Beim Aufbau des politischen Drucks ist den Befürwortern eines zügigen Ausbaus der Gäubahn ein dicker Fisch ins Netz gegangen. Jürgen Behrens, seines Zeichens Repräsentant des Hamburger Hafens für die Bereiche Bayern, Baden-Württemberg und Schweiz, hob beim inzwischen regelmäßig stattfindenden sogenannten Bahn-Gipfele in Singen die Bedeutung der Gäubahn für den internationalen Güterverkehr hervor. Eine leistungsfähige Bahnverbindung zwischen Zürich und Stuttgart sei für den Hamburger Hafen von strategischer Bedeutung, Jürgen Behrens sprach sich deshalb für Tempo beim durchgängig zweigleisigen Ausbau der Strecke zwischen Singen und Stuttgart sowie deren Elektrifizierung aus.

Die Stellungnahme unterscheidet sich inhaltlich in nichts von dem, was Wirtschaftsverbände, Kommunalpolitiker und Interessensvertreter für den Personenbahnverkehr gebetsmühlenartig seit Langem wiederholen. Beim Bahn-Gipfele am Donnerstag handelte es sich dabei diesmal unter anderem um den Chef des Singener Logistikunternehmens Transco, Christian Bücheler, sowie Sascha Altenau vom Schweizer Transportunternehmen Hupac.
Fünf Jahre Planung für fünf Kilometer Bahnstrecke
Christian Büchelers Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Gäubahn im Bereich des Güterverkehrs fiel verheerend aus. Im Fall des Unternehmens Transco kommen nur sechs von zehn Zügen pünktlich an, das Management der Bahn bezeichnete der Geschäftsführer als träge und für das zögerliche Vorgehen beim Ausbau der Strecke mit einer fünfjährigen Planungsphase für einen Abschnitt von fünf Kilometern bringt er kein Verständnis auf.
In die gleiche Kerbe schlug Sascha Altenau. 20 bis 22 Güterzüge schickt das Unternehmen pro Tag in Richtung Norden, wobei es sich beim Zielort meist um den Umschlagplatz Duisburg handelt. Verspätungen sorgten aber dafür, dass „wir in Stuttgart herum stehen als ob wir gerade frisch geduscht worden wären“. Das Problem: Kommt man in der Landeshauptstadt nicht rechtzeitig an, gibt es Kollisionen mit der Vertaktung des Personenverkehrs. In solchen Fällen hat Letzterer den Vorrang, weshalb die Güterwaggons stehen bleiben.
Solche Hinweise sind nicht neu. Dass sich nun aber auch der Hamburger Hafen für den Ausbau der Gäubahn ins Zeug legt, könnte im politischen Tauziehen um die Streckenertüchtigung für einen Ruck sorgen. Zumal Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler, auf den das Zustandekommen der Bahn-Gipfele maßgeblich zurückzuführen ist, die Ursache für den schleppenden Ausbau der Gäubahn schon längst nicht mehr im sachlichen, sondern im psychologischen Bereich verortet.
Schädliches Image als Bimmelbahn
Aus seiner Enttäuschung über die Verzögerungstaktiken des Unternehmens Bahn macht Bernd Häusler dabei keinen Hehl. Er vermutet, dass es am Image der Gäubahn als Bimmelbahn vom Lande liegt. Die Schützenhilfe des Hamburger Hafens zwecks Veränderung dieses Bildes ist deshalb ganz in seinem Sinne.
Mit dem Bundestagsabgeordneten Andreas Jung verfügen die Gäubahn-Interessensvertreter schon seit Längerem einen Mitstreiter, der in Berlin immerhin an der Durchsetzung der formalen Festschreibung des Streckenausbaus im Bundesverkehrswegeplan bis 2030 mitwirken konnte. Ob damit die festgelegten Bundesinvestitionen in Höhe von 550 Millionen Euro auch tatsächlich umgesetzt werden, steht wegen des Planungsbedarfs allerdings auf einem anderen Blatt.

René Meyer, der als Koordinator des öffentlichen Verkehrs für den Kanton Schaffhausen am Bahn-Gipfele teilnahm, hegt unterdessen einen ganz anderen Verdacht. Er verwies auf ein grundsätzliches Problem, das sowohl das Funktionieren des Bahnverkehrs in der Schweiz als auch das Versagen in Deutschland erklären könnte. In der Schweiz würde zunächst ein Konzept erarbeitet, bei dem Kriterien wie Fahrplan-Erfordernisse inklusive grenzüberschreitender Aspekte, Behindertengerechtigkeit oder die Voraussetzungen für einen zuverlässigen Betrieb festgelegt würden. Auf dieser Basis würde dann in die Infrastruktur investiert. Im Fall der Gäubahn habe er den Eindruck eines genau entgegengesetzten Verfahrens. Soll heißen: Das Geld und die Investitionsbereitschaft sind vorhanden, die genauen Ziele aber sind nicht definiert.
Ausbau der Gäubahn hat Bedeutung für einen großen Wirtschaftsraum
- Vorgeschichte: Der Ausbau der Bahnstrecke von Zürich nach Stuttgart ist seit 1996 beschlossene Sache. Die im Vertrag von Lugano festgelegte Ertüchtigung wurde auf Schweizer Seite erfüllt, auf deutscher Seite nicht. Inzwischen sind zumindest die politischen Rahmenbedingungen für den Ausbau gegeben. Im Bundesverkehrswegeplan wurde die Dringlichkeit festgelegt, bis 2030 stehen 550 Millionen Euro für Investitionen zur Verfügung.
- Die Ziele: Der Lugano-Vertrag sieht vor allem eine schnellere Verbindung von Zürich nach Stuttgart vor. Zurzeit beträgt die Fahrtzeit etwa drei Stunden, Ziel sind 2:15 Stunden. Thomas Conrady, Präsident der IHK Hochrhein Bodensee, verdeutlichte beim Bahn-Gipfele den Tempo-Bedarf: Für die Fahrt von Singen nach Stuttgart werden zwei Stunden benötigt – etwa die gleiche Zeit wie für die über doppelt so lange Strecke Stuttgart-Köln.
- Druck aus der Wirtschaft: Bei der Kritik an der Bahnpolitik nehmen Wirtschaftsvertreter inzwischen kaum noch ein Blatt vor den Mund. Die gegen den schleppenden Ausbau der Gäubahn protestierenden Wirtschaftsverbände vertreten laut Thomas Conrady insgesamt 430 000 Mitglieder. Wie es in einer Pressemitteilung heißt, fühle sich die Region entlang der Gäubahn abgehängt, die betroffenen Unternehmen hätten davon die „Nase voll“.
- Die Praxis: Für die stärkere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Gäubahnstrecke sind umfassende Infrastrukturinvestitionen nötig. Wie der Verkehrsexperte Ulrich Grosse beim Bahn-Gipfele erklärte, müssten zum Beispiel die Tunnel entsprechend ausgebaut werden. Im Personenverkehr stellt die Diskussion um den Einsatz von Neigezügen ein besonderes Problem dar. Sie ermöglichen eine schnellere Fahrt, sind aber teuer.