Die Altstadt mit ihrer historischen Bausubstanz ist ein Magnet für Touristen. Das Erdreich hingegen ist Archäologen ein Quell der Freude, wenn es aufgrund einer Baustelle in die Tiefe geht. „Aus Konstanzer Erfahrung steckt viel im Boden drin“, sagt Caroline Bleckmann vom Landesamt für Denkmalpflege. Bei den Bauarbeiten am Bahnhofplatz wurde jetzt tatsächlich auch eine kleine Sensation zutage gefördert.
Die Sanierung des Bahnhofplatzes erfolgt von Anfang an in enger Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege. Klar war, dass zwischen dem ehemaligen Postgebäude an der Ecke Marktstätte und dem Bahnhofgebäude eine Grabung erforderlich sein würde, erklärt Caroline Bleckmann, „denn da stand das dritte Kapuzinerkloster“, mit dessen Bau 1694 begonnen wurde. Allerdings wusste sie nicht, wo und was genau zu finden sein würde.
Die Westseite des Bahnhofplatzes direkt vor dem alten Postgebäude war für die Forscher eine Enttäuschung. „Alles zerstört“, stellt Caroline Bleckmann fest. Kabeltrassen und Kanalrohre waren vor langer Zeit verlegt worden, von historischen Funden ist heute nichts zu sehen.
Überraschende Entdeckungen
Dafür barg die Ostseite des Bahnhofplatzes vor der Ladenzeile eine große Überraschung für die Archäologen. Kaum war die Asphaltschicht ausgebaut, waren Abbruchkronen sichtbar, „Abbruchkronen der alten Stadtmauer“, schildert Caroline Bleckmann.
„Da schlägt das Herz höher“, bekennt der örtliche Grabungsleiter Heiko Glunk. Für ihn war sofort klar: „Da braucht es Verstärkung.“ Grabungshelfer und die Mitarbeiter der Baufirma arbeiteten seither Hand in Hand zusammen. Glunk ist noch immer beeindruckt von den „kompetenten Maschinisten“, die mit schwerem Gerät und viel Gefühl Erdschichten abtragen, während anschließend die Grabungshelfer und Archäologen die Feinarbeit leisten.

Die mittelalterliche Stadtmauer wird sichtbar
Gemeinsam legten sie einen Teil der mittelalterlichen Stadtmauer frei. Zwei Meter dick sei sie im oberen Bereich und verbreitere sich nach unten, beschreibt Heiko Glunk. Wie alt dieser Teil ist, kann Caroline Bleckmann nur schätzen. Jene beim Konzil konnte datiert werden, denn unter der dortigen Stadtmauer wurde eine Holzpalisade gefunden, die auf 1230 datiert werden konnte. „Es gab auch eine Reparaturphase; die Bäume wurden 1295 gefällt“, gibt sie Auskunft.
Die Stadtmauer beim Konzil sei von 1300 bis 1340 errichtet worden. Hinter ihr wurde Erde angeschüttet mitsamt Holzgerüst; Fälldatum 1340, skizziert Caroline Bleckmann und fügt bezüglich der erfolgreichen Recherche mit einem Lächeln an: „Detektivarbeit.“ Bei den jetzt aufgefundenen Stadtmauerrelikten am Bahnhofplatz gibt es keine Holzreste. Daher kann Caroline Bleckmann nur eine grobe Schätzung abgeben: „1300 bis 1350“, allerdings ohne Gewähr.

Relikte eines außergewöhnlichen Turmes
Die Grabungshelfer sind begeistert von diesem beeindruckenden Fund, denn Mauern gräbt man nicht alle Tage aus. Auch der erfahrene Tiefbauamtsleiter Uwe Kopf ist beeindruckt, wenngleich die Baukosten aufgrund der archäologischen Grabungen höher werden: „Ich find‘s super! Dass man solche Kunstschätze ausgräbt, das habe ich noch nie gehabt.“
Aus gutem Grund spricht Uwe Kopf in der Mehrzahl, denn Archäologen und Bauarbeiter freuen sich über einen noch bemerkenswerteren Fund: Die Reste eines Turmes. Und der ist etwas ganz Besonderes. „Es ist ein halbrunder Turm, der vor der Mauer angesetzt wurde“, berichtet Caroline Bleckmann und erläutert: „Alle anderen sind rechteckig und stehen hinter oder in der Mauer.“

Warum ist er halbrund? Warum ist er vor der Mauer angesetzt? Wurde er vielleicht nachträglich an die Stadtmauer angebaut? Diese und noch viele weitere Fragen stellen sich Caroline Bleckmann und ihre Kollegen aktuell. „Ich muss recherchieren“, meint Bleckmann. Bei ihr klingt dieser Satz allerdings nicht nach Mühsal, sondern nach Freude; der Freude auf eine neuerliche Detektivarbeit, verbunden mit der Hoffnung auf eine plausible Erklärung.

Ein Mysterium im Turm
Im Innern des halbrunden Turmes gibt es noch etwas Quadratisches. „Die Struktur ist aus Backstein. Der wurde aber erst in der frühen Neuzeit als Baumaterial eingesetzt“, so Bleckmann. Und dann ist da noch ein Kreis in diesem Quadrat. „Hohl, mit einem Boden“, beschreibt die Stadtarchäologin. Worum es sich bei diesem Quadrat handelt, weiß Bleckmann nicht. „War es eine Zisterne? Ein Abtritt? Ein Lagerraum? Es ist ein Mysterium.“ Und ein weiterer Grund für archäologische Detektivarbeit.

Und was ist mit dem Kloster? Fundamentreste wurden im nordöstlichen Bereich Richtung Marktstättenunterführung gefunden. Zwei sehr massive Balken seien bereits für die dendrochronologische Untersuchung (wissenschaftliche Methode zur Bestimmung des Alters des verwendeten Holzes) bereit. „Es könnte das Konventgebäude sein, wenn es die Datierung bestätigt“, mutmaßt die Stadtarchäologin.
Was passiert jetzt mit den Funden?
Natürlich würden alle Funde dokumentiert. Erfreulich wäre natürlich, wenn man diese im Original zeigen könnte, aber das geht in diesem Fall nicht. Schließlich führt hier die Straße entlang. „Die Funde bleiben so erhalten und im Boden“, sagt Caroline Bleckmann. Selbstverständlich würden sie entsprechend gesichert, sodass auch Archäologen in der Zukunft ihre Freude daran haben können.
Doch das ist Tiefbauamtsleiter Uwe Kopf und dem städtischen Denkmalpfleger Frank Mienhardt nicht genug. Sie sprechen schon jetzt von Einlegeplatten mit QR-Code, mit dem man eine Audiodatei abrufen könnte. „Ein Mönch könnte berichten, warum das Kloster an die Stadtmauer gesetzt wurde“, regt Caroline Bleckmann spontan an. Aber das ist noch etwas Zukunftsmusik; gewiss aber ist, dass auf die Geschichte des Ortes auf irgendeine Weise hingewiesen werden soll.

Die Arbeit wird den Archäologen so schnell nicht ausgehen, schließlich ist anstelle der Ladenzeile ja ein Fahrradparkhaus geplant. Die Bahn als Grundstückseigentümerin sei bereits informiert, dass eine denkmalschutzrechtliche Genehmigung erforderlich ist. Denn im Erdreich befinden sich sicherlich noch Reste von Stadtmauer und Kloster. „Böschungssicherung, Fischerhütten, Bootsanleger, das alles ist in einer seichten Hafensituation vorstellbar“, so Caroline Bleckmann, die anfügt: „Da kommt einiges raus.“