmung über den Klimanotstand heute stattfinden, würde ich dagegen stimmen“, sagt Stadtrat Jürgen Faden.
„Würde die Abstimmung über den Klimanotstand heute stattfinden, würde ich dagegen stimmen“, sagt Stadtrat Jürgen Faden. | Bild: SK-Archiv

Investitionen in den Klimaschutz in Höhe von 150 Millionen Euro bis 2030 hat der Gemeinderat zwar vor drei Jahren beschlossen. „Nichtsdestotrotz merken wir, je konkreter es wird, desto schwieriger werden die Diskussionen“, sagt Lorenz Heublein. Von den jeweils 20 Millionen Euro Ziel-Investitionen in den Jahren 2025 und 2026 werden im „Klima-Haushalt“ nur knapp drei Viertel abgerufen.

Trotz der auf den ersten Blick katastrophalen Treibhausgasbilanz hält Benjamin Gugel vom ifeu Konstanz immer noch für eine Vorreiter-Stadt beim Klimaschutz in Baden-Württemberg. „Vor dem Klimanotstand ist Konstanz nicht so hervorgestochen wie andere Kommunen. Deswegen glaube ich, dass der Beschluss viel erreicht hat. Vor allem, wenn es um Konzepte zum Klimaschutz geht“, sagt der Experte für kommunale Klimaschutzmaßnahmen.

„Vor dem Klimanotstand ist Konstanz nicht so hervorgestochen wie andere Kommunen. Deswegen glaube ich, dass der Beschluss viel erreicht ...
„Vor dem Klimanotstand ist Konstanz nicht so hervorgestochen wie andere Kommunen. Deswegen glaube ich, dass der Beschluss viel erreicht hat“, sagt Benjamin Gugel vom ifeu. | Bild: Susanne Lencinas

Sie machen 43 Prozent der Emissionen aus: Auf Privathaushalte kommt es an

Das Konzept, das die städtischen Klimaschutzambitionen in Handlungen übersetzen soll, ist die Konstanzer Klimaschutzstrategie. Und mit ihr sind Klimaschutz-Aktivisten auch zufrieden. „Die Strategie ist ziemlich umfangreich“, findet Manuel Oestringer von Fridays for Future. „Außerdem gibt es in Konstanz ein gutes Monitoring der Treibhausgasemissionen. Das ist schon mal besser, als nicht zu wissen, wo man steht.“

„Die Strategie ist ziemlich umfangreich“, findet Manuel Oestringer von Fridays for Future.
„Die Strategie ist ziemlich umfangreich“, findet Manuel Oestringer von Fridays for Future. | Bild: Steinert, Kerstin | SK-Archiv

Durch Klimaschutzstrategie und Monitoring weiß Lorenz Heublein nicht nur, wie viel CO2 im Stadtgebiet in den vergangenen Jahren ausgestoßen wurde. Er weiß auch, dass Privathaushalte in Konstanz für 43 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind. Zum Vergleich: Gewerbe, Handel und Industrie kommen zusammen gerade einmal auf 34 Prozent. Der Verkehr ist mit 21 Prozent Anteil der dritte große Block der Treibhausgas-Emissionen.

Die Zahl der Autos in Konstanz sinkt

Außerdem kann Heublein nachvollziehen, woher die Emissionen der einzelnen Sektoren kommen. Die Wärmeerzeugung ist in Konstanz für fast die Hälfte des Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich. Ein gutes Drittel stammt aus der Stromerzeugung, der Rest aus dem Verkehr.

Da aber nicht alles so ein „Selbstläufer“ ist wie der PV-Ausbau, benötigte die Stadt weitere Planungen und Konzepte, um die Emissionen aus Wärmeerzeugung und Verkehr zu reduzieren. Vor allem der motorisierte Individualverkehr trägt mit 72 Prozent zu den Verkehrs-Emissionen bei. Der öffentliche Verkehr ist für sieben Prozent verantwortlich. Also gilt es für die Stadt, ihre Bewohner zum Umstieg auf Busse und Bahn zu bewegen.

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Um das anvisierte Ziel einer Halbierung der Autos in Konstanz bis 2035 zu erreichen, hat die Stadt gemeinsam mit Consultingunternehmen einen Klimamobilitätsplan erarbeitet. Darin steht unter anderem, dass die Busflotte in zehn Jahren voll elektrisch fahren soll, wie man der Bevölkerung die öffentlichen Verkehrsmittel sowie das Fahrrad schmackhaft machen will und wie dies bezahlt werden soll.

Wärmenetze sind der größte Hebel

Kommen wir zum dicksten Brett: Die Hälfte der Konstanzer Emissionen stammt aus der Wärmeerzeugung. Diese Wärme wird zu einem großen Teil von den Stadtwerken in Form von Erdgas geliefert. Geschäftsführer Gordon Appel sagt: „Vor allem im Hintergrund ist schon sehr viel passiert.“ Nicht alles sei zu sehen oder zu greifen, aber für die Wärmeplanung des Unternehmens wichtig.

„Vor allem im Hintergrund ist also schon sehr viel passiert“, sagt Gordon Appel, Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz.
„Vor allem im Hintergrund ist also schon sehr viel passiert“, sagt Gordon Appel, Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz. | Bild: Stadtwerke Konstanz

Die Stadtwerke halten also einen großen CO2-Hebel in der Hand. Und die kommunale Wärmeplanung zeigt, wie dieser umgelegt werden kann. Oder um es mit Hilfe der Asterix-Metapher vom Anfang auszudrücken: Die Stadtwerke sind Miraculix und die kommunale Wärmeplanung das Rezept für den Zaubertrank. Wichtigste Zutat: Erneuerbare Nahwärmenetze, die zukünftig fast 50 Prozent des Konstanzer Wärmebedarfs decken werden.

So sollen rund ein Fünftel der Treibhausgasemissionen beseitigt werden. Hierbei handelt es sich um den Einzelbereich mit dem größten Spielraum. Fünf Wärmenetze sollen nachhaltig erzeugte Seewärme, Abwärme aus der Müllverbrennung im thurgauischen Weinfelden oder der Konstanzer Kläranlage sowie Wärme aus Großwärmepumpen verteilen.

Die wichtigste Zutat für Miraculix Zaubertrank. Ungefähr die Hälfte der Konstanzer Wärmeversorgung kann zentral und erneuerbar ...
Die wichtigste Zutat für Miraculix Zaubertrank. Ungefähr die Hälfte der Konstanzer Wärmeversorgung kann zentral und erneuerbar bereitgestellt werden. | Bild: Schönlein, Ute

Nachdem nun sowohl die Wärmeplanung als auch die meisten Machbarkeitsstudien abgeschlossen sind, liegt der nächste Schritt darin, mit dem Bau der Wärmenetze zu beginnen. Da sind sich fast alle in diesem Text zu Wort kommenden Personen einig. Das wird aber frühestens 2027 der Fall sein, sagt Gordon Appel. Warum das so lange dauert und was die anderen Gründe dafür sind, dass es mit messbarem Klimaschutz nur schleppend vorangeht, lesen Sie in der nächsten Folge von „Klimaschutz – so wird‘s was“.