Die Bilanz ist ernüchternd. Der Betriebsausschuss der Stadtwerke Singen nahm dieser Tage die Geschäftszahlen des Jahres 2018 für den Stadtbus zur Kenntnis – sie sind eine Dokumentation der tiefen Kluft von Anspruch und Wirklichkeit in Sachen Mobilität.
Die Grenze des Individualverkehrs
Was den Anspruch anbelangt, so herrscht außergewöhnliche Einigkeit. Dabei muss nicht unbedingt der Klimawandel bemüht werden: Zumal in der Kernstadt Singen weiß man aus dem alltäglichen Erleben, dass die Zukunft dem öffentlichen Nahverkehr gehört. Baustellen und Umleitungen, Parkplatzsuche und nicht zuletzt die Kosten verdeutlichen, dass es mit dem Auto nicht mehr so recht vorwärts gehen will. Und dabei sind die Belastungen für die Gesundheit und Nerven wie Lärm oder nerdige Navi-Kommentare noch nicht einmal berücksichtigt.
Dennoch bleibt der Run auf das Angebot der Stadtwerke aus. Abgesehen von ein paar Linien zu Stoßzeiten des Schülertransports ist in den Bussen reichlich Platz.
Im Jahresabschluss macht sich das mit einer tief roten Zahl bemerkbar. Für den Stadtbus mussten im vergangenen Jahr 1,344 Millionen Euro zugeschossen werden. Damit erhöhte sich der bereits im Jahr 2017 beachtliche Verlust von 1,107 Millionen Euro nochmals um 237.000 Euro.
Noch schlimmer muss die Bewertung ausfallen, wenn der Verlust ins Verhältnis zu den Erträgen gesetzt wird: Im vergangenen Jahr wurden im Stadtbusverkehr 1,727 Millionen Euro (darunter übrigens auch Zuschüsse in Höhe von 149.000 Euro, bei denen es sich ebenfalls um Steuergelder handelt) eingenommen; addiert mit dem Verlust ergibt sich daraus ein Finanzaufwand von 3,071 Millionen Euro.
Zuschuss von 44 Prozent
Die Rechnerei lässt sich auch so zusammenfassen: Von jedem Euro, den die Stadtwerke für ihren Betriebszweig Stadtbus ausgeben, müssen 44 Cent zugeschossen werden. Für ein Produkt der Zukunft ist da noch viel Luft nach oben.
Aus einem anderen Blickwinkel freilich nimmt der Stadtbus eine Spitzenposition ein. Bundesweit war nach Angaben Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Invra, die die Bilanz der Stadtwerke unter die Lupe nahm, ein Rückgang der Fahrgastzahlen im Liniennahverkehr um 0,7 Prozent zu verzeichnen, während die Zahl der Fahrgäste im Stadtbusverkehr im vergangenen Jahr um 0,9 Prozent auf 1,49 Millionen stieg.
Mehr Fahrgäste, geringer Einnahmen
Mehr Fahrgäste, aber geringere Einnahmen? Das hört sich paradox an, ist aber mit den vom Gemeinderat beschlossenen Tarifumstellungen erklärbar. Sie sollen das Busfahren preislich attraktiver machen, was angesichts der Entwicklung der Fahrgastzahlen offensichtlich auch gelingt.
Die Politik ist somit nicht schlecht unterwegs, obwohl es Optimierungsbedarf gibt. Die SÖS-Stadträtin Silke Stockebrand und Stadtrat Eberhard Röhm (Grüne) wiesen auf diverse Mängel im Stadtbusverkehr hin. So kam es beispielsweise auf den Linien 2 und 5 zeitweise zu Totalausfällen, die Haltestellenansagen funktionieren nicht immer oder sind falsch (was insbesondere für Fahrgäste mit Sehschwächen ein Problem darstellt), es gibt Haltestellen ohne Sitzgelegenheiten und der Wetterschutz lässt insbesondere am Bahnhof zu wünschen übrig. Auf ihrer Mängelliste erwähnte Silke Stockebrand auch die Rücksichtslosigkeit von Busfahrern, die losfahren, obwohl Fahrgäste noch nicht Platz genommen haben.
Für Stadtwerke-Geschäftsführer Markus Schwarz herrscht bei einigen Einwänden so etwas wie höhere Gewalt. Die Baustellensituation am Bahnhof beispielsweise bringe automatisch Einschränkungen beim Komfort mit sich und wegen der zahlreichen Baustellen in der Stadt lasse sich der halbstündige Taktverkehr auf den Linien 2 und 5 nicht immer einhalten.
Am Ende zahlt‘s der Bürger
Auf die Grenzen des Wunschkatalogs beim Ausbau des Stadtbus-Angebots wies Markus Weber (Neue Linie) hin. Am Ende müsse das alles auch finanziert werden, wobei er die rhetorische Frage stellte, wer als Zahlmeister in Frage komme. Oberbürgermeister Bernd Häusler drückte sich deutlicher aus. Am Ende zahlt‘s der Steuerzahler – und der kommt nur dann wirklich aus dem Dilemma heraus, wenn er auf den Bus umsteigt.
Über die Stadtwerke
Aufgaben der Stadtwerke: Es gehört hierzulande zu den Selbstverständlichkeiten des Alltags: Der Müll wird abgeholt, die Straßen sind beleuchtet und um die Entsorgung des Abwassers muss sich auch niemand wirklich Gedanken machen. Die Mainzelmännchen, die in Singen diese Aufgaben übernehmen, sind bei den Stadtwerken beschäftigt. Zu den Hauptaufgaben zählen Versorgungsdienstleistungen (wie die Wasserversorgung, der Stadtbusverkehr oder etwa der Betrieb von öffentlichen Parkhäusern/Tiefgaragen), die Abwasser- und Abfallentsorgung, der Betrieb des Wertstoffhofes oder die Straßenbeleuchtung. Die Stadtwerke sind aber auch in der Energieversorgung engagiert, sie sind beispielsweise als Gesellschafter am Windpark Verenafohren beteiligt. Das Unternehmen ist ein städtischer Eigenbetrieb, in strategischer Fragen ist deshalb der Gemeinderat zuständig.
Betriebszahlen: Die wirtschaftliche Bedeutung der Stadtwerke geht aus der Bilanz sowie den Zahlen des laufenden Geschäfts hervor. Die Bilanzsumme beläuft sich auf rund 81,5 Millionen Euro, wobei auf der Aktivseite das Anlagevermögen mit etwa 98,9 Millionen Euro den Löwenanteil ausmacht. Finanziert ist das Vermögen der Stadtwerke zu gut zehn Prozent über Eigenkapital, knapp 90 Prozent ist über Fremdkapital gedeckt. Im laufenden Geschäft flossen im vergangenen Jahr etwas mehr als 20,3 Millionen Euro in die Kasse der Stadtwerke, was nicht ganz zur Deckung der Kosten reichte. Das Jahresergebnis für 2018 weist einen Verlust von 169.000 Euro aus – im Jahr zuvor wurde ein Gewinn von 309.000 Euro gemacht. Haupteinnahmequelle sind die Gebühren, in der Sparte der Abwasserentsorgung beispielsweise belaufen sie sich auf etwa 6,5 Millionen Euro.